Ailton geht ins Dschungelcamp:Letzter Transfer für den Kugelblitz

Wie viele Fußballer stellt der einfach gestrickte Ailton am Ende der Karriere fest, dass viel Leben und wenig Geld übrig ist. Dass ihn der letzte Transfer ausgerechnet ins Dschungelcamp führt, passt zum Brasilianer. Weil er schlecht beraten wurde. Und zu oft verkauft.

Ralf Wiegand

Es muss irgendwann im August 1999 gewesen sein, "Pizarros zweite Woche bei uns", erinnert sich Jürgen L. Born, der damals gerade Vereinsvorsitzender bei Werder Bremen geworden war. Nachts um drei klingelte plötzlich Borns Telefon, "ich schreckte hoch, ging ran." Am anderen Ende: "Aqui Ailton." Born: "Ich dachte, meine Güte, jetzt ist er gegen den Baum gefahren oder so etwas." Aber das war er nicht, zum Glück. Ailton war nur mitten in der Nacht etwas eingefallen. Er sagte: "Pizarro braucht ein Handy" - und legte wieder auf.

Ailton ist wieder da

So fühlt er sich wohl: Ailton beim Hallenfussballturnier für Traditionsmannschaften. Nun geht er ins Dschungelcamp.

(Foto: dapd)

Es sind solche Geschichten und seine vielen Tore, die den Brasilianer Ailton Goncalves da Silva in Bremen und der Bundesliga zu einer kleinen Berühmtheit haben werden lassen. Noch heute, sagt Born, müsse bei Werder Bremen das Training beinahe abgebrochen werden, wenn Ailton als Zuschauer am Trainingsgelände beim Weserstadion aufkreuzt. Und auch auf der Tribüne im Weserstadion klopfen sie ihm auf die Schultern, wenn er sich bei Born mal wieder Karten besorgt hat. Sie lieben ihn noch, den Kugelblitz, ihr "kleines, dickes Ailton".

Doch all die Schulterklopfer haben den heute 38-Jährigen nicht vor dem Schicksal eines x-beliebigen C-Prominenten bewahren können. Jetzt landet er als dritter Profifußballer nach Jimmy Hartwig und Eike Immel im Dschungel-Camp von RTL. Das ist down under - und überhaupt ziemlich weit unten.

Es wäre wünschenswert, würde man den gefallenen Fußballstar dort wenigstens mit Respekt belächeln zwischen all den anderen zur Selbstdemontage gezwungenen Personen des öffentlichen Lebens, die irgendwie aus dieser Öffentlichkeit herausgefallen sind.

Für manchen abgehalfterten Schlagersänger vermochte das Camp wenigstens kurz die Karriere wieder zu reanimieren, für einen Sportler aber kann das nicht gelten. Er wird nicht wieder jünger, schlanker, schneller, auch wenn er Känguruh-Hoden isst. Er bleibt ein Ex-Fußballer für den Rest seines Lebens. Ailton sagt, er sei nicht pleite. "Aber da ist wohl nichts mehr", glaubt Jürgen Born.

Mit 38 Jahren, nach bezahlten Engagements bei 20 Klubs, nach 88 Bundesliga-Toren allein für Werder Bremen, davon spektakuläre 28 in der Meister-Saison 2003/2004, beginnt für Ailton nun das vorerst letzte Kapitel auf einer beispiellosen Talfahrt, die mit seinem Transfer 2004 von Werder zu Schalke 04 begann.

Ailton selbst, erinnert sich Born, habe damals eigentlich gar nicht wechseln wollen, aber letztlich dem Drängen seines Umfelds nicht widerstanden. Ablösefrei war er, Torschützenkönig, Double-Gewinner, sogar erster ausländischer Fußballer des Jahres - eine Menge Möglichkeiten sind das für einen Berater, Geld für seinen vertragslosen Mandanten zu kassieren. Ailton schloss gegen den Rat jener, die es gut mit ihm meinten, die einzige konstante Phase seiner Karriere ab und verließ nach sechs Jahren Bremen.

Ailton ist ein sehr einfacher Mensch, geboren in Mogeiro im Bundesstat Paraibo. In Brasilien hatte er sich als sprintstarker Torjäger schon einen kleinen Namen gemacht, war aber von seinem Klub nach Mexiko ausgeliehen gewesen, als Werder ihn 1998 verpflichtete. Angeblich hatte auch Bayer Leverkusen den kompakten Angreifer auf dem Zettel.

Doch der lebenslustige Ailton erfror fast in seinem neuen Leben, saß unter Trainer Wolfgang Sidka meist auf der Bank, landete bei Felix Magath sogar auf der Tribüne - und sollte 1999 schon wieder verkauft werden. Davor bewahrte ihn zum einen der Trainerwechsel zu Thomas Schaaf und zum anderen die Verpflichtung eines jungen, unbekannten Peruaners: Im Sommer 1999 kam Claudio Pizarro an die Weser. "Da hatte Ailton jemanden, mit dem er sich verständigen konnte, auch wenn Portugiesisch und Peruanisch nicht dasselbe ist", erinnert sich Born.

Bester Konterstürmer der Liga

Mit dem für sein fintenreiches Nachtleben bekannten Pizarro ging auch Ailton endlich unter die Leute. Und auf dem Platz, sagt Born, "lief nun der Ball im Sturm auf furchterregende Weise".

Zu jener Zeit war Ailton der wahrscheinlich beste Konterstürmer der Liga. Auf den ersten fünf Metern war er so viel schneller als seine Gegenspieler, dass die ihn entweder laufen lassen mussten - oder nur noch foulen konnten. Mit der Verpflichtung des Franzosen Johan Micoud konnte Ailton seinen Spielstil - losflitzen und reinschießen - perfektionieren. Born: "Micoud war Ailtons absoluter Lieblingsspieler. Er servierte ihm die Dinger mundgerecht." Ohne Pizarro, aber mit Micoud machte Ailton auch sein Meisterstück und schoss Werder 2004 zu Meisterschaft und Pokalsieg. Seine 28 Treffer bedeuteten die beste Quote seit Karl-Heinz Rummenigge 1981.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Ailton aber den wichtigsten Menschen in seinem Leben schon verloren, seinen Bruder, der bei einem Unfall 2003 in Brasilien ums Leben gekommen war. Bis dahin hatte der Ailtons Geld angelegt - danach wechselte der Spieler seine Berater fast so oft wie die Vereine. Nach Schalke folgte Istanbul, der HSV, Belgrad, Zürich, Duisburg, Donezk, Altach (Österreich), er ging zurück nach Brasilien, nach China, kickte in der sechsten Liga beim KFC Uerdingen.

Doch zwischendurch tauchte er immer wieder in Bremen auf, wo er nicht nur durch seine Tore, sondern auch durch seine Interviews längst Legende ist. Ailton, der Mann aus einfachen Verhältnissen, kann zwar kaum Lesen und Schreiben, lernte aber ein bisschen Deutsch: "Ailton glücklich in Bremen", sagte er wehmütig beim TV-Auftritt.

Er heuerte noch einmal in der Hansestadt an, beim Fünftligisten FC Oberneuland, doch dort verpasste er gleich einen Fototermin, weswegen man ihm die Gage strich. Zuverlässig war er nie, kehrte fast immer zu spät vom Heimaturlaub zurück. Einmal reiste er der Werder-Mannschaft mit dem Taxi ins Trainingslager nach, von Bremen nach Norderney.

Heute könnte er das wohl nicht mehr bezahlen. Ein Berater, dem er angeblich Geld schuldete, versuchte sogar, die Torjägertrophäe von 2004 im Internet zu versteigern. Ailton, glaubt Born, "hat den falschen Leuten vertraut", hat Kontovollmachten ausgestellt und nie die Kontrolle über seine Finanzen gehabt.

Dass der letzte Transfer ihn nun ins Dschungel-Camp führt, passt ins Bild des schlecht beratenen und oft verkauften Ailton.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: