Amateurfußball:"Auf dem Papier hatte sich ein enges Match bereits abgezeichnet"

Der Bayerische Fußball-Verband veröffentlicht automatisch generierte Spielberichte. Das Programm kennt nur die Daten, keine Nuancen.

Von Fabian Dilger

"Vorne effektiv, hinten sattelfest - der Sieg gegen den TSV 1882 Landsberg hält den SV Pullach auch in der Tabelle gut im Rennen." Was wie ein Satz aus einem normalen Spielbericht klingt, ist in Bayern tatsächlich etwas Neues, vielleicht bald etwas Alltägliches, auf jeden Fall etwas Ungewöhnliches. Es ist der 10. August 2019, in der Bayernliga Süd wird der sechste Spieltag der Saison 2019/20 ausgespielt, Pullach holt sich mit einem 1:0 den Auswärtsdreier. Nach dem Spiel erscheint auf der Webseite des Bayerischen Fußballverbandes (BFV) ein kurzer Spielbericht, der dieses Zitat enthält.

Das Neue, Ungewöhnliche und wohl auch das Problematische ist: Der Text wurde von einem Programm geschrieben. Aus Daten werden Worte gemacht, automatisch. Das Problematische ist offensichtlich für jeden, der das Spiel gesehen hat: Pullach war alles andere als sattelfest. Aber ein 1:0 sieht für das Programm nun mal so aus. Das Programm kennt keine Nuancen, keine knapp verpassten Chancen - und es kennt nicht das Gefühl, dass da irgendwann ein Tor hätte fallen müssen. Es kennt nur die 1 und die 0.

Die automatisierten Spielberichte gibt es auf bfv.de seit Beginn der neuen Spielzeit. "Vor zwei Jahren ist das Projekt angestoßen worden", sagt Fabian Frühwirth, Pressesprecher des BFV. Der Deutsche Fußball-Bund und BFV hatten eine gemeinsame Projektgruppe zum Thema Digitalisierung, in der man auf den Gedanken kam: Wir haben von allen Amateurspielen die Daten, also könnten daraus auch Texte werden. Die Vereine im BFV stimmten auf den Versammlungen zu, das Ganze kostet laut Verband eine niedrige fünfstellige Summe. Der BFV hatte letztes Jahr schon einmal im Kreis Zugspitze getestet, ab dieser Saison sollen von der Bayernliga bis zur C-Klasse eigentlich alle Spiele betextet werden, sowohl bei Frauen als auch Herren. Der DFB spielt ebenfalls seit Saisonbeginn die automatisierten Spielberichte aus, auf seinem Portal fussball.de. Zehntausende von Texten pro Spieltag. Beim BFV geben die Amateure Daten in den elektronischen Spielberichtsbogen ein, der Schiedsrichter schickt diesen nach dem Spiel ab und dann beginnt das Programm, das bei BFV und DFB dasselbe ist, die "RTR Textengine", sofort mit der Arbeit. In ein paar hundert Millisekunden ist der Text fertig und online.

"Wir bieten einen Mehrwert, einfach Content zu generieren."

Diese Berichte sind, und sie können auch nichts anderes sein, die Nacherzählung von Spielereignissen. Tabellarische Ausgangslage, Auswechslungen, Tore oder Zuschauerzahlen werden in Sätze verpackt. Das Ergebnis wirkt ein wenig holzschnittartig, wenn man mehrere Texte liest, hat man Wiederholungseffekte. Entwickelt wurde das Ganze von der Firma Retresco, die sich darauf spezialisiert hat, aus Daten Sprache zu machen. "Wir generieren auch Finanzreports, Wetterbeschreibungen, Produktbeschreibungen", sagt Sebastian Golly, Computerlinguist und Leiter des Bereichs Textgenerierung. Es gibt bereits einige Medien in Deutschland, die mit solchen Programmen arbeiten. Und es gibt Studien, in denen die Probanden den Roboter- nicht vom Menschen-Text unterscheiden konnten.

Wo liegt nun der Mehrwert? Der BFV sieht die Texte als Dienstleistung für seine Vereine. Viele Spiele würden von den Medien nicht mit einem eigenen Bericht bedacht. "Je weiter es runter geht, desto weniger findet die 1:0-Berichterstattung statt", sagt Frühwirth. Also gibt es das jetzt zumindest auf der BFV-Webseite. Diesen Text kann der Verein dann weiterverwenden, auf die eigene Webseite stellen oder in der Stadionzeitung abdrucken.

"Wir bieten den Vereinen einen Mehrwert, einfach Content zu generieren. Wir wollen da in keine Konkurrenz zu Medien oder sonst jemanden treten", sagt Frühwirth. Golly sagt: "Ich glaube, dem typischen Nutzer macht das mehr Spaß, das als Text dargeboten zu bekommen." Ein Vorteil für den BFV dürfte zudem sein, dass Suchmaschinen es belohnen, wenn Webseiten viel Text enthalten.

Fehlinterpretationen findet der Pressesprecher verschmerzbar

Ein Spieltag später in der Bayernliga, Pullach spielt zuhause gegen Donaustauf. Interimsmäßig coachen bei den Staufern zwei Trainer. Bei bfv.de tragen das die Gäste so ein, das Programm macht in seinem Text daraus: "Klemens Matthias Melzl Johann schickte Nikica Filipovic aufs Feld." Die Technologie sei eben "total abhängig von der Datenqualität", sagt Golly. Surreal wirkt auch eine Einschätzung der Textengine bei der Begegnung TSV Peiting gegen TSV Bernbeuren, Kreisliga 2 Zugspitze: "Auf dem Papier hatte sich ein enges Match bereits abgezeichnet." Auf welchem Papier, fragt sich da der Leser - schließlich war es der erste Spieltag der Liga. Dann konterkariert das Programm im selben Text die zuerst getätigte Aussage und sich selbst, wenn es schreibt: "Der geringen Aussagekraft der aktuellen Tabelle zum Trotz steht der TSV Peiting nach diesem Erfolg auf Platz vier."

Für Frühwirth sind solche Fehlinterpretationen "Ungenauigkeiten" und verschmerzbar, weil die Texte hauptsächlich für die beteiligten Vereine da seien und der journalistische Ansatz weit hinten stehe: "Was würde denn der Laie vor Ort für einen Text schreiben?" Golly argumentiert ähnlich: "Fehler machen menschliche Autoren auch." Zumindest scheinen sich die Vereine im Fall der Fälle nicht daran zu stören. Heinz Eckl ist der Spielleiter des Kreises Zugspitze, er hört von seinen Vereinen eigentlich überhaupt keine Rückmeldung zu den automatisierten Spielberichten, die allerdings auch nicht prominent platziert sind: "Null. Da kommt nichts." Unmut gibt es in dieser Saison eher über die regelmäßigen Abstürze der BFV-Seite.

Automatisch generierte Texte wird man künftig häufiger lesen, nicht nur im Fußball, vermutet Golly: "Im Vergleich zu den USA hinken wir fünf bis zehn Jahre hinterher." Er selbst würde sich für solche Texte aber eine Kennzeichnung wünschen: "Ich als Leser möchte wissen, wer diesen Text geschrieben hat."

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