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All-Star-Spiel der NBA:Unvollendet

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An dem Basketballer Carmelo Anthony scheiden sich seit Jahren die Geister: Hat er sein Talent aus Selbstsucht vergeudet?

Von Christopher Meltzer, New Orleans/München

Als der Basketballer Kevin Love sich vor einer Woche am Knie verletzt hat, löste das im Kosmos der NBA eine Debatte aus. Jedoch beschäftigte die sich nur ganz kurz mit Kevin Love, bevor sie ganz schnell um einen anderen Basketballer kreiste. Die Zeit nämlich drängte. Loves Kaderplatz im All-Star-Game, zu dem sich an diesem Wochenende in New Orleans die besten Basketballer der Liga zum Show-Wettkampf verabredet haben, musste neu vergeben werden. Also debattierte die NBA-Gemeinde gewohnt hitzig die Frage: Wer hat diesen Platz verdient? Beantwortet hat sie NBA-Boss Adam Silver, verantwortlich für die Nachbesetzung. Er wählte: Carmelo Anthony. Da debattierten die Fans nur noch hitziger. Wie eigentlich immer, wenn es um Carmelo Anthony geht.

Anthony, 32, ist der umstrittenste Spieler der Liga, ein Basketballer der Widersprüche. Anthony kann trippeln und tänzeln, rempeln und stoßen. In einem Angriff kann er seine 109 Kilo aussehen lassen wie 80, im nächsten wie 130. An gewöhnlichen Tagen fällt es selbst den Abwehrkünstlern des Sports schwer, ihn aufzuhalten. An guten Tagen ist es unmöglich. Anthony bietet dem Publikum meist Wunderbares an. Nur haben seine Vereine in den vergangenen 13 Jahren wenig Wunderbares geleistet. Von allen Widersprüchen ist das der größte.

Weiter als in ein Playoff-Halbfinale ist er nie gekommen

Wer diesen Widerspruch erklären will, der stolpert schnell über den nächsten. Das Vermächtnis eines Basketballers in den USA ist geknüpft an die Zahl seiner Meisterschaften. Im Internet finden sich etliche Bilderstrecken, die die größten Spieler ohne Meisterring aufreihen. Klick für Klick tauchen sie auf: Steve Nash, John Stockton, Karl Malone. Die Unvollendeten. Auch Carmelo Anthony hat mal gesagt: "Natürlich spielen wir dort, um die Titel zu gewinnen." Nur hat er sich mit den großen Entscheidungen seiner Karriere immer weiter von diesem Ziel entfernt.

2009 war Anthony mit den Denver Nuggets mal bis ins Halbfinale vorgestürmt. Näher ist er einem Titel bis heute nicht gekommen. Vielleicht hätte die talentierte Nuggets-Mannschaft sich noch weiterentwickeln können. Doch 2011 rebellierte ausgerechnet ihr wichtigster Spieler: Anthony forderte die Klubführung auf, ihn nach New York zu tauschen. Und weil solche Tauschgeschäfte inmitten der Saison einen hohen Preis fordern, schickten die New York Knicks im Gegenzug so viele qualifizierte Spieler nach Denver, dass Anthonys Wunsch zwar entsprochen wurde, er fortan aber auf sich alleine gestellt war. Nur dreimal haben Anthonys Knicks überhaupt die Playoffs erreicht.

In New York City aber fühlt er sich wohl, im Stadtteil Brooklyn wurde er geboren. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit: New York ist eben auch der größte Medienmarkt der USA, vielleicht sogar der Welt. Über die Knicks wird immer diskutiert. Und seit nun sechs Jahren heißt das: Über Carmelo Anthony wird immer diskutiert. Alle stürzen sich auf ihn: Journalisten, Fans, Sponsoren. In New York versteht sich Anthony nicht mehr nur als Basketballer, nicht nur als "Melo", der mal eben 50 Punkte aus dem Handgelenk schütteln kann. Er versteht sich als Teil von etwas Größerem.

George Karl verurteilt das. Der Trainer, der in Denver für Anthony verantwortlich war, hat neulich ein Buch veröffentlicht, in dem er seinen ehemaligen Schützling heftig attackiert. "Er hat Menschen ausgenutzt", schreibt er. "Er war süchtig nach dem Scheinwerferlicht und hat es nur ungerne geteilt." Karl hat in dem Buch auch reichlich Unsinn verbreitet. Er entwickelt die absurde Theorie, dass Anthony, der ohne Vater aufgewachsen ist, nie gelernt habe, sich wie ein echter Mann zu verhalten. Für die Passage hat er sich später entschuldigt. Für die anderen freilich nicht. George Karl hat er aber auch geschrieben: "Er war der beste Offensivspieler, den ich je trainiert habe."

In einem ist Anthony allen voraus: Er gewann dreimal Olympia-Gold

Bleibt also der Widerspruch mit dem Erfolg: Um in der modernen NBA Meisterringe zu sammeln, gehört auch Glück dazu. Selbst LeBron James, der beste Basketballer des vergangenen Jahrzehnts, musste dafür nach Miami wechseln und sich mit Dwyane Wade zusammentun. James, Wade, Anthony - das sind die drei prägenden Spieler einer Basketballgeneration. In einer Kategorie übertrumpft Anthony die beiden anderen jedoch: Dreimal hat er olympisches Gold gewonnen. Ironischer weise spielte er im Nationalteam, eingereiht zwischen den Super-Egos der NBA, sein bestes Basketball.

Selbst drei olympische Goldmedaillen ersetzen aber keinen NBA-Ring. Anthony weiß das. "Er hat nie in einer Mannschaft gespielt, die auch nur im Entferntesten eine Chance auf den Titel hatte", sagt sein College-Trainer Jim Boeheim. 2014 hätte Anthony daran etwas ändern können. Doch statt sich einem Spitzenteam anzuschließen, unterschrieb er für weitere fünf Jahre in New York. Ein Titel ist dort weiter nicht in Sicht.

"Ich wäre glücklich", sagt Anthony, "wenn ich mit dem Basketball aufhöre und weiß, dass ich dem Spiel alles gegeben habe, was in mir steckt." Heute scheint es ihm egal zu sein, ob sein Gesicht irgendwann in einer dieser Bildstrecken der Unvollendeten landen wird. Er setzt sich für andere Dinge ein, sorgt sich um Politik und Rassismus. "Wir können nicht ignorieren, wie die Realität in den USA aussieht", warnt Anthony. Er hat sich dafür New York City herausgepickt, wo nicht nur der Basketballverein in Widersprüchlichkeiten versinkt. "New York ist die großartigste Stadt auf dem Planeten", sagt er. "Aber du bist kein New Yorker, wenn du nicht mal aufwachst und dir denkst: 'Hey, fuck New York.'"

Irgendwann hat ein Journalist mal gefragt, ob es eines einzigartigen Basketballers bedürfe, um in dieser Stadt zu bestehen. Da hat Carmelo Anthony gesagt: "Yeah, Melo."

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Quelle:
SZ vom 19.02.2017
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