Alberto Contador:Ein Mann, ein Steak

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Bis zuletzt von Zweifeln verfolgt: Alberto Contador beim Giro 2011, den er erst gewann - und nachträglich wegen seines Positivtests von der Tour 2011 wieder verlor.

(Foto: imago/Sirotti)
  • Die ereignisreiche Karriere des Alberto Contador neigt sich dem Ende zu, nach der Vuelta hört er auf.
  • Contador landete viele große Siege - und war Teil von einigen unrühmlichen Affären.
  • In Spanien wird der Madrilene gefeiert, auch wenn er sein letztes Rennen nicht gewinnen sollte.

Von Johannes Knuth

Der Wahrheitsgehalt der Episode ist nicht gänzlich gesichert, aber sie würde zu Alberto Contador passen. Es war gegen Ende der diesjährigen Tour de France, irgendwo in den Alpen. Contador war zuvor zwei Mal vom Rad gefallen und wieder aufgestanden, er hatte sich mit schweren Tritten die Berge im Jura und in den Pyrenäen hinaufgequält, sieben Minuten an Rückstand auf die Besten aufgetürmt. Die Chance, in Paris noch einmal das Podium zu erklimmen, war zerbröckelt, der Gesamtsieg sowieso. Vielleicht, hofften sie in seinem Team Trek, würde er noch eine Etappe gewinnen, den Sponsoren so zu Präsenz im Fernsehen verhelfen. Aber Contador wollte davon nichts wissen. Er habe nach wie vor ein Ziel, sonst nichts, versicherte er den verblüfften Mitarbeitern: Er werde die Tour gewinnen.

Was denn sonst?

Der Radprofi Alberto Contador war immer auf Gesamtsiege bei den großen Rundfahrten aus, die Hauptrollen in den Blockbustern des Sportkinos. Wie bei einem Schauspieler, der sich nicht mehr als Nebendarsteller verdingt. Warum auch? Contador hatte stets dieses Etwas, das ihn aus dem Gewöhnlichen hob; er griff an, wenn es keiner erwartete, fand aus scheinbar aussichtslosen Situationen einen Pfad zum Erfolg. Egal, wie viele Widrigkeiten sich gegen ihn verschworen hatten. Bei der Tour 2017 klappte es nicht mehr, Contador wurde Neunter. Er versucht es also noch einmal bei der Vuelta, die am Samstag startete: 3297 Kilometer nach Madrid, fünf fiese Bergprüfungen, die wohl furchtbarste Schinderei des Jahres. Und mittendrin der 34-Jährige aus dem verschlafenen Madrider Vorort Pinto, der sich in diese Rundfahrt noch mal hineinknien wird wie bei seinem ersten Rennen. Weil es sein letztes ist, Contador beendet nach der Vuelta seine Karriere.

Eine actionreiche Karriere

Es ist eine Laufbahn, die Stoff bietet für eine Kinoverfilmung, mindestens: Zwei Siege bei Tour und Giro d'Italia, drei bei der Vuelta. Verstrickung in eine der größten Sportaffären. Ein Positivtest, ein Freispruch, schließlich doch eine Sperre, auf die er noch ein paar Siege folgen ließ. Ein Leben zwischen Zweifeln und fiebriger Zuneigung, nur eines wurde es nie: langweilig, bis zum Schluss.

Contador war 16, als er seine erste Attacke fuhr, alles oder nichts. Er verließ die Schule, zog ins Baskenland, das bekannt war für seine prestigeträchtigen Rennen und Teams. Er gewann die schwere U23-Prüfung in Gorla, da war er 18. Bald sprachen alle von diesem Fahrer aus Madrid, der wie ein Kind aussah, das das erste Mal die Heimat verlassen hatte - der aber die Berge erklomm mit einer Unerschrockenheit, die verblüffte. Manolo Sáiz, später von Affären umwittert, verpflichtete ihn für dessen Once-Team. Contador stürzte während der Asturien-Rundfahrt 2004, ein epileptischer Anfall wegen eines missgebildeten Gefäßes. Aber er rappelte sich wieder auf.

Und stolperte in die größte Dopingaffäre, die Spanien bislang erschütterte. In den Unterlagen des Dopingdruiden Eufemiano Fuentes war von "A.C." die Rede, Contador wurde von der Tour 2006 verbannt. Später verschwand das Kürzel aus den Akten, auf mysteriöse Weise. Contador gewann die Tour im folgenden Jahr, weil der Führende Michael Rasmussen unter fadenscheinigen Gründen davongejagt wurde. Der Däne gestand später, dass er gedopt hatte, angeleitet von seinem Team. Als die NZZ Rasmussen vor einem Jahr fragte, ob er sich als rechtmäßiger Champion fühle, sagte der: "Denken Sie etwa, dass Alberto Contador der bessere Sieger war?"

Contador war ein König chaotischer Tage

Er mehrte seine Erfolge bei Once, Liberty Seguros, Astana, wo das Doping oft systemisch wurzelte. Aber die Zweifel ließen sich nicht erhärten, noch nicht. Er gewann den Giro (2008), wieder die Tour (2009). Die Reporter priesen seinen Mut, beschrieben seine Entourage aus Vertrauensleuten, die er in jedes Team brachte und die eine Oase schafften, nur für ihn. Es war die Zeit, in der er El Pistolero prägte; Contador feuerte dabei mit zwei Fingern in die Kameras, wenn er mal wieder alle erlegt hatte. Dann kam der positive Test.

Kurz nach der Tour 2010, die Contador gewonnen hatte, lud er die Reporter nach Pinto, dort erzählte er mit heiserer Stimme und blütenweißem Hemd seine Version: dass er am 21. Juli, am Ruhetag in Pau, positiv getestet worden sei, in seinem Blut 50 Billionstel Gramm Clenbuterol gefunden wurden. Dass er gedopt war mit einem Mittel, mit dem Kälber gemästet werden. Dass der Befund auf verunreinigtes Kalbsfilet aus nordspanischer Produktion zurückzuführen sein müsse, das ein Freund seines Teamkochs aus Nordspanien nach Frankreich geschafft habe.

Der spanische Verband sprach Contador frei, die Welt-Anti-Doping-Agentur vermutete eine verbotene Bluttransfusion, der Internationale Sportgerichtshof hielt beide Versionen für möglich. Da Contador seine Geschichte nicht zweifelsfrei belegen konnte, wurde er gesperrt, für zwei Jahre. Spanien stimmte einen patriotischen, mit verschwörungstheoretischem Bass unterlegten Chor an: Da könne man wieder sehen, wie neidisch die Welt und die Franzosen im Besonderen auf die Spanier sind!

Irgendwo unterhalb von Merckx und Anquetil wird er wohl eingereiht

Nach der Sperre gewann Contador prompt die Vuelta, später den Giro, und je lauter die Zweifel im Ausland wurden, desto inniger liebten sie ihn in der Heimat. "Wir Spanier haben eine starke Kultur des Vergebens, vermutlich vererbt von der katholischen Moral", sagte der spanische Journalist Fran Reyes im CyclingPodcast: "Wir haben mehr Empathie für Verlierer als für Sieger." Und so mehrte Contador weiter seinen Ruhm. Aber immer seltener, weil er gewann, sondern weil er stürzte, verlor, es wieder probierte, egal wie sehr der Schmerz auf die Glieder drückte.

Während der diesjährigen Tour betonte er, dass es ihm darum gehe, "ein Spektakel zu schaffen". Es war sein letztes Vermächtnis, die Schönheit der Niederlage. Auch wenn es ihn nervte, dass seine Kraft immer mehr versiegte. Besser mit einem Knall verschwinden, als langsam zu verblassen. Und jetzt?

Sie werden sein Bild vermutlich trotzdem hoch in die Ahnengalerie seines Sports hängen, unterhalb von Eddy Merckx und Jacques Anquetil, die ebenfalls mit Doping in Berührung kamen. Contador ist erst der Fünfte, der die großen drei Schleifen gewann. Viele Wahrheiten wird man wohl nie erfahren; ein spanisches Gericht legte die Aufklärung der Puerto-Affäre zuletzt still. Contador wird es derweil noch ein letztes Mal bei der Vuelta probieren, gegen Tour-Sieger Christopher Froome, der längst zu stark ist. Aber von solchen Kleinigkeiten hat sich der Spanier ja noch nie aufhalten lassen.

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