Algerien bei der Fußball-WM:Selbst der Stoiker heult

Algeria's coach Vahid Halilhodzic reacts during extra time in their 2014 World Cup round of 16 game against Germany at the Beira Rio stadium in Porto Alegre

Umstrittene Leitfigur: Vahid Halilhodžić.

(Foto: REUTERS)

Tapfer gekämpft und doch ausgeschieden: Die Leistung der algerischen Nationalmannschaft im WM-Achtelfinale findet in der Heimat große Anerkennung. Nur ein Thema trübt die Stimmung: Nimmt Trainer Halilhodžić Abschied?

Von Dominik Fürst

Als das Drama beendet war, als die Pfeife von Schiedsrichter Sandro Ricci nach 120 Minuten ein letztes Mal ertönte, ließen sich ein paar Algerier erschöpft auf den Rasen plumpsen. Die anderen klatschten ihre Mitspieler ab oder beglückwünschten die deutschen Gegner zum 2:1-Erfolg nach Verlängerung und dem Einzug ins Viertelfinale der Fußball-WM.

Nur einer stand da wie gelähmt am Spielfeldrand: Es war der algerische Trainer Vahid Halilhodžić, der dort ausharrte. Die Arme verschränkt, den Kopf gesenkt. Als einer seiner Spieler auf ihn zukam, um ihm die Hand zu schütteln, sah es kurz aus, als würde er aus einem Traum erwachen.

Schließlich setzte auch er sich in Bewegung, machte sich auf zu seinen Spielern, die dem Favoriten aus Deutschland Gegenwehr geboten hatten bis zum endgültigen K. o. durch Özils 2:0 in der 120. Minute. Und dann umarmte er seine ausgepumpten Sportsmänner. Einen nach dem anderen, erst da wurde klar: Vahid Halilhodžić, der vielleicht größte Stoiker seit dem beinahe sprachlosen Walerij Lobanowski aus der Ukraine, er weinte.

Es waren nicht die ersten Tränen dieser WM und es werden nicht die letzten bleiben, doch wieder einmal hat der Fußball seine ganze Dramatik aufgeboten, um sogar diesen coolen Bosnier aus der Fassung zu bringen. Dass sein Team, die große Überraschungsmannschaft im WM-Achtelfinale, nun aus Brasilien abreisen muss, schmerzte ihn sehr.

2:1 gewannen die Deutschen, und es fällt schwer, von einem verdienten Sieg zu sprechen. Nach all den Schwierigkeiten, die die Algerier ihrem Gegner bereitet hatten, bleibt die Erkenntnis: Die Nordafrikaner waren verdammt nah dran an der Sensation. In der 16. Minute hatte Stürmer Islam Slimani nach einem der zahlreichen schneidigen Konter mit einem Kopfball gar Manuel Neuer überwunden - doch der Linienrichter wedelte Abseits. Immer wieder bedrängten die Außenseiter das deutsche Team im Mittelfeld, gleich mehrere gefährliche Angriffe waren die Folge.

Ein Algerier wird "Man of the Match"

"Ich bin schon sehr stolz auf diese Mannschaft. Wir haben der ganzen Welt gezeigt, dass Algerien eine tolle Mannschaft besitzt. Spätestens jetzt kennen alle unsere Qualitäten. Wir haben bis zum Ende alles gegeben. Es war eine tolle WM von uns", sagte Abwehrspieler Madjid Bougherra nach der Partie.

Auch der deutsche Bundestrainer Joachim Löw musste zugeben, dass Algerien "oft unser Pressing umgangen und lange Bälle gespielt" hat. Taktisch agierten die Nordafrikaner äußerst geschickt - weit und präzise nach vorne, das klappte vortrefflich. "Da waren wir sehr anfällig, und die haben das richtig gut gemacht. Da war es gut, dass Manuel die Bälle abfangen konnte", räumte Löw ein. Vielleicht ist Torwart Manuel Neuer der einzige Grund, warum nun die deutsche Nationalmannschaft im WM-Viertelfinale auf Frankreich trifft, und nicht Algerien.

Neuers Gegenüber im Tor, Raïs M'Bholi, wurde später zum "Man of the Match" gewählt - verdientermaßen, denn der Mann von ZSKA Sofia war mehrfach zur Wand mutiert. Erst in der Verlängerung war er schließlich machtlos bei den beiden Gegentoren durch André Schürrle (92.) und Özil (119.), doch M'Bholi wusste nach dem Spiel, was sein Team geleistet hatte: "Wir sind sehr enttäuscht, da wir das Gefühl hatten, eine Chance zu haben. Trotzdem sind wir Teil der algerischen Fußball-Geschichte, denn wir sind die erste Mannschaft, die so weit gekommen ist. Wir werden darauf für die Zukunft aufbauen."

Die Menschen in der Heimat wussten es zu würdigen: In der Hauptstadt Algier feierten die Menschen noch lange nach dem Schlusspfiff, zahlreiche Feuerwerkskörper erhellten die Nacht, während viele Fans auf dem zentralen Platz La Grande Poste zusammenkamen und sangen. Kilometerlange Autokorsos brachten den Verkehr zum Erliegen. Nordafrikas Fußballstolz heißt derzeit Algerien. "Auf Wiedersehen und Danke, Ihr Grünen", schrieb die Zeitung La Gazette du Fennec auf ihrer Internetseite, das Blatt Libération sprach von einem "epischen Spiel".

So blieb am Ende nur ein Thema, das auch die Zeitungen umtrieb, und das nicht so recht in die algerische Partystimmung passen wollte: Es ging um die Zukunft von Coach Vahid Halilhodžić. Die Fans in Porto Alegre feierten ihn nach dem Abpfiff zwar lautstark und die Spieler bedankten sich ausdrücklich bei ihrem abgebrühten Boss. Während dieser WM hatte der Bosnier eine bestens organisierte Einheit geformt, mit dem immer gleichen Gesichtsausdruck war er eine Mischung aus Bruno Jonas und Dominique Strauss-Kahn. Doch zu Hause gilt Halilhodžić als umstrittene Leitfigur, deren Vertrag in Kürze ausläuft - sein Rücktritt als Nationaltrainer ist sehr wahrscheinlich.

Die Pressekonferenz nach dem Spiel schwänzte der Bosnier, und doch war es ein Abschied in Würde. Wortlos zog Halilhodžić an den Journalisten vorbei - noch immer standen ihm die Tränen in den Augen.

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