Die Straße vor dem Stadion ist zweigeteilt, im Norden blau, im Süden rot. Im Norden bilden sich vor den Kneipen kleine Gruppen mit 1860-Fans, im Süden schallen aus dem U-Bahn-Tunnel Fangesänge des FC Bayern. Es ist Derby in München. TSV 1860 München gegen den großen Rivalen, Löwen gegen Bayern, Blau gegen Rot.
Es sind nicht die Profi-Mannschaften beider Vereine, sondern die Amateur-Teams, die sich zu einem Spiel der Regionalliga Bayern im alten Stadion an der Grünwalder Straße treffen. Aber für die Fans ist es mehr als ein Spiel in der vierten Liga; es ist das Aufeinandertreffen der beiden Traditions-Klubs, deren Profi-Abteilungen sich in den vergangenen Jahren so weit voneinander entfernt haben, dass ein baldiges Wiedersehen auf höherer Ebene so bald nicht möglich scheint.
12 000 Zuschauer sind gekommen - ausverkauft. Es hätten wohl auch doppelt so viele Karten abgesetzt werden können, ein nationaler TV-Sender überträgt live. Und das bei einem Spiel der vierten Liga. Doch ein anderes, größeres Stadion kommt nicht in Frage. Die Arena an der Grünwalder Straße ist Teil der Folklore dieser Partie. Hier ist Fußball kein durchgestyltes Event am Stadtrand. Das ist Fußball mitten in München. Ein Herzens-Spiel für alle Fußballfans mit einer Neigung zur Nostalgie.
Das Spiel werden etwas überraschend die Spieler des FC Bayern gewinnen, mit 3:1. Dabei hatten die roten Amateure einen schwachen Saisonstart hingelegt mit nur vier Punkten in vier Spielen. Für 1860 II ist es hingegen die erste Niederlage des neuen Spieljahres. Doch das Ergebnis ist nur ein Teilaspekt dieses Abends. Viele Menschen wollen die Partie sehen, weil das Ambiente so ganz anders ist als in den modernen Bundesliga-Stadien. Das ist eher nicht für einen Familienausflug geeignet, hier geben die lauten, treuen Fans alles. Bisweilen auch zu viel.
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Die zweite Mannschaft des FC Bayern gewinnt das Stadtduell gegen den Rivalen 1860 II, weil zum richtigen Zeitpunkt die Tore fallen. Viel los ist beim 3:1 auch im Publikum: Dort tummeln sich strafversetzte Sechziger - und prominente Fußballer-Brüder.
Die Zuschauerränge sind Rot und Blau gefärbt. 1860 hat Heimrecht, die sogenannte Stehhalle auf der Gegentribüne ist voll mit Blauen. Die Westkurve ist mit Roten gefüllt. Dazwischen das Grau eines gesperrten Blockes. Der wird eine halbe Stunde vor Anpfiff voll mit Grünen, mit Polizisten, als Rote zu den Blauen rüberstürmen, und sich beide Gruppen gegenseitig mit leuchtendgelben Feuerwerkskörper bewerfen. Die Polizei wird später von elf Festnahmen und vier leicht verletzten Beamten berichten.
Auf dem Platz wärmen sich derweil die Spieler zu lauter Popmusik auf. Die meisten sind Talente, die über die Regionalliga den Sprung zu den Profis schaffen wollen. Nur zwei Spieler im Bayern-II-Kader tragen bekannte Namen: Steeven Ribéry und Tobias Schweinsteiger. Der eine ist jüngerer Bruder von Franck, der andere ist älterer Bruder von Bastian.
Die Stadionmusik wird kurz vor dem Anpfiff zunehmend rockiger; harte Gitarren-Riffs aus den Lautsprechern mischen sich mit den Fangesängen. Es entsteht eine Geräuschkulisse wie ein Donnergrollen. Für die Blitze im Stimmungsgewitter sorgen die gezündeten Feuerwerkskörper - beide Blöcke brennen, als der Schiedsrichter die Partie anpfeift. Pyromanen gehören seit Jahren zu diesem Derby wie die schönen Choreografien. Der Stadionsprecher begleitet die ersten Sekunden des Spiels mit Mahnungen, das Zündeln zu unterlassen; er wird es im Verlaufe der Begegnung noch viele Male wiederholen.
Die erste Halbzeit ist gut, kämpferisch, hart - Derby halt. Aufgepeitscht von den Fans ackern sich die Viertliga-Spieler über den Platz. Wegkamp trifft für Bayern schon in der 4. Minute zum 1:0, Kurzweg gleicht für 1860 in der 30. Minute aus. Das 2:1 für die Bayern von Sallahi in der 45. ist dann so schön, dass sich sogar Franck Ribéry im Publikum nicht mehr unauffällig unter der Kapuze versteckt, sondern jubelnd aufspringt. Die Fanlager explodieren bei jedem Tor - einzigartige Stimmung in der Regionalliga.
Die zweite Hälfte gibt nicht mehr so viel her. Die Bayern wagen zu wenig, 1860 nutzt die wenigen Chancen nicht. Die Sechzig-Fans vertreiben sich die Zeit mit Schmähgesängen auf Phillipp Steinhart und Kodjovi Koussou, die im Sommer von 1860 II zu Bayern II gewechselt sind.
In der 90. Minute erzielt Schweinsteiger dann das entscheidende 3:1, die Nachspielzeit ist gerade angebrochen. Die rote Westkurve feiert den Sieg. Die Geschlagenen verlassen bei normalen Fußballspielen jetzt die Tribüne. Nicht hier. Hier bleiben auch die Sechzig-Fans stehen und singen einfach weiter. Sie feiern sich, das Stadion und ihren Verein. So wie sie es nur am Amateurderby können.