Süddeutsche Zeitung

Ajax besiegt Juventus:Mit der Kraft des schönen Fußballs

  • Ajax Amsterdam schlägt Juventus Turin mit 2:1 und zieht erstmals seit 1997 ins Halbfinale der Champions League ein.
  • Nach Real Madrid ist das Team von Cristiano Ronaldo die zweite Top-Mannschaft, die Ajax ausschaltet.
  • Ronaldo bringt Turin zunächst in Führung. Doch vor allem in der zweiten Halbzeit dominiert Ajax die Partie.

Von Benedikt Warmbrunn

Gestreckt lag Cristiano Ronaldo auf dem Boden, jeder Muskel seines Körpers war angespannt. So schaute er dem Ball hinterher, vielleicht würde er ja jetzt doch noch ins Tor fliegen, vielleicht würde er, Ronaldo, diesen Abend ja doch noch retten können, mit diesem gestreckten Kopfball, nach dem er weiter gestreckt auf dem Boden gelandet war. Also schaute Ronaldo dem Ball weiter hinterher. Er sah, dass André Onana, der Torwart des Gegners, den Ball fing. Er sah sogar, dass Onana den Ball locker fing. Ronaldo blieb noch ein bisschen liegen.

Cristiano Ronaldo erzielte nach dieser 81. Minute kein weiteres Tor mehr, er wurde nicht mehr zum Held dieses Abends. Er, der im vergangenen Sommer von Real Madrid zu Juventus Turin gewechselt war, um die Champions League ohne Real Madrid zu gewinnen, wird die Champions League nicht erneut gewinnen, nicht in dieser Saison zumindest. Denn der Dienstagabend in Turin war der Abend von Ajax Amsterdam.

2:1 (1:1) gewann der Außenseiter, nach dem 1:1 im Hinspiel steht Ajax nun im Halbfinale der Champions League; es ist eine der größeren Überraschungen im europäischen Fußball der vergangenen Jahre. Doch es war auch am Dienstag ein verdienter Ausgang. Ajax startete zwar ehrfürchtig in die Partie, doch gerade in der zweiten Halbzeit spielte sich die Mannschaft in diesen fußballerischen Rausch, der sie schon durch so viele Abende in dieser Saison getragen hat. Im Halbfinale geht es gegen Tottenham oder Manchester City - der FC Barcelona, der das Rückspiel zur gleichen Zeit gegen Manchester United 3:0 gewann (auch dank zweier Tore von Lionel Messi), bleibt den Niederländern erspart.

Ein Traum würde an diesem Abend in Turin enden, das war der Rahmen, der von Beginn an diesem Rückspiel im Viertelfinale der Champions League gesetzt war. Nicht weniger. Auf der einen Seite war da der Traum von Juventus, dass es nur noch Cristiano Ronaldo gebraucht hat, um vielleicht endlich wieder den Titel zu gewinnen (alternativ auch der von Ronaldo, dass ohnehin immer die Mannschaft gewinnt, in der er, Ronaldo, spielt). Ajax dagegen wollte noch nicht aus diesem Traum aufwachen, in dem diese vor einem dreiviertel Jahr noch weitgehend unbekannte Mannschaft sich erfolgreich mit den Größten Europas misst. Zwei Unentschieden in der Vorrunde gegen den FC Bayern, das Weiterkommen im Achtelfinale gegen Real Madrid, das 1:1 im Hinspiel gegen Juventus. Und immer spielte Ajax obendrein den ansehnlicheren Fußball.

Am Dienstagabend in Turin rumpelte das Spiel der Gäste aus Amsterdam jedoch erst einmal vor sich hin. Juventus drückte, drängte, ließ Ajax erst gar nicht den Raum für deren Kurzpassspiel. Schon waren die überwiegend jungen Spieler von Ajax eingeschüchtert. Sinnbildlich war eine Szene in der fünften Minute, als Amsterdams Torwart André Onana im eigenen Strafraum von Emre Can attackiert wurde. Der deutsche Nationalspieler blockte den Ball, doch dieser flog am Tor vorbei.

Es dauerte knapp 20 Minuten, bis sich Ajax ein bisschen freispielen konnte, mit kleinen Passstafetten, die sich immer weiter dem Tor annäherten. In der 21. Minute schob Dusan Tadic den Ball an sich selbst hinten rum vorbei, zu David Neres, es war bis dahin der schönste Angriff der Partie. Doch Neres' Schuss wurde geblockt. Und das wiederum war das Signal für den bis dahin noch recht unscheinbaren Ronaldo, diesen Abend zu seinem Abend zu machen.

In der 22. Minute schoss der Portugiese erstmals auf das gegnerische Tor, aus der Distanz, noch wurde der Ball abgeblockt. Sechs Minuten später stellte sich ihm niemand mehr in den Weg. Nach einem Eckball lief er in einem kleinen Bogen dem Ball entgegen, neben ihm räumten sich die Ajax-Verteidiger Matthijs de Ligt und Joel Veltman gegenseitig aus dem Weg, und schon stand Ronaldo ganz alleine da. Kopfball, Führung, es war sein 79. Tor in seinem 79. Spiel in der K.o.-Phase der Champions League.

Ein paar Minuten lang war Ajax anschließend verunsichert, doch die Mannschaft versuchte einfach das zu machen, was sie am besten kann: nach vorne zu spielen. Und so zögert Hakim Ziyech in der 34. Minute nicht, er probierte es mit einem Distanzschuss. Der Ball blieb hängen. Und lag auf einmal vor Donny van de Beek. Und da Juve-Verteidiger Alex Sandro bummelte, stand der Niederländer auch nicht im Abseits. Er traf ungerührt.

Ajax spielte so schön, dass sie das Toreschießen vergaßen

Auch in der zweiten Halbzeit setzte Juve zunächst die Gäste unter Druck. Doch dieses Mal ließ sich Ajax nicht einschüchtern. Stattdessen inszenierte die Mannschaft von Trainer Erik ten Hag ihr Spiel in all seiner Schönheit. Aus der größten Bedrängnis befreiten sie sich mit flinken, kurzen Pässen. Und so flink und meist auf kurzem Weg ging es dann immer weiter nach vorne, alles im höchsten Tempo. Und irgendwann erreichten die Gäste dann eben den Strafraum von Juve. Auch dort blieb Ajax kunstvoll, elegant, kreativ.

Die 52. Minute: Neres passte zu Ziyech, dessen Schuss ins kurze Ecke parierte Wojciech Szczesny gerade noch mit der linken Hand. Die 58. Minute: Van de Beek schlenzte den Ball vom Strafraumeck aufs Tor, wieder zeigte Szczesny einen glänzenden Reflex. Die 62. Minute: Tadic legte den Ball quer zu Ziyech, Miralem Pjanic klärte gerade noch. So schön spielte Ajax, dass sie dabei fast das Toreschießen vergaßen.

Es war dann ein vergleichsweise gewöhnliches Angriffsmuster, das die Führung und das Weiterkommen brachte: Eckball von Lasse Schöne, und dann lief de Ligt heran. Er sprang höher als Alex Sandro und Blaise Matuidi, drückte den Ball ins Tor (67.). Juventus und Ronaldo mussten nun zwei Tore erzielen, um nicht auszuscheiden. Doch es passierte wenig. Ronaldo köpfte den Ball aufs Tor, lag anschließend auf dem Boden. Und sah, dass Onana ganz lässig parierte.

Juventus erhöhte noch einmal den Druck, doch es passierte nichts mehr, das Ajax gefährdete. In der 93. Minute sah Ronaldo noch einmal die gelbe Karte, für ein grobes Foulspiel. Dann war die Champions-League-Saison für ihn beendet.

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Sz.de/schm
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