Am vergangenen Freitag weilte Alexander Zverev noch in Monte-Carlo. Er lebt ja an der Côte d’Azur, wenn er nicht gerade beruflich unterwegs ist, er wollte ein paar Tage abschalten. Da erhielt er am Nachmittag einen Anruf, den er so noch nie erhalten hatte. „Mein Team entschied für mich: Wir fahren jetzt nach Hamburg.“ Zverev, so schilderte er es am Samstag in einem englischsprachigen Interview mit der ATP-Tour, antwortete erstaunt: „Wirklich?“ - „Ja.“ - „Okay, fahren wir nach Hamburg.“
So kam es, dass der Weltranglistendritte nun doch überraschend in seiner Geburtsstadt das ATP-Turnier in dieser Woche bestreitet, das seit Sonntag läuft. Zverev erhielt eine Wildcard, einen bis zuletzt offen gehaltenen Startplatz im Hauptfeld.
Dieser Vorgang war insofern ungewöhnlich, als Zverev in der Regel schon derjenige ist, der selbst über sein Schicksal richtet, als CEO der Zverev-AG. Als er gefragt wurde, ob er schon mal derart überstimmt wurde, lachte er erst mal herzlich. „So noch nie“, gab er amüsiert zu. Um dann ernst zu werden. „Aber ich vertraue ihnen. Wir stimmten alle ja miteinander überein: Mein Tennis geht in die richtige Richtung. Aber ich war mental schlecht drauf gegen Musetti.“
„Ich liebe den Center Court. Die Leute pushen mich durch die Matches“
Zverev sprach von seiner Niederlage jüngst im Viertelfinale des Masters-Turniers in Rom gegen den Italiener Lorenzo Musetti. Sein Tennis, in dieser Saison von Wankelmütigkeit geprägt, habe sich stabilisiert. Doch gegen den Weltranglistenneunten agierte er schlecht, nicht nur spielerisch: „Ich war sehr negativ mir selbst gegenüber. Ich war sehr negativ auf dem Platz. Auch nach dem Match mir gegenüber.“ Eigentlich wollte Zverev danach pausieren, bis das zweite Grand-Slam-Turnier der Saison beginnt, die French Open in Paris (ab 25. Mai). Aber sein Team – Vater Alexander senior, Manager Sergej Bubka, Bruder Mischa – sahen das anders.
„Der Grund ist“, erzählte Zverev, seit Samstag in Hamburg: „Sie sahen meine Mentalität. Sie sahen, wo ich war. Ich verstehe das komplett, ich brauche Positivität vor den French Open.“ Genau darum geht es jetzt für ihn, den Mentalitätssuchenden: sich innerlich neu auszurichten. So eine Aufgabe hatte er sich noch nie gestellt, ein Novum. Und natürlich, so sieht er das, ist das Traditionsturnier am Hamburger Rothenbaum ideal dafür geeignet. „Ich liebe das Hamburger Turnier, ich liebe den Center Court. Die Leute pushen mich durch die Matches.“
Deutschlands bester Tennisprofi, aktuell die Nummer drei der Weltrangliste, ist weit davon entfernt, in einer Krise zu sein. Aber Zverev gibt auch zu verstehen, dass er sich tiefe Gedanken darüber macht, wie er wieder verlässlich erfolgreicher sein könnte. Für Kristoff Puelinckx ist das nachvollziehbar. Der Belgier ist Chef der Agentur Tennium, die vom Deutschen Tennis-Bund bis 2028 die Lizenz für das Hamburger Turnier gepachtet hat. „Es ist normal, dass Spieler in ihrer Karriere Höhen und Tiefen haben“, sagt Puelinckx der SZ. „Manchmal müssen sie die Liebe und Unterstützung ihrer Fans spüren. Und mit ein paar guten Matches erhält das Selbstvertrauen einen Boost. Es ist eine lange Saison, sie ist mental hart.“ Puelinckx ist sich sicher: „Wenn er hier gut spielt, kann sich das absolut positiv auf Roland Garros für ihn auswirken.“ In Frankreich werden die French Open so genannt.
Das Turnier ist auch dankbar: Zverev kommt nun als Retter eines ausgedünnten Tableaus
Für das Hamburger Turnier ist Zverevs kurzfristige Zusage aber auch ein Glücksfall. Erstmals findet die Veranstaltung nicht mehr im Juli am Ende der Sandplatzsaison, sondern direkt vor den French Open statt. Viele Topspieler wollten teilnehmen, viele sagten aber auch umständehalber ab, etwa Jannik Sinner (Italien), Musetti, Tommy Paul (USA), Stefanos Tsitsipas (Griechenland) und Holger Rune (Dänemark). „Wir sind sehr begeistert, dass er hier im letzten Moment zugesagt hat“, sagt Puelinckx. „Er ist sehr wichtig für uns. Einen Lokalmatador zu haben, ist immer besonders.“ Vor allem, wenn er als Retter eines ausgedünnten Tableaus erscheint.
Aber auch Zverev erhofft sich ja Rettung, in Form von Seelenpflege. Auf der Pressekonferenz in Hamburg blühte er schon mal unüberhörbar auf. „Hamburg ist ein Ort für mich, der sehr viele positive Emotionen aus mir rausbringt und etwas in mich bringt, was ich jetzt gerade brauche“, betonte er. Wie ihn die Hamburger, die ihn, nun ein Globetrotter, tatsächlich als einen der ihren betrachten, hat Zverev vor zwei Jahren bei seinem Titelgewinn erlebt und im vergangenen Jahr bei seiner Finalteilnahme, als er gegen den Franzosen Arthur Fils ein hitziges Match verlor und doch gefeiert wurde.
Zverev ist mit seiner ganzen Familie in Hamburg, sie wohnen im Haus seiner Eltern in Hamburg-Lemsahl, das diese immer noch besitzen. Zverev schläft quasi noch in seinem Kinderzimmer. „Ich werde einfach meine Zeit im familiären Umfeld, zu Hause, in meinem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, genießen. Das wird mir relativ guttun“, sagte der 28-Jährige, der kein Problem darin sieht, sollte er das Finale am Samstag erreichen. „Ich werde ja nicht ein Turnier spielen und sagen, ich komm’ jetzt ins Viertelfinale, und das reicht mir dann. Das werde ich nicht machen und habe ich noch nie gemacht. Ich bin hier, um so viele Matches wie möglich zu gewinnen.“ Sein erstes bestreitet er an diesem Montagnachmittag (drittes Match ab 12 Uhr, nicht vor 15.30 Uhr) gegen den Amerikaner Aleksandar Kovacevic.