Amateurfußball:Bischberg ist nirgends

"Verlassenserlaubnisse werden nicht für private Freizeitgestaltung ausgestellt": Bei RT Bamberg spielen Flüchtlinge im Ligabetrieb des Bayerischen Fußball-Verbands. Zu Auswärtsspielen dürfen sie das Stadtgebiet nicht verlassen.

Von David Fuhrmann

Heute dürfen sie spielen. Es ist ein milder Herbstsonntag, der Himmel ist blau, der Rasenplatz zerpflügt, die Luft von modrigem Laubgeruch erfüllt. Hier in Bamberg, zwischen Gleisen und Schrebergärten, haben die Spieler in den knallorangenen Trikots etwas vor, zumindest für 90 Minuten. Dementsprechend leidenschaftlich spielt das Team von RT Bamberg. Ihre Gegner in den roten Trikots, vom TSC Bamberg II, versuchen aufopferungsvoll, den technisch versierten RT-Spielern Einhalt zu bieten, doch das ist kaum möglich, nach 17 Minuten liegen sie 0:2 in Rückstand.

Heute gehört die Bühne den Protagonisten von RT Bamberg: zum Beispiel Torhüter Amirmohammad, der die Dreimannmauer auf Deutsch, Persisch und Englisch positioniert. Isa, dem Mittelfeldregisseur mit seinen präzisen Pässen. Oder Armin, dem flinken Verteidiger. Alle spielen sie wie aus einem Guss, sie gewinnen 3:0.

Für RT Bamberg ist das Spiel in der niedrigsten Fußball-Liga, der B-Klasse, ein bedeutsames, weil sie mit einem Sieg bis auf zwei Punkte an den Relegationsplatz heranrücken könnten. Der Blick auf die Tabelle verrät allerdings auch, dass sie im Vergleich zum Zweitplatzierten deutlich weniger Partien absolviert haben. Eine vermeintlich gute Ausgangslage - für RT offenbart sich hier jedoch das große Problem. Denn um die ausgefallenen Auswärtsbegegnungen nachzuholen, müssten die Spieler die Stadtgrenzen verlassen. Das dürfen nur die wenigsten von ihnen.

Bamberg Ankerzentrum Fußball

Isa (rechts), der Mittelfeldregisseur mit den präzisen Pässen, ist ein Dublin-Fall. Ihm droht die Abschiebung nach Italien.

(Foto: Alfred Weinkauf / Sportpress)

Das "RT" steht für "Retten & Teilen" und führt zum eigentlichen Betätigungsfeld des Vereins, Lebensmittel zu retten und an finanziell Bedürftige zu verteilen. Im Sommer 2016 begannen die Initiatoren Nino Ketschagmadse und Oliver Renn in Bamberg damit. Und wenn man in Bamberg Bedürftige umsorgt, führt der Weg zwangsläufig zu den Bewohnern der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken, kurz AEO. Auf dem ehemaligen US-Militärgelände, am Stadtrand, umzäunt von Stacheldraht, liegt das Lager, in dem aktuell 1031 Flüchtlinge untergebracht sind. Hier befinden sich Menschen aus 14 verschiedenen Nationen und alle für ein Asylverfahren notwendigen Behörden, damit möglichst zügig Asylentscheidungen getroffen werden können. Im Falle einer Ablehnung haben die Asylbewerber die Möglichkeit, beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Ablehnung einzureichen - und dann beginnt die lange Zeit des Wartens. Bis eine endgültige Entscheidung erfolgt, können bis zu zwölf Monate vergehen. Solange müssen die Flüchtlinge im Lager ausharren, sehen sich ständigen Kontrollen ausgesetzt, dürfen die Stadt nicht verlassen, nicht selber kochen, nicht arbeiten.

Auf einer kleinen Wiese im Lager vertrieben einige Jugendliche ihre Zeit mit Fußballspielen, schnell kamen immer mehr zusammen. Der Fußball bot eine Beschäftigung, eine Abwechslung, eine Quelle der Freude. Anfang 2018 erkannten das die Gründer von RT Bamberg, kontaktierten die Stadt, und durften von nun an mit den Flüchtlingen unter besseren Bedingungen auf der Bamberger Festwiese spielen. "Über Nacht kamen 40 Fußballinteressierte aus dem Lager zusammen", erzählt Renn, der die Flüchtlinge zusammen mit Ketschagmadse nicht nur beim Sport unterstützt. Sie helfen den Schutzsuchenden bei Fragen rund um das Asylverfahren und haben immer ein offenes Ohr. "Ich bin ihnen wahnsinnig dankbar, es ist unglaublich, wie liebevoll die beiden zu uns sind", sagt Torwart Amirmohammad.

Ankerzentrum für Flüchtlinge in Bamberg

Auf dem ehemaligen US-Militärgelände am Bamberger Stadtrand liegt das Flüchtlingslager, in dem aktuell 1031 Menschen untergebracht sind.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Beim Bayerischen Fußball-Verband wurde der Verein offiziell im Frühling angemeldet, ab Sommer erteilte er die Starterlaubnis für den regulären Spielbetrieb in Bambergs B-Klasse. Es war zugleich die Geburtsstunde eines besonderen Problems, des Auswärtsproblems. Weil viele Asylsuchende aus der Mannschaft der Residenzpflicht unterliegen, dürfen sie nur zu Vereinen innerhalb des Stadtgebiets reisen, bei Verstoß drohen Geldstrafen.

Ausnahmen von der Regelung, sogenannte Verlassenserlaubnisse, können nur die Zentrale Ausländerbehörde und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ausstellen. Und die lehnten die Gesuche des Vereins und des für den Spielbetrieb zuständigen Kreisleiters Manfred Neumeister ab. "Verlassenserlaubnisse werden nicht für private Freizeitgestaltung ausgestellt", teilte die Zentrale Ausländerbehörde Oberfranken dem Klub mit, "das Asyl-Gesetz verlangt dafür zwingende Gründe."

Für Manfred Neumeister ist das nicht akzeptabel: "Die Residenzpflicht verstößt gegen den Grundsatz der Gleichheit." Zwei Auswärtsspiele hatte der Kreisleiter zu Beginn der Saison vom Spielplan genommen, um einen zeitlichen Spielraum für die Klärung des Problems zu haben. Zwei weitere Auswärtsspiele wurden danach als Nicht-Antritt gewertet, die Regularien lassen nichts anderes zu. Beim dritten Mal droht der Ligaausschluss. Die Verantwortlichen von RT Bamberg sind deshalb gezwungen, kreative Wege zu gehen, wie beispielsweise beim Spiel in Bischberg, das direkt an Bamberg angrenzt. Renn und Ketschagmadse starteten vor der Begegnung einen Aufruf, um ehemalige Fußballer der Region anzuwerben, die kurzfristig aushalfen.

Dass sich die Mannschaft von RT Bamberg häufig wandelt, liegt auch an den unsicheren Bleibeperspektiven. Ein Vorgänger von Torhüter Amirmohammad fiel unter die 69 Abschiebungen nach Afghanistan am 69. Geburtstag von Horst Seehofer. Mittelfeldspieler Isa aus Nigeria ist ein Dublin-Fall, ihm droht die Abschiebung nach Italien. Für Verteidiger Armin, der in der Mannschaft zusammen mit Isa das Training leitet, ist ein Bleiberecht ebenfalls ungewiss. Aber jetzt sind sie hier und träumen vom Aufstieg.

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