Ausraster von Zverev:Die ATP hätte eine Grenze ziehen müssen

Ausraster von Zverev: Der Moment des Ausbruchs in Acapulco: Alexander Zverev malträtiert Ende Februar beim Turnier in Mexiko den Schiedsrichterstuhl, auf dem der Italiener Alessandro Germani erschrocken zusammenzuckt.

Der Moment des Ausbruchs in Acapulco: Alexander Zverev malträtiert Ende Februar beim Turnier in Mexiko den Schiedsrichterstuhl, auf dem der Italiener Alessandro Germani erschrocken zusammenzuckt.

(Foto: Marcos Dominguez/AP)

Die Tennistour lässt Alexander Zverev nach dessen Ausraster gegen den Schiedsrichter in Acapulco auf Bewährung weiterspielen. Damit versäumt es die ATP, ein klares Zeichen zu setzen.

Kommentar von Gerald Kleffmann

Natürlich könnte man sagen: Er ist genug bestraft worden. Alexander Zverev war Ende Februar nach seiner verbalen Attacke gegen den Schiedsrichter und den Wuthieben mit dem Schläger gegen den Stuhl, auf dem der Italiener Alessandro Germani zusammenzuckte, für den weiteren Verlauf des Turniers in Acapulco disqualifiziert worden. Sein Preisgeld wurde einbehalten, er musste 40 000 Dollar zahlen. Nun sind weitere 25 000 Dollar fällig, dazu die Warnung: Sollte er sich binnen Jahresfrist danebenbenehmen, wird er für acht Wochen gesperrt. Klingt hart. Aber das ist es nicht.

Ob Zverev, bekanntlich Besserverdiener, der Geldabzug schmerzt, sei dahingestellt. Mit nur einem Erstrundensieg bei den French Open hätte er den Verlust nivelliert. Schon am vergangenen Wochenende griff er zudem zum Schläger. Für ihn geht es ohne Einschränkung weiter. In Rio hatte der Weltranglisten-Dritte das deutsche Davis-Cup-Team zum Erfolg geführt und die dortigen Zuschauer, durchaus eine Pointe, für deren rüdes Verhalten kritisiert. Fast wirkte es so, als sei nichts gewesen.

Aber damit täte man Zverev unrecht. Er hat eingesehen, dass er Mist gebaut hat. Er hat sich entschuldigt. Dass er, obwohl er das neue Davis-Cup-Format ablehnt, spontan nach Brasilien geflogen war, darf man als Bußgang und Versuch einer Imagekorrektur verstehen. Die falsch gewichtete Sanktion hat er ohnehin nicht zu verantworten.

Fognini nannte eine Schiedsrichterin eine Schlampe, Medwedew fragte einen Schiedsrichter, ob er dumm sei

Hier gerät die ATP, die Vereinigung der Berufsspieler, in den Fokus, und natürlich stellt sich die Frage, ob eine Organisation gerecht über jene richten kann, deren Interessen sie vertritt. Die Antwort liegt nahe: Ein solcher Sportbetrieb wird stets Schadensbegrenzung in eigener Sache betreiben. Sperrt man Zverev, leidet das eigene Produkt. Also lautet die Abwägung: Welche Strafe ist einem der unseren zumutbar, symbolisiert aber genügend Härte nach außen? So war es auch jetzt. Nun ist der Fall abgehakt. Doch es bleibt ein schales Gefühl.

Andere Sportarten machen längst vor, dass das geht: Fehlverhalten nachvollziehbar zu bewerten. Der Spitzensport hat immer noch eine Vorbildfunktion. Basketball etwa ist beispielhaft darin, die Schiedsrichter zu schützen. Eine Geste reicht, um zu fliegen. Im Tennis? Fabio Fognini rief einmal einer Schiedsrichterin zu, sie sei eine Schlampe. Daniil Medwedew fragte bei den Australian Open den Schiedsrichter, ob er dumm sei. Keiner wurde gesperrt, nicht mal für ein Match. Im Fußball genügt eine Grätsche.

Ja, Bad Boys braucht der Tennissport, der von Individuen lebt. Unvergessen die putzigen Tiraden von John McEnroe ("You cannot be serious"). Nick Kyrgios warf einmal einen Stuhl auf den Platz wie ein Hammerwerfer. Gab gute Haltungsnoten (und eine Disqualifikation, aber natürlich keine Sperre). Doch Zverev hat in Kauf genommen, einen Menschen womöglich zu verletzen. In solchen Fällen sollte eine Grenze gezogen werden. Dieses Zeichen klar zu senden, hat die ATP versäumt.

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