Stuttgarts Trainer Aleksandersen:"Er geht phänomenal mit der Situation um"

Stuttgarts Trainer Aleksandersen: Auf dem Scoutingsitz (von links): Trainer Tore Aleksandersen neben Sportdirektorin Kim Renkema und der verletzten Spielerin Laura Künzler.

Auf dem Scoutingsitz (von links): Trainer Tore Aleksandersen neben Sportdirektorin Kim Renkema und der verletzten Spielerin Laura Künzler.

(Foto: Tom Bloch/Beautiful Sports/Imago)

Stuttgarts Volleyballerinnen spielen um die deutsche Meisterschaft, wissen aber nicht, wie lange ihr Trainer noch lebt. Der Norweger Tore Aleksandersen hat Krebs im Endstadium - und will der Krankheit so wenig Raum geben, wie es nur geht.

Von Sebastian Winter

Am Ende lachte Tore Aleksandersen, trotz allem. Der Trainer von Stuttgarts Volleyballerinnen hatte noch eine kurze Ansprache im Kreis seiner Mannschaft gehalten, danach hatte er ein paar Spielerinnen und seine Co-Trainer geherzt. Was man halt so macht nach einem letztlich souveränen 3:1 (25:21, 25:22, 17:25, 25:19)-Erfolg im ersten Finalduell um die deutsche Meisterschaft. Während des Spiels war der Norweger: weg. Jedenfalls sah man ihn nicht wie üblich in seiner Coaching-Zone, auch nicht auf der Bank. Wie schon im Halbfinale gegen Dresden, wie im Viertelfinale gegen Vilsbiburg.

Aleksandersen, 55, saß am Dienstagabend auf einem sogenannten Scoutingplatz, neben Stuttgarts Sportdirektorin Kim Renkema. Von dort aus erteilte er Anweisungen, gab Tipps, freute und ärgerte sich. Dass er dort saß, ist eine gute Nachricht für einen, der Anfang dieses Jahres öffentlich gemacht hat, dass er Prostatakrebs im Endstadium hat, und Metastasen. Der in der Uniklinik Tübingen im Februar eine Immuntherapie begann, weil die Medikamente nicht mehr so wirksam waren wie gewünscht. Und der sich kürzlich noch eine Lungenentzündung einfing. So sitzt Aleksandersen nun direkt neben dem Feld, aber hinter einer Bande, weil er sich schlicht zu schwach fühlt, um zwei Stunden lang exponiert an der Seitenlinie zu stehen.

Sein Gesundheitszustand ist nicht mehr derselbe wie vor acht Wochen. Und vielleicht ist diese Distanz, die doch Nähe beinhaltet, genau das richtige Maß, das Trainer und Mannschaft jetzt brauchen. Aleksandersen ist ohnehin keiner, der im Mittelpunkt stehen möchte, gerade jetzt nicht mit seiner Diagnose. Dennoch steht er im Fokus, weil man das natürlich unmöglich trennen kann: Eine Mannschaft kämpft um die deutsche Meisterschaft - und weiß zugleich nicht, wie lange ihr Chefcoach noch lebt.

Aleksandersen mag innerlich brodeln wie ein Vulkan - er zeigt seine Wut nicht

Man kann seine Geschichte auch nicht trennen von der Brisanz dieses Finales: Es ist die Neuauflage des Endspiels aus der vergangenen Saison, als Potsdam in eigener Halle zwei Matchbälle gegen Stuttgart vergab, das Spiel verlor und am Ende die Serie mit 2:3-Spielen. Es ist auch das Wiedersehen mit Potsdams Trainer Guillermo Naranjo Hernández, der zwischen 2013 und 2017 als Coach der Stuttgarterinnen zweimal den DVV-Pokal gewann und dreimal das Playoff-Finale verlor - bevor der impulsive Spanier entlassen wurde.

Aleksandersen mag innerlich brodeln wie ein Vulkan, wütend auf den Krebs, auf Ärzte, die ihn früher hätten diagnostizieren können, aber nach seinen Schilderungen eine entscheidende Kennzahl übersahen. Doch er zeigt seine Wut nicht, weil er der Krankheit bei seiner Arbeit so wenig Raum lassen will, wie es nur geht. Vielmehr ist er so nüchtern und pragmatisch (und auch witzig), wie man sich Norweger gerne mal vorstellt. Er gibt Hinweise im Training, im Spiel, er schickt Sprachnachrichten und Videos in die Kabine, er sei ständig am Handy, sagt Renkema: "Er geht phänomenal mit der Situation um, er ist so eine starke Persönlichkeit."

Aleksandersen hat sich auf den Job in Stuttgart trotz seiner Krankheit, deren Diagnose er vor drei Jahren in der Türkei bekam, eingelassen. Auch die Spielerinnen und Verantwortlichen um Renkema wussten am 14. Dezember 2020, als Aleksandersen Stuttgarts Trainer wurde, worauf sie sich einlassen. Sie hatten also Zeit, ein Netz um ihn herum aufzuspannen, das greift, wenn es ihm schlechter gehen würde. Jetzt greift das Netz. Doch geht so etwas überhaupt?

Man fragt sich ja in diesen entscheidenden Wochen, in denen es für Allianz MTV Stuttgart nun um den möglichen dritten und für den SC Potsdam um den allerersten DM-Titel geht: Kann eine Mannschaft an einer solchen Situation vielleicht doch zerbrechen? Oder andersherum: Kann sie sie fast unschlagbar machen? Die Stuttgarterinnen brüllen ja immer wieder "Sisu", diesen finnischen Schlachtruf, wie Aleksandersen Anfang Februar im SZ-Interview erzählte. Frei übersetzt heißt er Kraft oder Stärke. Oder Durchhaltevermögen, wenn man im Grunde keine Chance mehr hat.

Manche, wie Stuttgarts Hauptangreiferin Krystal Rivers, die mit verkürzter Wirbelsäule zur Welt kam, als Kind nicht laufen konnte und als Jugendliche Krebs bekam, fragen immer wieder bei ihm nach, voller Empathie. Andere versuchen, das Thema nicht an sich heranzulassen. "Es ist schwer, belastend, sehr emotional. Aber auch die Mannschaft hat einen Weg gefunden, gut damit umzugehen", sagt Renkema. Wenn es nach ihr und dem Klub geht, bleibt Aleksandersen auch kommende Saison Trainer - demnach ist es seine Entscheidung, ob er sich das zutraut oder nicht.

Stuttgarts Trainer Aleksandersen: Wieder mit Wucht: Stuttgarts Hauptangreiferin Krystal Rivers.

Wieder mit Wucht: Stuttgarts Hauptangreiferin Krystal Rivers.

(Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Jetzt in den Playoffs sind erst einmal Stuttgarts Co-Trainer gefragt; Faruk Feray und Wojciech Kurczynski sind zu Aleksandersens verlängertem Arm an der Seitenlinie geworden. Rivers und Simone Lee, die beiden Hauptangreiferinnen, sind es ohnehin längst auf dem Feld. Beiden gelangen im ersten Spiel der Finalserie mal wieder jeweils mehr als 20 Punkte, Blockerin Marie Schölzel überzeugte ebenfalls. Insgesamt elf Asse waren ein weiterer Schlüssel für Stuttgarts Sieg.

Zerbrochen sind sie also nicht, die Stuttgarterinnen. Sie wirkten eher wie eine Einheit, die ihrem Trainer noch ein kleines Geschenk machen möchte, bevor er vielleicht endgültig heimkehrt nach Norwegen zu seiner Familie.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrebskranker Volleyball-Trainer Aleksandersen
:"So schnell werdet ihr mich nicht los"

Tore Aleksandersen hat Prostatakrebs im Endstadium, trotzdem trainiert er weiter Stuttgarts Volleyballerinnen, mit denen er die Chance auf Historisches hat. Ein Gespräch über das Leben als Trainer, den Tod und den Teufel.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: