Alpine Ski-WM:Pippi fährt sehr schnell Ski

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Zwei mal drei macht vier? Am Montag in der Kombination sprang für Emma Aicher zunächst einmal Platz acht heraus. (Foto: Lionel Bonaventure/AFP)

Während Mikaela Shiffrin ihre erste große WM-Chance vergibt, deutet Emma Aicher als Achte in der Kombination ihr Potenzial an. Im deutschen Verband wird sie als "ganz besonderes Juwel im Schatzkästchen" gesehen.

Von Johannes Knuth, Méribel

Schwer zu sagen, was die Skirennläuferin Emma Aicher aus der Ruhe wirft. Schlechte Rennen oder mäßiges Wohlbefinden scheinen es eher nicht zu sein, Aicher lässt sich da jedenfalls wenig anmerken. Das ist ihr gutes Bürgerrecht, wobei der Deutsche Skiverband (DSV) immerhin ein paar sachdienliche Hinweise bereitstellte, als er Aicher vor den alpinen Ski-Weltmeisterschaften in Courchevel und Méribel ein Geheimnis entlockte. Sie könne auf gar keinen Fall ohne ihr Schlafkissen reisen, enthüllte Aicher, "ohne kann ich einfach nicht schlafen". Andererseits: So sehr, wie sie auch in Frankreich in sich ruht, scheint die Nachtruhe kein Problem zu sein.

Emma Aicher, 19, vom SC Mahlstetten, rauscht am liebsten einen Berg auf Skiern hinunter, das Reden darüber überlässt sie anderen. "Ein ganz besonderes Juwel" habe man da im Schatzkästchen, sagte DSV-Sportvorstand Wolfang Maier zuletzt; "die Einzige, die in allen vier Disziplinen das Potenzial hat, Weltspitze zu werden" (noch mal Maier); eine, die "richtig Bock" habe, vorne reinzufahren (WM-Silbergewinnerin Kira Weidle). Das spiegelte sich phasenweise auch in der Kombination, mit der am Montag die WM in Méribel begann: Platz acht, das war respektabel, das beste WM-Resultat einer deutschen Skirennfahrerin in der Kombination seit Maria Höfl-Rieschs Goldmedaille vor zehn Jahren. Andererseits: Achte WM-Plätze entlocken Aicher schon jetzt nicht viel mehr als ein "Jo, passt schon, aber skifahrertechnisch geht das noch besser".

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Lena Dürr und Linus Straßer brauchten eine Weile, bis sie in den Kreis der Medaillenkandidaten vorstießen. Bei der WM in Meribél und Courchevel schultern sie die größten Hoffnungen der deutschen Auswahl.

Von Johannes Knuth

Bislang hat jedenfalls recht viel zusammengepasst für Aicher, kräftige Schultern, blonde Zöpfe, die sie selbst als Hommage an eine gewisse Pippi Langstrumpf ausweist. Sie interessierte sich schon früh für alles, was die Produktpalette hergab, Slalom, Riesenslalom, Super-G, Abfahrt, und wenn man sie fragt, was sie am liebsten mag oder am liebsten bestreiten würde in Méribel, sagt sie: "Am liebsten alles." Ihre Reiseroute hat sie in diesem Winter schon über Finnland, die USA, Kanada wieder nach Europa geführt; sie wurde, unter anderem, 21. im Super-G, 15. in der Abfahrt, Neunte gar im Slalom in Flachau - weiter in die Spitze war sie im Weltcup noch nie vorgedrungen. Nur im Riesenslalom wollten sie die Trainer noch nicht einsetzen. Dass sie dort irgendwann aufschlagen wird, darauf würde Aicher vermutlich ihr Schlafkissen verwetten.

Man kann das gewagt finden - so vollgepackt wie der Kalender und so stark die Spezialistinnen heute sind; so gewaltig auch der Aufwand ist, mit dem die Athletinnen bis zum richtigen Winkel des Skikantenschliffs brüten. Man kann es aber auch als zwingend erachten, wenn das Pragmatische von jeher das Handeln zu lenken scheint. Aicher wuchs in Schweden auf, der Heimat der Mutter, im Jugendalter zog die Familie nach Engelberg in die Schweiz. Zwei Jahre später stellten sie sich beim Verband in Deutschland vor, der Heimat des Vaters: Sie hatten das Gefühl, dass die Tochter dort besser ausgebildet werden könnte. "Wenn ich nicht Skirennfahrerin wäre", sagt Aicher heute, "wäre ich wohl nicht hier."

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Mittlerweile strebt sie das Abitur am Sportgymnasium in Berchtesgaden an, dort kennen sie sich aus mit eng getakteten Jungsportlerkarrieren. Man wolle die Füße am Boden halten, hatte Wolfgang Maier schon vor zwei Jahren gesagt, zumal Aicher im riskanteren Speed-Gewerbe vielleicht noch begabter sei als im Slalom und Riesenslalom. Damals, zur WM in Cortina d'Ampezzo, zogen sie Aicher trotzdem ins Aufgebot, sie wollten zeigen, dass sich im Nachwuchs schon noch etwas bewege. Nach dem Team-Event baumelte dann eine Bronzemedaille um Aichers Hals. Vor einem Jahr funkelte die Plakette noch etwas heller: Team-Silber bei den Winterspielen in Peking.

So steckt Aicher schon jetzt, mit 19, mitten in einer handelsüblichen Berufssportlerlaufbahn, mit allen Aufs und Abs. Als sie in den ersten Slaloms des Winters das Finale der besten 30 verpasste, war Andreas Puelacher, der neue Cheftrainer der DSV-Frauen, gleich als Motivationsredner gefragt: "Ich provoziere sie auch ein bisschen, natürlich im Spaß", sagte er zuletzt: "Sie musste halt kapieren, dass der Kinderskilauf endgültig vorbei ist." Das tat sie offenkundig, überzeugte in Abfahrt und Super-G, gewann dann bei der Junioren-WM eine Silbermedaille in der Team-Kombination, das war schon wieder etwas weniger als insgeheim erhofft.

In Méribel eröffnete sie den Super-G dann recht verhalten, vielleicht auch, weil sie die vergangene Woche viel Kraft im Krankenstand gelassen hatte. Sie hatte jedenfalls keine Chance mehr, die Besten im Slalom einzufangen, 3,78 Sekunden trennten sie von der neuen Weltmeisterin Federica Brignone. Die Italienerin hatte auch der großen Favoritin Mikaela Shiffrin eine sportliche Zeit vorgesetzt - die Amerikanerin musste ihren Lauf mit so viel Risiko versehen, dass sie kurz vor dem Ziel ausschied.

Erinnerungen an Peking? Davon wollte Mikaela Shiffrin am Montag nichts hören. Die Weltmeisterschaften in Frankreich begannen für die Amerikanerin allerdings nicht viel besser als die Winterspiele vor einem Jahr - diesmal schied Shiffrin in der Kombination aus. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Das wird künftig die größte Herausforderung sein für Aicher und ihre Betreuer: zu steuern, wie viel Kraft man wann und in welche Disziplin investiert, wie bei einer breit gestreuten Geldanlage. Puelacher ist zumindest einer, der sich mit derartigen Lebensentwürfen auskennt. Seit diesem Winter profitiert Aicher auch vom prall gefüllten Portfolio ihres Sponsors Red Bull, von Fitnesstrainern, Mental- und Rhetorikcoaches - auch wenn das wieder einige Erwartungen schürt. Emma Aicher wird alles brauchen auf ihrem Weg, Pippi Langstrumpfs Kraft und Mut, ihre Ruhe, ihr Schlafkissen sowieso.

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