Es ist erst sechs Uhr in der Früh, als Alexandra Shaw sich in den Videocall einwählt. Sie lebt sonst an der US-amerikanischen Ostküste, im Bundesstaat South Carolina, gerade aber ist sie in Kalifornien unterwegs, Westküstenluft schnuppern. Die Verbindung wackelt etwas, aber die gebürtige Nördlingerin, breites Grinsen und ein Shirt mit der Aufschrift „Everyone watches women’s sports“, ist trotzdem schon bester Laune.
Dass Shaw, 41, fast rund um die Uhr erreichbar ist – und die Anrufe dann auch noch so entspannt annimmt –, ist auch ihrem Job geschuldet: Als Agentin vertritt sie amerikanische, kanadische, finnische, französische, serbische, schwedische und deutsche Profi-Basketballerinnen, arbeitet also zu fast jeder Tages- und Nachtzeit gegen die Zeitzonen. Bei den deutschen Spielerinnen sind es vor allem die Besten der Besten, die sich von ihr vertreten lassen: Neun von 14 Spielerinnen des derzeitigen Nationalkaders stehen bei ihr unter Vertrag, dazu Spielerinnen aus fast allen Vereinen der ersten Bundesliga. Insgesamt betreut Shaw rund 50 Athletinnen für die Agentur Scorers 1st Sports Management. Ihr Mann Ty Shaw, der wie sie früher professionell Basketball spielte, unterstützt sie dabei. Sie vermitteln internationale Spielerinnen in die deutsche Bundesliga, aber auch Spielerinnen aus Opladen, Berlin, Wasserburg oder Nördlingen an Vereine in der ganzen Welt.
Und dort ist das Interesse an den German Exports zuletzt massiv gestiegen. Alexandra Shaw hat die Ansbacherin Luisa Geiselsöder an den WNBA-Verein Dallas Wings vermittelt, für die Landsbergerin Leonie Fiebich einen Werbedeal mit Nike eingefädelt und den ersten Einsatz einer deutschen Spielerin in Taiwan in die Wege geleitet: Marie Gülich läuft dort seit ein paar Monaten für die Super Basketball League auf und avancierte direkt zur Superscorerin. „Die Entwicklung ist enorm“, erzählt Shaw. „Damals musste ich für Einsätze kämpfen, jetzt bekomme ich regelmäßig Angebote aus dem Ausland. Da hat sich wirklich unheimlich viel getan.“

Dass sich die deutschen Basketballerinnen im Ausland immer größerer Beliebtheit erfreuen, ist eine Entwicklung, die auch Alexandra Shaw zu verdanken ist – und ihrem Bestreben, eine Rolle zu übernehmen, deren Abwesenheit sie während ihrer Karriere selbst deutlich gespürt hat. Shaw wächst in Wasserburg auf, erlernt das „Basketball-Einmaleins“, wie sie es nennt, bei Imre Szittya, seines Zeichens eine ungarisch-bayerische Trainerlegende, bei dem auch Geiselsöder und Fiebich später trainieren. Shaw spielt in der Bundesliga für Nördlingen und Wasserburg, gewinnt deutsche Meisterschaften und den DBBL-Pokal, absolviert fast 100 Spiele für die deutsche Nationalmannschaft. Nebenbei studiert sie BWL, lässt sich heimlich Unterrichtsmaterialien von ihren Kommilitoninnen aus Ludwigsburg mitbringen und erscheint nur zu Klausuren in der Uni. „Ein Fernstudium gab es damals noch nicht“, sagt sie lachend.
Bei Gehaltsverhandlungen „ist es einfach viel leichter, wenn jemand für einen einsteht“
Was damals ebenfalls fehlt: Agentinnen, die verstehen, was die Spielerinnen benötigen. „Wir hatten gefühlt alle immer die gleichen Probleme mit unseren Vereinen“, sagt Shaw. Aber die Agenten, die damals auf sie und ihre Mitspielerinnen zugekommen wären, hätten kein Verständnis gehabt für die Probleme, mit denen die Frauen sich herumschlagen mussten. Zu spät oder gar nicht ausgezahlte Gehälter; Dinge, die in der vom Verein bereitgestellten Wohnung fehlten, obwohl sie vertraglich festgehalten waren; Abstimmungsschwierigkeiten mit den Vorgesetzten, wenn der Wunsch nach einem Wechsel groß war. Und natürlich: die Gehaltsverhandlungen. „Da ist es einfach viel leichter, wenn jemand für einen einsteht.“ Nachdem Shaw ihr Studium beendet, sich ins Berufsleben stürzt und ihre Basketballkarriere auslaufen lässt, merkt sie: Vielleicht kann sie selbst diese Person sein, die für andere einsteht.
„Ich wollte vor allem für die Spielerinnen da sein“, sagt sie. 2013 klopft sie bei Scorers 1st an, erhält grünes Licht und darf den Bereich „Female Players“ aufbauen – der bis dahin nicht existiert. Die ersten Klientinnen sind schnell akquiriert. Es sind Spielerinnen, mit denen sie zuvor zusammen trainiert hat. Die Nationalspielerin Margret Skuballa beispielsweise, die in Frankreich spielen will. „Aber die Franzosen sind nun mal eine sehr stolze Basketballnation“, erzählt Shaw lachend, „und Deutschland hat damals nicht einmal Basketball-EM gespielt. Sie hatten kein Interesse an einer Spielerin aus einer Liga, die sie nicht kannten. Wir waren Nobodys!“ Nach viel Überzeugungsarbeit und einigen schlaflosen Nächten vermittelt Shaw die Flügelspielerin doch noch nach Nantes. Dort kann Skuballa sich etablieren – und Shaw beginnt, weitere Kundinnen zu finden. „Ich habe viel rekrutiert am Anfang, aber irgendwann hat es sich herumgesprochen, was ich mache.“
Shaw scoutet, besucht Spiele, Lehrgänge und Turniere, verschickt Videos ihrer Spielerinnen an Vereine, telefoniert hinterher. Sie erwirbt die notwendigen Lizenzen, um Spielerinnen in Europa und den USA zu vermitteln, findet Partner in der WNBA, in der Euroleague in Spanien und Frankreich, und natürlich in der DBBL. „Es war viel learning by doing“, erinnert sie sich. Anfangs macht sie das neben ihrem regulären Job, arbeitet rund um die Uhr. „Ich wünschte, ich hätte von Anfang an in Vollzeit einsteigen können.“ Aber ihr Gehalt speist sich aus den Vertragsabschlüssen der Spielerinnen, die damals verschwindend gering sind – und sich seitdem auch nur langsam entwickeln.
In den USA verdient eine Spielerin im ersten Jahr knapp 70 000 Euro, in Europa liegen die Gehälter oft deutlich niedriger
„Über die Gehälter im Frauenbasketball müssen wir eigentlich nicht sprechen“, sagt Shaw. Fünf bis zehn Prozent des Spielerinnengehalts erhält sie, geldwerte Vorteile wie ein Auto oder eine Unterkunft, die oft zu den Deals zählen, nicht eingerechnet. In den USA verdient eine Spielerin im ersten Jahr knapp 70 000 Euro, in Europa winken mitunter höhere Gehälter – oft liegen sie aber auch deutlich niedriger – wie in Deutschland: „Es gibt Spitzenspielerinnen in der Bundesliga, die bis zu 2500 Euro im Monat verdienen, aber bei einigen sind es auch nur 800 Euro“, sagt Shaw.

Trotz – oder vielleicht gerade – wegen der niedrigen Gehälter vermittelt sie ihre Spielerinnen nicht nur an die Vereine, die am besten zahlen. „Meine Aufgabe ist es, Türen zu öffnen. Es geht um das, was die Spielerin will. Sie muss sich wohlfühlen.“ Zumal die meisten wüssten, dass sie sich auf eine Karriere auf Zeit einließen: „Ich kenne in Deutschland keine Sportlerin, die nur spielt und nicht noch nebenbei studiert oder eine Ausbildung macht. Die Frauen wissen, dass sie mit dem Sport nicht reich werden. Das heißt auch, dass ihre intrinsische Motivation unheimlich hoch ist.“
2016 siedelt Shaw mit ihrer Familie in die USA um, zuerst nach Indiana, dann nach South Carolina. Sie selbst steigt wieder ins Freizeittraining ein – und auch ihr Sohn spielt in der Schule Basketball. Der Sport bestimmt den Alltag der Familie Shaw bis heute: Am Wochenende laufen der Fernseher, das Tablet, der Computer, es klingelt ständig das Telefon, dazu kommen die Statistiken ihrer Spielerinnen, die Shaw parallel studiert. Auch wenn sie sich mit Ligen weltweit beschäftigt: „Mein Basketballherz schlägt immer noch für Nördlingen, da fiebere ich immer mit. Ich finde es bemerkenswert, was die mit ihrem gar nicht mal so großen Budget dort alles umsetzen.“ Und auch sonst ist sie der alten Basketballheimat verbunden geblieben. Sie unterstützt den Bayerischen Basketball Verband (BBV), konzipiert ehrenamtlich Workshops, Basketballcamps und Marketingstrategien.
Grundsätzlich beobachtet sie den deutschen Frauenbasketball mit verhaltenem Optimismus: „Es tut sich was, aber wir sind immer noch meilenweit hinterher.“ Eine „Riesenchance“ sei die anstehende Europameisterschaft, bei der einige Vorrundenspiele in Hamburg ausgetragen werden, sowie die Weltmeisterschaft, die 2026 in Berlin stattfindet. „Aber wir müssen uns weiter professionalisieren, bessere Rahmenbedingungen schaffen. Wir müssen ein Produkt schaffen, das sich besser vermarkten lässt.“ Dann würde man vielleicht auch irgendwann einer Profibasketballerin nicht immer gleich die Frage stellen: „Und, was machst du sonst so?“