Alexander Zverev bei den US Open:Ausgeschieden gegen sich selbst

US Open 2017 - Day 3

Hat noch nie die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers erreicht: Tennisprofi Alexander Zverev.

(Foto: AFP)
  • Alexander Zverev verliert in der zweiten Runde der US Open 6:3, 5:7, 6:7(1), 6:7(4) gegen Borna Coric.
  • Er selbst spricht von einer Katastrophe - es ist vor allem dieses Anspruchsdenken, das zu Zverevs Niederlage beiträgt.

Von Jürgen Schmieder, New York

Katastrophal. Das war für Alexander Zverev der einzig zulässige Begriff bei der Beurteilung dieser Partie. Der Deutsche wollte die US Open gewinnen. Er verlor in der zweiten Runde, 6:3, 5:7, 6:7(1), 6:7(4) gegen Borna Coric (Kroatien). "Katastrophal" ist natürlich ein viel zu extremer Begriff für eine Niederlage beim Tennis. Es ist aber interessant, dass Zverev ihn immer wieder verwendet hat an diesem Abend, weil es viel aussagt über diesen jungen Mann, der unbedingt der beste Spieler der Welt sein möchte. Es ist auch wichtig, dass sein Bruder Mischa gleichzeitig auf einem Nebenplatz seine Zweitrundenpartie mit 6:3, 6:2, 3:6, 6:7(3), 7:5 gegen Benoit Paire (Frankreich) gewonnen hat.

"Bei den Seitenwechseln konnte ich auf den Bildschirm im anderen Stadion gucken", sagte Mischa danach. "Ich habe zwar den Zwischenstand nicht gesehen, aber erkannt, dass sie immer noch spielen. Das habe ich vier Sätze lang getan und irgendwann gedacht, dass sie doch längst fertig sein müssten. Im fünften Satz habe ich mich dann lieber mal nur auf meine Partie konzentriert." Mischa, 30, ist zehn Jahre älter als sein Bruder, er ist mit Schlagfertigkeit und Selbstironie gesegnet, beurteilt eine Tennispartie mit gemäßigteren Begriffen und gibt bisweilen interessante Einblicke in die Psyche seines Bruders.

"Er sagt immer gleich katastrophal, auch wenn das natürlich nicht stimmt", sagte Mischa. "So war er aber schon immer. Als er im Alter von zehn Jahren einen Fehler beim Rückhand-Cross gemacht hat, da hat er gleich gerufen: 'Katastrophal!' Ich habe ihm gesagt: 'Ach komm schon, du bist zehn Jahre alt, das ist schon okay.' Seine Reaktion: 'Nein, das ist nicht okay, wir üben das jetzt noch zehn Mal, bis ich keinen Fehler mehr mache.' Er erwartet von sich selbst sehr viel. Das ist gut, weil es ihn besser werden lässt. Es kann manchmal aber auch nicht so gut sein, wenn es eng wird und nicht so gut läuft."

Die Partie gegen Coric war so eine, in der es eng wurde und nicht so gut lief. Alexander regte sich fürchterlich über sich selbst auf, nach jedem Fehler sah er mit einem Das-kann-doch-jetzt-nicht-wahr-sein-Blick zu seinen Begleitern. Er betrachtete, das war deutlich zu sehen, dieses knifflige Match nicht als Herausforderung, sondern als nervige Angelegenheit. "Es ist ja nicht so, dass ich gegen Roger Federer verloren hätte. Ich habe im zweiten und dritten Satz sehr, sehr schlecht gespielt", sagte er hinterher: "Ich hätte den dritten und vierten Satz dennoch gewinnen müssen, weil ich bis zum Tie Break der bessere Spieler war."

Das ist der entscheidende Satz dieses Abends: Alexander hätte diese Partie gewinnen müssen, so wie er bereits in Wimbledon gegen Milos Raonic hätte gewinnen müssen. Er hat jedoch verloren und bei allem Talent, allem Ehrgeiz und ersten Erfolgen bei größeren Turnieren noch nie die zweite Woche bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht. "Natürlich habe ich die Auslosung gesehen und bemerkt, dass ich hier Großes erreichen kann", sagte er: "Nun bin ich in der zweiten Runde ausgeschieden."

Der Maßstab für Alexander ist nicht der Typ auf der anderen Seite des Netzes, sondern immer nur er selbst. Er ist ein ehrgeiziger Perfektionist, der stets noch besser werden möchte, alles andere als Unfehlbarkeit lässt ihn verzweifeln. Der Snookerspieler Ronnie O'Sullivan hat eine Partie mal deutlich in Führung liegend verzockt, weil er seiner Meinung nach nicht perfekt genug agiert hatte. Der Fußballtrainer Pep Guardiola hat den Stürmer Thierry Henry mal nach einem Treffer ausgewechselt, weil er, um diesen Treffer zu erzielen, von der laut Guardiola perfekten Strategie abgewichen war. Zu einem gesunden Selbstbewusstsein gehört bei allem Streben nach Perfektion allerdings auch das Akzeptieren der eigenen Fehlerhaftigkeit.

Der Unterschied zu Roger Federer

Es lohnt, sich die Erstrunden-Partie von Federer ins Gedächtnis zu rufen. Er spielte für seine Verhältnisse nicht besonders gut, Alexander Zverev würde das wohl "katastrophal" nennen, doch Mimik und Körpersprache von Federer transportierten eher die Botschaft: "Hoppla, das läuft aber nicht besonders gut und scheint aufgrund der feinen Leistung meines Gegners ziemlich spannend und ein guter Test also für spätere Partien zu werden." Federer gewann in fünf Sätzen - und aus aktuellem Anlass kurz die Frage: Weiß heute noch jemand, gegen wen Federer beim Wimbledon-Sieg vor wenigen Monaten in der ersten Runde gespielt und wie das Ergebnis gelautet hat? Eben, völlig egal, wie der Turnierstart gelaufen ist.

Alexanders Mimik und Körpersprache gegen Coric dagegen vermittelten: Ist das eine Katastrophe hier! Mit jedem Fehler wurde er wütender, verkrampfter. "Weil er so viel von sich erwartet, hat er das Gefühl, dass er so einen Gegner glatt schlagen muss", sagt Bruder Mischa: "Wenn es dann nicht perfekt läuft, dann macht er sich Gedanken. Bei Federer dagegen hast du nie das Gefühl, dass er nervös würde oder gar Angst vorm Verlieren hätte. Man muss sich auch verzeihen können und eine nicht ganz so perfekte Partie als positives Erlebnis betrachten und nicht als Katastrophe."

Es heißt nun, dass die Erwartungen womöglich zu hoch gewesen seien. Das ist Quatsch. Diese Erwartungen sind völlig gerechtfertigt, Alexander ist einer der besten Tennisspieler der Welt. Er weiß das. Was er vielleicht noch nicht weiß: Der Sieger eines Grand-Slam-Turniers spielt nicht sieben Partien lang perfekt. Der Sieger eines Grand-Slam-Turniers gewinnt am Ende gerade einmal 55 Prozent seiner Ballwechsel. Das Scheitern im Kleinen ist beim Tennis ein wesentlicher Bestandteil des großen Ganzen.

Das wird Bruder Mischa bei seiner nächsten Partie gegen den Aufschlag-Virtuosen John Isner (USA) erleben, den er bei den Australian Open besiegt hat. "Das wird eine nervenaufreibende Partie. "Ich muss wohl ein paar Returns ins Feld spielen und geduldig bleiben", sagt er. "Ich darf keinesfalls weiter denken als diese Partie. Mama hat war vor dem Turnier gesagt: 'Das Feld ist weit offen, ihr könntet im Viertelfinale gegeneinander spielen.' Ich habe geantwortet: 'Ach schön, dann habe ich ja bis zum Halbfinale keine schwierigen Gegner.' Aber man sieht ja, wie schnell das alles vorbei sein kann."

Wer Alexander in den vergangenen Jahren erlebt hat, der sieht, dass er langsam ein bisschen was von der wunderbaren Gelassenheit seines Bruders übernimmt. Natürlich ärgert er sich noch immer massiv über Niederlagen, er sagt aber auch: "Es ist enttäuschend, aber letztlich nur ein weiterer Schritt. Das Leben geht weiter." Das hört sich dann schon besser an als "katastrophal".

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