Alexander Winokurow bei der Tour de France:Im feinen Hemd der Unschuld

Lesezeit: 3 Min.

Der Chef mit seinem Besten: Astana-Generalmanager Alexander Winokurow (ganz links) auf einer Trainingsfahrt mit Vincenzo Nibali. (Foto: Laurent Cipriani/AP)

Telekom-Fahrer, Olympiasieger, Doping-Trickser: Alexander Winokurow ist seit langem eine prägende Figur des Radsports. Jetzt leitet er die Astana-Combo - dort tummeln sich neben dem Tour-Führenden Vincenzo Nibali mehrere dubiose Personen.

Von Johannes Aumüller, Nîmes

Die hellblaue Ecke der kasachischen Astana-Mannschaft ragt selbstredend heraus in diesem wie üblich wohlorganisierten Chaos, das wegen der vielen Menschen und Vehikel vor der Startlinie herrscht. Der Mannschaftsbus ist hellblau, die Begleitwagen sind hellblau, und natürlich schlendern auch die meisten der geschäftigen Herrschaften hier in hellblauen T-Shirts umher. So hellblau wie der Himmel an seinen schönsten Tagen - und so hellblau wie die Nationalfahne Kasachstans an allen Tagen. Wer hier nicht himmelblau trägt, muss eine besondere Rolle innehaben.

So wie der Priester aus dem Trentino, schwarzes Oberhemd. Dann im weißen Shirt Wadim, ein kräftiger Ukrainer, der schon mal die Rallye Dakar gefahren ist und jetzt täglich ein Propaganda-Filmchen über das heitere Leben der Mannschaft während der Tour ins Netz stellt. Natürlich Vincenzo Nibali, Gelbes Trikot, Gesamtführender der Tour. Und dann, im feinen weißen Stoffhemd: Alexander Winokurow, der Anführer dieser Truppe.

Alexander Nikolajewitsch Winokurow, 40 Jahre, kasachischer Nationalheld, Olympiasieger - und vor allem ein prägender Vertreter jener schmutzigen Zeit, die der Radsport so gerne für beendet erklären möchte. In den Nullerjahren war er Mitglied der Telekom-Mannschaft, als es dort systematisches Doping gab. Später musste er zugeben, Klient des verurteilten italienischen Sportmediziners Michele Ferrari, "Dottore Epo", gewesen zu sein.

15. Etappe der Tour de France
:Tragisches Ende für Ausreißer-Duo

Weit mehr als 200 Kilometer fahren Martin Elmiger und Jack Bauer zu zweit vor dem Feld - ihr Ausreißversuch endet denkbar knapp vor dem Zielstrich. Stattdessen feiert der Norweger Alexander Kristoff seinen zweiten Etappensieg.

Dann war er Teil der Liberty-Seguros-Equipe, die unter dem Regiment des berüchtigten Manolo Saiz tief in die Affäre um den spanischen Blutpansch-Doktor Eufemiano Fuentes verstrickt war. 2007 wurde er bei der Tour de France positiv auf Fremdblutdoping getestet. Und später gab es den nachdrücklichen Verdacht, dass er den Russen Kolobnjew für einen Erfolg bei Lüttich-Bastogne-Lüttich bestochen haben soll.

Er leugnet bis heute, gedopt zu haben

Irgendwann war er dann mal zurückgetreten, aber seit 2013 leitet er ein höchstpräsidentielles Projekt, das Astana-Team, benannt nach der kasachischen Hauptstadt. Staatsfirmen finanzieren den Rennstall, der autoritäre Herrscher Nursultan Nasarbajew höchstselbst forciert ihn; welch schönere Werbung kann es für sein von Menschenrechtlern massiv kritisiertes Regime geben, als die tagtägliche Astana, Astana, Astana-Dosis auf den Straßen Frankreichs und den Fernsehkanälen des Kontinents.

Neuerdings ist das bereits seit 2006 existierende Team eingebettet in eine größere kasachische Offensive: Auf den Teambussen steht groß "Expo 2017", dann findet in Astana die Weltausstellung statt, und bei Winokurow fällt neben dem weißen Stoffhemd und den weißen Turnschuhen das rote Bändchen an der linken Hand auf, das für Olympische Winterspiele 2022 im kasachischen Almaty wirbt.

Aber zunächst einmal gilt: Bitte das Gelbe Trikot, das Winokurow als Fahrer nie trug, nach Paris bringen. Das hat ihm der Präsident neulich noch mal per SMS mitgeteilt, wusste die L'Équipe zu berichten.

Dafür hat er bei Astana eine wirklich dubiose Combo um sich geschart. Sportliche Leiter wie Dmitrij Fofonow (Dopingsperre 2008), Stefano Zanini (Dopingsperre 2001) oder Gorazd Stangelj (Dopingsperre 2000) gehören dazu - und an der Spitze des Gebildes Giuseppe Martinelli, der früher den Vielschlucker Marco Pantani bei Mercatone Uno zum Tour-Sieg geleitete und danach bei Saeco in der Verantwortung stand, als die Equipe wegen eines Dopingfalles aus der Tour ausgeschlossen wurde.

Dazu kommen Fahrer wie Michele Scarponi, sowohl Fuentes- wie auch Ferrari-Kunde, und der niederländische Arzt Joost de Maeseneer, der früher Chef-Mediziner bei Bjarne Riis' CSC-Rennstall war. Als der Kronzeuge Tyler Hamilton umfassend über Doping auspackte, berichtete er auch davon, dass in seiner Zeit bei CSC die Mannschaftsdoktoren mit medizinischen Ausnahmegenehmigungen (TUEs) getrickst hätten, damit die Fahrer Kortison nehmen konnten; de Maeseneer wies das zurück.

Unterstützt und begleitet von einer solchen Equipe also kraxelt Vincenzo Nibali derzeit so imponierend, dass er sich am Wochenende in den Alpen im Gesamtklassement eine komfortable Führung erarbeitete. Und niemand zweifelt, dass er das bis zum Finale in Paris so hält.

Die Tour, so geht eine alte Weisheit, liebt die Sünder, vor allem die vorgeblich reuigen, die mit tränenerstickter Stimme von einmaligen, aber wirklich nur einmaligen Verfehlungen erzählen und sich dann wieder demütig in die Familie des Pelotons einreihen. Winokurow brauchte nicht einmal das. Er leugnet bis heute, gedopt zu haben - und ist trotzdem als Held mittendrin. In den Kehren der Anstiege sind noch genügend Leute, die sich für ihren früher immer so angriffslustig fahrenden "Wino" begeistern.

Mit Brian Cookson, dem neuen Chef des Radsport-Weltverbandes, habe er sich kürzlich ausgesprochen, sagte Winokurow. Und wenn sich das Feld für den Start sortiert, ist er in der hellblauen Astana-Ecke immer noch ein gefragter Mann. Für Autogramme, für Erinnerungsfotos, für Gespräche über Schützling Nibali. Meist wirkt er etwas verkniffen, aber das Einzige, was er gar nicht mag, sind Fragen nach seinem Lebensthema.

Tour de France
:Sperren, Sprays und Schmerzmittel

Der Radsport erweckt gerne den Eindruck, als sei seine schmutzige Epoche vorbei. Doch das Thema Doping hält sich rund um die Tour de France hartnäckiger, als es den Verantwortlichen und dem führenden Vincenzo Nibali lieb ist.

Von Johannes Aumüller

Ein Reporter probiert es auf Englisch: "Was haben Sie der Mannschaft gesagt, wie wichtig es ist, die Tour sauber zu gewinnen?" Längeres Gemurmel, dann sagt Alexander Winokurow etwas nach der Art seines Standardspruches "Astana ist ein Projekt des ganzen Landes". Der nächste Versuch, diesmal auf Russisch: "Doping ist nach wie vor ein großes Thema bei der Tour." - "Ich denke nicht", sagt Winokurow, "der Sport hat sich geändert."

Mit dieser bemerkenswerten Weltsicht setzt sich Alexander Winokurow ins Auto und rollt dem Feld zum Start hinterher.

© SZ vom 21.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: