Alex Zanardi :Visitenkarte für die Nacht

Der Rennfahrer, der auf zwei Prothesen geht, fährt bei den 24 Stunden von Spa. Ein Paradebeispiel für Inklusion - für den Italiener ein Wettbewerb von vielen: Nächste Woche reist er zur Handbike-WM.

Von René Hofmann

Es klingt wie ein Witz: Treffen sich ein Deutscher, ein Kanadier und ein Italiener, um ein 24-Stunden-Rennen zu bestreiten. Der Deutsche sagt: "Das habe ich noch nie gemacht." Der Kanadier: "Ich auch nicht." Darauf der Italiener: "Macht nichts. Ich auch nicht. Und außerdem fehlen mir beide Beine."

Natürlich ließe sich die Geschichte auch ganz anders beginnen. Richtig ernsthaft. Sie ist schließlich ein Beispiel. Ein Paradebeispiel sogar. Für Inklusion, für das gleichberechtigte Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung. Und dafür, was möglich ist, wenn der Wille, etwas möglich zu machen, und die Mittel, die dafür nötig sind, zusammenkommen. Aber ein so ernsthafter Auftakt würde der Geschichte nicht gerecht. Der Deutsche Timo Glock, der Kanadier Bruno Spengler und der Italiener Alessandro, genannt "Alex", Zanardi wollen ja vor allem Spaß haben, wenn sie an diesem Wochenende in ihren BMW Z4 GT3 klettern, um ihn 24 Stunden lang um die berüchtigte Rennstrecke in Spa-Francorchamps zu scheuchen.

58 Autos reihten sich insgesamt zum Start am Samstag um 16.30 Uhr auf. Bruno Spengler, 31, sagt: "Uns steht eine große Herausforderung bevor, doch ich freue mich riesig darauf." Timo Glock, 33, sagt: "Es ist eine große Ehre für mich, dass ich Teil dieses außergewöhnlichen Projektes sein darf." Und was sagt Alex Zanardi, 48? "Wenn wir unter den fünf besten landen, wäre ich glücklich, aber nicht überrascht." So spricht einer, der den Wettbewerb immer gesucht hat. Selbst nach einem Unfall, bei dem ihm beide Beine abgerissen wurden.

"Ihm wurden die Beine nicht abgeschnitten. Sie wurden ihm weggesprengt"

Am 15. September 2001 gastierte die amerikanische Champ-Car-Serie auf dem Lausitzring. Zanardi hätte das Rennen gewonnen, wenn er 13 Runden vor dem Ziel nach einem Boxenstopp nicht aufs Gras geraten wäre. Sein Reynard-Honda geriet ins Schleudern, quer zur Fahrtrichtung rutschte Zanardi auf die Ideallinie, wo ihn der Wagen seines Kollegen Alex Tagliani, der in dem Moment mit Tempo 320 unterwegs war, im rechten Winkel traf. "Ihm wurden die Beine nicht abgeschnitten. Es war wie bei den Soldaten, die auf Minen treten: Sie wurden ihm weggesprengt": So hat Steve Olvey, damals medizinischer Direktor der Cart-Serie, das Ausmaß des Unfalls beschrieben.

Alex Zanardi : Auch mit Prothesen fahrbar: Zanardis Wagen.

Auch mit Prothesen fahrbar: Zanardis Wagen.

(Foto: BMW)

Was nach dem Unfall passierte, ist so oft erzählt worden, dass Stichworte reichen: 15 Operationen. Fünf Liter Spenderblut. Acht Tage Koma. Als er wieder klar denken konnte, fasste Zanardi drei Vorsätze: Eines Tages wollte er seinen Sohn wieder auf den Schultern tragen können. Die 13 Runden auf dem Lausitzring nachholen, die ihm zum Sieg gefehlt hatten. Und wieder reguläre Rennen bestreiten.

Die ersten zwei Punkte waren relativ schnell erledigt. Zwei Jahre nach dem Unglücksrennen kehrte Zanardi auf den Lausitzring zurück und drehte in einem für seine Bedürfnisse umgebauten Champ Car 13 Runden. Aus den Boxen schallte dazu David Bowies "Heroes", die 60.000 auf den Tribünen erhoben sich. Es war ein anrührend kitschiger Moment. 2005 startete Zanardi für BMW in die Tourenwagen-WM, wo ihm in den folgenden drei Jahren drei Siege glückten. Alle Vorsätze erfüllt, sogar übererfüllt. Wieso dann jetzt das nächste Abenteuer? Wohl nur aus einem Grund: Weil es eines ist.

Gas gibt Zanardi mit einem Ring am Lenkrad

Ein Fahrer, der auf zwei Prothesen geht, teilt sich ein Sportgerät mit zwei Kollegen, die jeweils einen Gas- und einen Bremsfuß haben: Äußerlich ist dem in Comic-Optik lackierten Rennwagen mit der Startnummer neun seine Besonderheit nicht anzusehen. In der Fahrgastzelle aber war viel Detailarbeit nötig. Gas gibt Zanardi mit einem Ring am Lenkrad. Zum Bremsen muss er seine rechte Prothese mit Kraft und Gefühl auf ein Pedal stemmen, das für ihn extra angebracht wurde.

Damit er nicht abrutscht und es beim Fahrerwechsel flott geht, hat Zanardi sich eine Hohlprothese fertigen lassen, die auf einen Stahlstift passt, der sich auf dem Pedal befindet. Glock und Spengler bremsen mit einem anderen Pedal und geben mit dem anderen Fuß Gas. Wenn sie ins Auto klettern, bringen sie ihre Lenkräder und ihre Sitzschalen mit. Viel Zeit soll dadurch nicht verloren gehen. Viele PS durch die zusätzlich eingebaute Klimaanlage auch nicht; weil ihm die Hautfläche an den Beinen fehlt, steigt Zanardis Körpertemperatur schneller an. Bei einem Sprintrennen wären derlei Nachteile kaum wettzumachen. Bei der Ausdauerhatz rund um die Uhr sind sie zu verschmerzen.

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Alex Zanardi auf dem Handbike. Nächste Woche nimmt er an der WM in dieser Disziplin teil.

(Foto: imago)

Mehr Markenbotschafter als Rennfahrer

Zanardi hat kaum Erfahrung, über eine unbeleuchtete Strecke zu jagen. "Aber ich habe in meinem Leben schon größere Herausforderungen gemeistert, als nachts Auto zu fahren", sagt er in der ihm oft eigenen Mischung aus Lakonie und Fatalismus. Zu den Siegkandidaten werden er, Glock und Spengler eh nicht gezählt. Der Auftritt ist der letzte für den Z4 GT3 bei einem 24-Stunden-Rennen. Das ungewöhnliche Fahrertrio soll zu dem Anlass vor allem Aufmerksamkeit erregen.

Alex Zanardi weiß das. Er hat sich damit arrangiert, dass er so gefragt ist, weil er schlicht einmalig ist. "Ich sehe mich mehr als Markenbotschafter denn als Rennfahrer für BMW", hat er dem Kicker vor einigen Monaten gesagt: "Irgendwie bin ich eine Art Visitenkarte, und sie stellen jemanden mit Behinderung an die Front." Sein Ehrgeiz wird durch die Botschafterrolle allerdings nicht gebremst. Aus Belgien reist er direkt weiter in die Schweiz. Dort findet in der kommenden Woche die Handbike-WM statt, bei der er den Titel gewinnen will.

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