Alexander Zverev:Vom Titelkandidaten zum Krückenmann und zurück

Alexander Zverev: "Man kommt nicht in ein Halbfinale von Roland Garros, wenn da irgendetwas fehlt", sagt Alexander Zverev, der nicht lange analysieren will, ob seine Form an die beeindruckende vom Juni 2022 heranreicht.

"Man kommt nicht in ein Halbfinale von Roland Garros, wenn da irgendetwas fehlt", sagt Alexander Zverev, der nicht lange analysieren will, ob seine Form an die beeindruckende vom Juni 2022 heranreicht.

(Foto: Ibrahim Ezzat/NurPhoto/Imago)

Nach zwölf nervenzehrenden Monaten ist Alexander Zverev nun wieder an jenem Punkt, an dem er von einer Verletzung jäh gestoppt wurde. An diesem Freitag spielt er bei den French Open um den Finaleinzug.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Vor einigen Tagen stellten sich frühere Tennisprofis, die bei den French Open zum "Legenden-Turnier" antreten, den Medien zur Verfügung. Interessant ist ja immer wieder, wie sich diese Helden von einst so verändert haben oder nicht. Gabriela Sabatini etwa strahlt nach wie vor zeitlose Lässigkeit aus, mancher südamerikanische Reporter begrüßte sie nun aufgeregt mit Küsschen links und rechts. Henri Leconte, der Filou, der hier 1988 im Finale stand, sah aus, als würde er das Leben genießen, seine Augen funkelten frech wie einst. Auch Sergi Bruguera, der Katalane aus Barcelona mit der Vorhandschleuder, dank der er 1993 und 1994 in Roland Garros reüssierte, schlenderte vorbei. Und als er gefragt wurde, warum er und Alexander Zverev sich getrennt hatten - er war bis kurz vor diesem Grand-Slam-Turnier Trainer des Deutschen -, da rief er erst mal aus: "What?"

Er hat dann schnell gelächelt und höflich zur SZ gesagt, er wolle sich nicht tiefergehend äußern, nur so viel: "Ich wünschen ihm das Beste." Bruguera, der bedenkenlos in einem Sergio-Leone-Film mitwirken könnte, betonte noch in feinstem Cowboy-Englisch, als hätte er Kautabak hinter der Lippe: Es sei die Entscheidung beider Seiten gewesen, und generell glaube er, bei Zverev sei es nicht eine Frage, ob er je einen Grand-Slam-Titel holen werde, sondern "nur eine Frage der Zeit".

Selbstredend bedaure er das Ende der Zusammenarbeit, "es ist immer ein bisschen traurig, wenn etwas endet". Aber er freute sich, dass der 26-Jährige ein formidables Turnier spiele - wenn man so lange rausgewesen sei, leide so vieles, "die Automatismen, die Schläge, das Selbstvertrauen". Er bezog sich auf die Verletzung, die Zverev vor einem Jahr in Paris erlitten hatten, einen siebenfachen Bänderriss im rechten Fuß, als er im Halbfinale gegen Rafael Nadal im Sand hängengeblieben war. Dann zog Bruguera fröhlich weiter.

Nun vertraut Zverev wieder vollends seinem Körper und belastet ihn entsprechend

Der besagte Zverev, 26, in Hamburg geboren, in Monte-Carlo zu Hause, sofern man das bei einem durch die Welt reisenden Profi sagen kann, hat tatsächlich bereits jetzt eine bemerkenswerte Leistung geschafft. Der Mann, der im Vorjahr im Rollstuhl von der feuerroten terre battue geschoben wurde, steht erneut, zum dritten Mal in Serie, in der Runde der letzten Vier. An diesem Freitag trifft er auf den Vorjahresfinalisten Casper Ruud aus Norwegen; im anderen Duell, auf das sich die Tennisbranche hyperventilierend freut, messen sich der 22-malige Grand-Slam-Sieger Novak Djokovic und der Spanier Carlos Alcaraz. In dem 20-Jährigen sehen viele den legitimen Nachfolger Nadals, des 14-maligen French-Open-Champions, der diese Saison verletzt aussetzt.

Alexander Zverev: Das vorweggenommene Finale? Das Match zwischen Novak Djokovic (links) und Carlos Alcaraz ist das große Ereignis am Freitag. Sie haben erst einmal gegeneinander gespielt: Der Spanier gewann 2022 in Madrid auf Sand, nach über drei Stunden, 6:7 (5), 7:6 (5), 7:5.

Das vorweggenommene Finale? Das Match zwischen Novak Djokovic (links) und Carlos Alcaraz ist das große Ereignis am Freitag. Sie haben erst einmal gegeneinander gespielt: Der Spanier gewann 2022 in Madrid auf Sand, nach über drei Stunden, 6:7 (5), 7:6 (5), 7:5.

(Foto: Filippo Monteforte; Tiziana Fabi/AFP)

Es sind emotionale Tage für ihn, das ist Zverev anzumerken. Nach eigener Aussage hat er das "schwierigste Jahr meiner Karriere" erlebt, die Reha gestaltete sich lange kompliziert. Flüssigkeit kehrte oft in den Fuß zurück, die Schmerzen dauerten an, einen Comebackversuch beim Davis Cup in Hamburg beendete er vorzeitig. Einerseits spricht Zverev gern über diese Reise vom Krückenmann zum Semifinalisten, andererseits will er das nicht permanent tun müssen, verständlich.

"Wir können über die Verletzung so oft wir wollen reden, wir können über die Geschichte so oft wir wollen reden. Am Ende des Tages bin ich hier", sagte er ein klitzekleines bisschen genervt nach seinem Sieg in vier Sätzen gegen den Weltranglisten-49. Tomás Martín Etcheverry aus Argentinien, der ihn zu Recht in seiner Spielweise an den einzigartigen Juan Martín del Potro erinnerte. "Ich bin im Halbfinale von Roland Garros", sagte er weiter und wollte nicht groß analysieren, ob seine Form an die beeindruckende vom Juni 2022 heranreiche: "Man kommt nicht in ein Halbfinale von Roland Garros, wenn da irgendetwas fehlt."

In Paris steigerte Zverev, zu dessen Trainerteam nun neben Vater Alexander auch Ex-Profi Tobias Kamke gehört, in jedem Fall sein Niveau auf eine Art, die vor den Pariser Tagen nicht ganz zu erwarten gewesen war. Spielerisch hatte er davor so launisch agiert, wie das Pariser Publikum auf den Sitzplätzen sich gibt. Nun vertraut er wieder vollends seinem Körper und belastet ihn entsprechend, im Gegensatz zu den ersten Monaten nach der Rückkehr: "Auf Hartplatz bin ich nicht so viel gerutscht, wie ich normalerweise rutsche", schilderte er. "Anfang der Sandplatzsaison war ich auch eher vorsichtig. Ich habe nie so richtig meinen ganzen Fuß ausgestreckt beim Sprint."

Ruud, den Zverev für einen "sehr soliden Tennisspieler" hält und in dem er viel Ähnlichkeit mit dem früheren spanischen Spitzenprofi David Ferrer sieht, soll ihn nun nicht aufhalten. "Ich bin nur für den Moment hier", betonte Zverev und beschwor noch einmal die Gegenwart. Es war nicht zu überhören: Er sehnt mehr denn je seinen ersten Grand-Slam-Triumph herbei, den ihm viele Experten prognostizierten, als Zverev 15, 16 Jahre alt war. Zwei Siege - und er würde tatsächlich nicht mehr als der Unvollendete gelten.

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