Aljona Savchenko und Bruno Massot:Sie tanzen Boléro mit Todesspirale

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Anmutig und zuletzt immer erfolgreicher: das Eiskunstlauf-Paar Aljona Savchenko/Bruno Massot. (Foto: dpa)
  • Aljona Savchenko und Bruno Massot reisen als Weltrekordler zu den deutschen Meisterschaften.
  • Sie heben gerade die Grenze zwischen Paarlauf und Eistanz auf - und erneuern so ihre Disziplin.

Von Barbara Klimke, München

Da flogen sie wieder, die Teddys, Rosen und Blumengebinde. Eiskunstlauf ist eine Sportart, in deren schönsten Momenten noch immer jeder jeden beschenkt - zumindest in den großen Kufennationen, zu denen Japan gehört. Zum Päckchentausch beim Grand-Prix-Finale in Nagoya gehörte eine fabelhafte Kür der Paarläufer Aljona Savchenko und Bruno Massot. Sodann hatten die Blumenkinder alle Hände voll zu tun, die Plüschtiere aufzusammeln, die das Publikum als Zeichen der Zuneigung ins Oval warf; wären sie mit dem Wägelchen gekommen, hätten sie wohl einen kleinen Schubkarren gefüllt. Savchenko/Massot dankten, indem sie sich an den Händen hielten und mit den Armen ein Herz formten. Zum Schluss waren die Juroren an der Reihe, die für die Kürwertung 157,25 Punkte und fünfmal die Höchstnote zehn vergaben: Weltrekord.

Solche Bestmarken sind erst seit der Reform des Wertungssystems möglich, und sie erfüllen ihren Zweck auf eine Weise wie ein Präsent mit dicker, roter Schleife: Es ist nicht zu übersehen. Savchenko/Massot übertrafen ihre bisherige Bestnote um 15 Punkte, sie hängten die Weltmeister Sui Wenjing und Han Cong aus China um fast sechs Punkte ab. Es ist das Signal an die Konkurrenz, dass mit dem Duo aus Oberstdorf im Olympiawinter zu rechnen ist.

Wenn alles passt, könne "die Mischung magisch sein", sagt Savchenko

Ähnlich hat auch Alexander König, der Trainer des Paares, die Botschaften entschlüsselt, die er an der Bande in Nagoya hörte. Die Reaktionen seien "schon positiv" gewesen, erzählte er mit bemerkenswerter Bescheidenheit nach der Rückkehr aus Japan: Von Fachkollegen wurde ihm und den beiden Läufern nach der Kür zu einem "Masterpiece" gratuliert.

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Das hören König, 51, Savchenko, 33, und Massot, 28, schon deshalb gern, weil sie den Vortrag auf diese Wirkung hin komponiert hatten: als potenzielles Meisterwerk auf Kufen. Vom Ergebnis des künstlerischen Schaffensdrangs kann sich am Wochenende das Publikum auch hierzulande ein Bild machen, weil die Weltrekord-Kür am Freitag und Samstag bei den deutschen Meisterschaften in der Eissporthalle Frankfurt eine Wiederaufführung erlebt.

Aljona Savchenko und Bruno Massot sind in diesem Jahr, dem dritten ihrer Zusammenarbeit, bewusst andere Wege gegangen: Nach dem zweiten WM-Platz im Frühjahr haben sie sich mit dem Choreografen und Olympiasieger Christopher Dean, 1984 Teil des legendären Boléro-Duos Torville/Dean, zusammengetan und Ideen abseits des Paarlaufs ausprobiert. Ziel war es, die Grenzen ihrer Disziplin aufzubrechen. Und dann eine Kür auf der Grundlage des Eistanzes, nicht der Paarlauf-Elemente, zu ersinnen. Entstanden ist ein Programm, das in den packendsten Momenten die fließenden Bewegungen, das Hypnotische des Eistanzes mit den Hochrisiko-Nummern des Paarlaufs, den Würfen und Luftrotationen, verbindet: Boléro mit Todesspirale, sozusagen.

Sie wählten "La terre vue du ciel", eine Komposition für den Natur-Dokumentarfilm "Die Welt von oben" als Kürmusik, was auch nicht gängigen Mustern entspricht. "Es muss ja nicht immer die gleiche alte Liebesgeschichte sein", fand Dean. Wenn alles passt, Sprünge, Landungen, Klang und Kufentechnik, dann, sagt Aljona Savchenko, kann "die Mischung magisch sein".

Allgemein hat Dean festgestellt, dass die Entwicklung im Paarlauf von kraftraubenden Hebungen und hohen Geschwindigkeiten zu mehr Einfallsreichtum und Kreativität führen wird. Er glaubt sogar, dass die Paarläufer "mehr Freiheit haben" als die Eistänzer, die eigentlichen Avantgardisten des Sports, die sich momentan einem strikt reglementierten Anforderungskatalog fügen müssten. Außer Savchenko/Massot, sagt Dean, hätten bisher nur die chinesischen Paarlauf-Weltmeister den Mut, ähnlich fantasievolle Bilder aufs Eis zu malen. Alexander König erklärt die Sache so: "Die Paarlauf-Elemente machen alle Läufer, und die Athleten in der Weltspitze sind alle gleich gut: Wie soll da der große Unterschied entstehen? Wir wollen die Räume zwischen den Elementen mit Eistanz füllen. Das ist unser Ziel."

Rückschläge blieben nicht aus: Bruno Massot quälte sich mit Rückenproblemen übers Eis; ein Leiden, das ihn wohl begleiten wird. "Er hatte früher Partnerinnen, die zu schwer waren für ihn", glaubt der Trainer, und als jungem Menschen "fehlte ihm die Einsicht, besser auf seinen Körper zu achten". Umso erstaunlicher, dass Savchenko/Massot ihre Kür in zwei Monaten von der Uraufführung unterm Nebelhorn zur Weltrekordreife in Nagoya brachten. Aber auch der Weltrekord soll laut König nur eine Zwischenstation sein: "Wir arbeiten ja nicht auf ein Grand-Prix-Finale hin, sondern auf Olympia." Bis dahin wird am Ideal der Vollkommenheit getüftelt.

Bei den deutschen Meisterschaften am Freitag und Samstag werden die WM-Zweiten, wie schon in Japan, ein anderes Kurzprogramm aufführen und den strengen Flamenco von 2017 durch den eingängigeren, witzigen Lindy Hop von 2016 ersetzen. Um die Olympiaqualifikation müssen sich Savchenko/Massot keine Sorgen mehr machen. Für alle anderen Eisläufer kommt es zum Verteilungskampf um die restlichen zu vergebenden Plätze. Bei den Männer steht in Frankfurt ein direktes Duell zwischen den Berliner Freunden Peter Liebers und Paul Fentz bevor: Nur einer von beiden darf im Februar nach Pyeongchang. Während der Rest der nationalen Elite rackert, sorgen Savchenko/Massot für Glanz und Glamour. So ist das im Eiskunstlauf: Es gibt immer ein Geschenk. Mal mit, mal ohne Schleifchen.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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