Süddeutsche Zeitung

Algerien beim Afrika-Cup:Einst Karnevalstruppe, nun Favorit

  • Algerien hat sich zu einer der stärksten Fußball-Nationen Afrikas entwickelt - und gilt als Favorit beim Afrika-Cup.
  • Die Mannschaft wird mit Fußballern aus Europa gefüttert - ohne eine Regeländerung der Fifa wäre das nicht möglich.

Von Florence Niemann

"Glauben Sie, unter den letzten 16 ist eine Karnevalstruppe?" Der Wutmoment von Per Mertesacker bei der WM in Brasilien ist mittlerweile Folklore. Die DFB-Elf wankte im Achtelfinale gewaltig: Natürlich hatten sie beim 2:1-Sieg über Algerien nicht gerade mit Spielwitz und Ideen geglänzt. Aber Algerien war bei weitem nicht der leichte Gegner, den viele erwartet hatten. Vor allem die beiden Offensiv-Kräfte Islam Slimani und Sofiane Feghouli strahlten größte Torgefahr aus. Unvergessen bleiben die Szenen, als Nationaltorwart Manuel Neuer spektakulär als Libero klären musste.

Ein Trainingszentrum mit europäischen Standards

Mittlerweile gehören Les Fennecs, wie die algerische Nationalmannschaft auch genannt wird, zu den stärksten Mannschaften Afrikas. Beim Afrika-Cup in Äquatorialguinea sind sie Anwärter auf den Turnersieg. Bereits im ersten Vorrunden-Spiel gelang ihnen ein 3:1-Sieg gegen Südafrika. Wer sich auf die Suche nach der neuen Kraft im algerischen Fußball begibt, muss zuerst in den Strukturen stöbern.

Das Land investiert viel Geld in den Fußball. Der Bau eines Trainingszentrums in Sidi Moussa 2011, einem Vorort der Hauptstadt Algier, zeigt, wie ernst es dem algerischen Fußballverband ist, den Sport zu modernisieren. Dort sollen sich neben zwei Trainingsplätzen und einem großen Wellness-Bereich mit physiotherapeutischen Einrichtungen auch eine Cafeteria und sogar ein Amphitheater befinden, als Ort für Videoanalysen und Pressekonferenzen.

Finanziert wird diese Modernisierung mit Sponsorengeldern und Turniereinahmen. Neun Millionen Euro bekam der algerische Fußballverband für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft von der Fifa. Bedingt durch ihren Erfolg in Brasilien - erstmalig stand Algerien in einem WM-Achtelfinale - ergaben sich weitere lukrative Geschäfte. Der nationale Telekom-Vertreter, Mobilis, zahlte 25 Millionen Euro für einen Vier-Jahres-Vertrag als offizieller Sponsor und Adidas drei Millionen Euro für ein weiteres Engagement als offizieller Ausstatter der algerischen Mannschaft.

Doch es liegt nicht nur am Geld. Dass der Fußball in dem nordafrikanischen Land so einen Aufschwung erlebt, ist auch das Verdienst des ehemaligen Verbandspräsidenten Mohamed Raouraoua. 2003 bewirkte der Fußballfunktionär bei der Fifa eine Regeländerung, die die internationale Spielberechtigung betrifft: U21-Spielern mit doppelter Staatsbürgerschaft, die bereits Pflichtspiele für ein anderes Land bestritten hatten, war es nunmehr erlaubt, die Nationalmannschaft noch einmal zu wechseln. Von dieser Regeländerung profitierten vor allem Afrikas Fußballverbände, die seitdem mit in Europa ausgebildeten Talenten gefüttert werden.

Ein bekanntes Beispiel aus der Bundesliga ist der frühere Bochum- und Kaiserslautern-Profi Anthar Yahia. 1998 debütierte der französisch-algerische Innenverteidiger in Frankreichs U16-Auswahl. Fünf Jahre später qualifizierte er sich mit Algeriens U23-Nationalmannschaft für die Olympischen Spiele in Athen und schoss im Qualifikationsspiel gegen Ghana den entscheidenden Treffer. Daraufhin wurde er für die algerische A-Nationalmannschaft nominiert, mit der er 2004 das Viertelfinale des Afrika-Cups erreichte. Acht Jahre spielte Yahia für Algerien - ohne das geänderte Reglement wäre das nie möglich gewesen.

2009 stimmte die Fifa einer erneuten Anpassung zu, die Raouraoua beantragte. Ab sofort dürfen Spieler unabhängig von ihrem Alter die Nation wechseln, auch wenn sie bereits Pflichtspiele in einer Junioren-Nationalmannschaft gemacht haben. Kevin-Prince Boateng ist wohl der bekannteste Profi, der dieses Reglement zu seinem Vorteil nutzte. Der Mittelfeldspieler des FC Schalke 04 wechselte 2010 in die ghanaische Fußball-Nationalmannschaft - dabei hatte er zuvor bereits in der deutschen Junioren-Auswahl gespielt.

17 der 23 Spieler in Frankreich geboren

Solche Sprunghaftigkeit finden im Weltfußball nicht alle gut. "Diese Regel leuchtet mir nicht ein und öffnet Tür und Tor", sagte Bundestrainer Joachim Löw damals der Zeitung Welt. Das Problem: Viele Fußballer können jetzt zwischen ihrer Nationen-Zugehörigkeit wechseln.

Im algerischen Team sind 17 der 23 Spieler, die beim Afrika-Cup nominiert sind, in Frankreich geboren. Viele von ihnen sind Nachkommen algerischer Einwanderer. Viele von ihnen besuchten in ihrer Jugend die Fußball-Akademien in Lille, Lyon oder Marseille. Aber nur wenige von ihnen schafften den Sprung in die französische Équipe tricolore, so wie Real Madrids Karim Benzema oder Manchester Citys Samir Nasri. Die meisten Spieler wollen zurück zu ihren Wurzeln, so wie Sofiane Feghouli - der Spieler, der Deutschland im Achtelfinale in Porto Alegre mit schönen Tricks und frechen Schüssen mächtig ärgerte.

"Algerien ist die beste Mannschaft in Afrika", sagte der ehemalige ghanaische Fußballer Solomon Assante erst im Dezember vergangenen Jahres dem algerischen Internetdienst Horizon quotidien national d'information. Man könnte meinen, das sei eine Warnung an sein Heimatland, das in der Vorrunde des Afrika-Cups als Nächstes auf Algerien trifft. Ghana zählt zu den erfolgreichsten Fußball-Mannschaften des afrikanischen Kontinents. Das Land stand bereits acht Mal im Finale des Turniers. Und die Ghanaer wissen, wie man eine deutsche Mannschaft ärgert - das haben sie in der Gruppenphase der WM beim 2:2-Unentschieden unter Beweis gestellt.

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