Süddeutsche Zeitung

Ajax verpflichtet Louis van Gaal:Kalter Krieg in Amsterdam

Durch eine Intrige wird Louis van Gaal Generaldirektor von Ajax Amsterdam - Johan Cruyff ist außer sich, der FC Bayern München könnte von van Gaals neuem Job dagegen profitieren. Ob van Gaal den Münchnern allerdings diesen Gefallen tut, scheint zumindest fraglich.

Philipp Selldorf

Marc Overmars lehrt die Junioren und Profis von Ajax Amsterdam eine Kunst, die er zeit seines Lebens als Fußballer beherrschte: den Angriff. Overmars, 38, ist als Linksaußen auf die Welt gekommen, er hat für Ajax, Arsenal und Barcelona gespielt, die holländischen Fans riefen ihn "Meep, Meep" nach der rasend schnellen Trickcomic-Figur "The Roadrunner". Sein Wissen als Flügelstürmer gibt er jetzt an die A-Jugend und die Profis weiter.

Bloß am Donnerstag schob er eine Lektion in defensiver Diplomatie ein. Gefragt, wie er die ungeheuerlichen Vorgänge in der Führungsetage des Vereins einschätze, erwiderte er bedauernd: "Dafür kann ich hier nicht genug in die Küche gucken. Aber das Ganze verdient natürlich keinen Schönheitspreis."

Um hierzulande zu verstehen, was bei Ajax geschieht, muss man sich vorstellen, Vorstand und Aufsichtsrat des FC Bayern hätten hinter dem Rücken von Uli Hoeneß einen neuen Sportdirektor installiert, der exakt die Person ist, die Hoeneß keinesfalls wollte. Zudem muss man sich vorstellen, dass Hoeneß von seinen Ratskollegen konzertiert ausmanövriert worden wäre, als sie den neuen Mann anheuerten, und dass eine ganze Kompanie prominenter Ex-Fußballer in die Verschwörung verwickelt wäre: Effenberg, Matthäus, Scholl, Kahn und so weiter.

In der Wirklichkeit hat der FC Bayern eine nicht unwichtige Nebenrolle in der Geschichte, die seit Mittwochabend ganz Holland beschäftigt und Topthema in allen Nachrichten ist. Es geht, wie könnte es anders sein, um Johan Cruyff und Louis van Gaal, die der Öffentlichkeit außer als Berühmtheiten auch als erbitterte Feinde bekannt sind. Beide sind Hauptdarsteller in einem Stück, das seit mehr als vier Monaten unter dem Titel "Kalter Krieg bei Ajax" aufgeführt wurde.

Johan Cruyff tobt

Seit Mittwochabend aber, seit sich van Gaal gegen den erklärten Willen Cruyffs zum Generaldirektor von Ajax Amsterdam hat ernennen lassen, ist aus dem kalten ein offener Krieg geworden. Van Gaal war bei Ajax in drei verschiedenen Perioden als Spieler, Trainer und Sportmanager engagiert; Cruyff dient seinem als Aktiengesellschaft notierten Heimatklub derzeit als "Kommissarischer Rat", das ist eine Art Vorstandsposten.

Von dem neuen Engagement für ihren ehemaligen Trainer haben auch die Bayern mit Interesse gehört. Van Gaal, der seit seiner Beurlaubung im April auf seinem Anwesen in Portugal Urlaub weilt, unterhält mit den Münchnern noch einen Vertrag bis zum Saisonende. Der Klub hofft jetzt, dass er sich die Fortzahlung des stattlichen Gehalts demnächst sparen kann, angeblich beträgt das Jahreshonorar um die vier Millionen Euro. Ob allerdings van Gaal überhaupt eine Auflösung seines Vertrages anstrebt, ist noch ungewiss. Sein Abkommen mit Ajax beginnt offiziell erst am 1. Juli 2012.

In Amsterdam wird zwar erwartet, dass er seine Arbeit früher aufnimmt, und die Bayern würden einer Einigung sicher nicht im Wege stehen, aber Kenner glauben, dass van Gaal schon aus Prinzip nicht auf seinen Lohn verzichten wird - wobei es sich diesmal um das Prinzip der Vergeltung handeln könnte. Nicht zuletzt deshalb, weil Uli Hoeneß erst neulich wieder erzählt hat, was er von dem 59-Jährigen hält: Starker Trainer, aber "menschlich eine Katastrophe".

Johan Cruyff dürfte in etwa das Gleiche denken über van Gaal. Cruyff, 64, hat in dem tollen Stück die Rolle des Hintergangenen. Der Ajax-Aufsichtsrat hat seine Entscheidung für den neuen Generaldirektor getroffen, als sich Cruyff an seinem Wohnsitz in Barcelona aufhielt. Von der abendlichen Sitzung des Gremiums erfuhr das Nationalidol per E-Mail am Mittwochmorgen. Von der Tagesordnung und der Beschlussfassung zum neuen Generaldirektor erfuhr er aus den Medien. "Die sind wohl wahnsinnig geworden", entfuhr es ihm erbost.

Tatsächlich handelte es sich um eine Intrige und einen kalkulierten Affront. Der kommissarische Rat bei Ajax besteht aus fünf Personen, er setzt die Exekutive des Vereins ein, die Direktoren für Sport, Marketing und Finanzen. Als Generaldirektor hatte Cruyff einen ehemaligen Mitspieler namens Tsheu La-Ling ausersehen (und zuvor angeblich Marco van Basten), die übrigen Räte waren dagegen, monatelang stritten die Parteien.

Im Team mit Blind und de Boer

Jetzt bestimmte das Quartett der Cruyff-Gegner unter Führung von Edgar Davids, dem ehemaligen Nationalspieler und früheren van-Gaal-Schüler bei Ajax, van Gaal zum Chef. Der gab sein Einverständnis, die Aufsicht über die sportliche Abteilung zu übernehmen, in der unter anderem seine ehemaligen Spieler Danny Blind (als Sportmanager) und Frank de Boer (als Trainer) arbeiten.

Ob es wirklich dazu kommt, ist noch fraglich. Cruyff hat erklärt, er werde sich keinesfalls zurückziehen. Und er hat starke Verbündete. Der Mitgliederrat, der den Verein als Halter der Aktienmehrheit repräsentiert, ist wütend über die Verschwörung gegen Cruyff. Es ist möglich, dass er den Handel mit van Gaal rückgängig macht. Die Bayern werden es mit Interesse verfolgen.

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SZ vom 18.11.2011/mkoh
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