Afrikanische Teams bei der Fußball-WM:Ein bisschen sterben für die Heimat

Lesezeit: 5 min

Asamoah Gyan vergibt in Südafrika in der Nachspielzeit des Viertelfinales einen Elfmeter. Kurz danach fliegt mit Ghana das letzte Team aus dem Turnier. (Foto: Srdjan Suki/dpa)

Die vergangene Weltmeisterschaft in Südafrika endete für die afrikanischen Teams mit einer Enttäuschung. Der einstige Bundesliga-Profi Anthony Baffoe ist überzeugt, dass sich das in Brasilien ändern wird - weil der Wille groß ist.

Von Kathrin Steinbichler

In Ghana ist an diesem Tag keine Zeit für Eile, doch die Ruhe, die auch die Hauptstadt Accra schläfrig macht, passt Anthony Baffoe gerade überhaupt nicht in die Planung. Der Fußballfunktionär muss vor seiner Abreise zur Weltmeisterschaft noch einiges organisieren.

Ghana liegt wie die meisten anderen Länder Afrikas an diesem letzten Montag im Mai unter dem Ruhegürtel eines speziellen Feiertags. Er erinnert an die Gründung der Organisation Afrikanische Einheit 1963, die später in die Afrikanische Union überging. Es ist ein Tag, der den riesigen und vielfältigen Kontinent an die alte Idee vom gemeinsamen Ziel gemahnt.

"Afrika ist stärker, als viele denken", sagt Baffoe mit der ruhigen Stimme eines weit gereisten Fußballdiplomaten, doch der 49-Jährige meint das jetzt etwas anders. Der in Deutschland aufgewachsene frühere Fußballprofi des 1. FC Köln denkt bei diesen Worten an die Mannschaften, die Afrika bei der WM in Brasilien vertreten. Vor allem an seine eigene. "Wir glauben daran, das Turnier gewinnen zu können", sagt Baffoe, "und das glauben nicht nur wir."

Englands Nationaltrainer Roy Hogdson zum Beispiel ist überzeugt, dass die afrikanischen Teilnehmer neben der "ausgezeichneten Qualität" vieler ihrer Spieler einen unschätzbaren Vorteil hätten: "Ich denke, sie haben bessere Chancen als europäische Mannschaften - aufgrund des Klimas", meint Hogdson. Doch von dem in Europa beliebten Gerede um das brasilianische Wetter hält Anthony Baffoe herzlich wenig.

Proteste in Brasília
:Mit Pfeilen gegen die WM

In Brasiliens Hauptstadt sind Demonstrationen eskaliert. Unter den Protestierenden waren auch zahlreiche indigene Brasilianer mit traditioneller Bewaffnung. Ein Polizist wurde von einem Pfeil am Bein verletzt, die Präsentation des WM-Pokals abgebrochen.

Die meisten der afrikanischen Topspieler seien ohnehin in europäischen Klubs beschäftigt und daher in ihrem Alltag nur selten einem extremen oder schwankenden Klima ausgesetzt. "Wenn wir einen Vorteil haben, dann nur, weil unsere Spieler gewohnt sind, sich an die Gegebenheiten anpassen zu müssen", sagt Baffoe.

Er führt lieber ein anderes Argument an, das ihn für Brasilien zuversichtlich macht: "Bei einer WM, speziell bei dieser, kommt es letztlich auf den Willen an. Ob Vorbereitung, Fitness, Umfeld oder Qualität der Spieler - ab einem gewissen Level haben alle die gleichen Voraussetzungen. Entscheidend ist dann der Wille, und der ist groß in unseren Reihen."

Vor vier Jahren hatte die WM erstmals in Afrika Station gemacht, in dem Turnier bündelten sich die Sehnsüchte eines ganzen Kontinents. Mit dem Scheitern 2010 sind die Träume nach Brasilien umgezogen, und in Afrikas Öffentlichkeit wird nun wieder daran erinnert, welch tiefe Wunde die WM 2010 geschlagen hat.

Bei einem Abendessen in Accra zur Verabschiedung des Nationalteams in die WM-Vorbereitung bekamen Ghanas Spieler deshalb von Staatspräsident John Mahama eine letzte Botschaft mit auf den Weg: "Wir erwarten, dass ihr ein bisschen sterbt für euer Land. Wir erwarten und beten dafür, dass Ghana das erste Mal in seiner Geschichte den Weltcup in die Höhe stemmt." Solche Worte können Druck aufbauen, doch diesmal, sagt Baffoe, "nehmen die Spieler das nicht als Druck wahr, sondern als Motivation". Heftiger als 2010 kann es mit dem Druck schließlich nicht mehr werden.

US-Nationaltrainer
:Klinsmann auf der Suche nach sich selbst

Berti Vogts als Scout, Landon Donovan nicht dabei - dazu ein Social-Media-Eklat in der Familie: Die USA wundern sich über Jürgen Klinsmann und seine sportlichen Entscheidungen. Seine Mannschaft wirkt wenige Wochen vor dem WM-Duell gegen die DFB-Elf noch konfus.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Der Welt zeigen, dass Afrika ebenbürtig ist; der Welt zeigen, dass die vielen in Europa begehrten und beschäftigten Spieler auch in der nationalen Gruppe ihr Potenzial entfalten können: Die Hoffnungen des Kontinents auf einen WM-Erfolg sind groß, nachdem Afrika 2010 in Südafrika einen emotionalen Schock zu verarbeiten hatte: den Moment, als Asamoah Gyan diesen Elfmeter verschoss.

Nigeria, Algerien und Gastgeber Südafrika, sogar Kamerun und die Elfenbeinküste hatten sich schon nach der Vorrunde verabschieden müssen, nur Ghanas Auswahl trug bei ihrer erst zweiten WM-Teilnahme noch die afrikanischen Hoffnungen im Turnier. Nach dem 2:1 über die USA im Achtelfinale lief im Viertelfinale gegen Uruguay bereits die Nachspielzeit der Verlängerung, als Luis Suárez auf der Linie per Handspiel verhinderte, dass Ghanas Dominic Adiyiah per Kopf zum 2:1 treffen konnte.

Die 84 000 im Stadion von Johannesburg tobten, als Asamoah Gyan mit der letzten Aktion vor dem Abpfiff zum Strafstoß antrat. Gyan schoss - und der Ball flog an die Latte. Im Elfmeterschießen unterlag Ghana. In Accra tobte ein Mob durch die Straßen, es gab Verletzte, Gyans Familie wurde bedroht.

Nachdem Gyan auch im Halbfinale der Afrika-Meisterschaft 2012 einen Elfmeter verschoss, nahm sich der Stürmer eine Auszeit. Er müsse sich sammeln, meinte Gyan, er habe diese Elfmeter nie verarbeitet und auch noch nicht verkraftet. 2013 kehrte er, der sich in die Vereinigten Arabischen Emiraten zum FC Al-Ain zurückzog, zu seinem Nationalteam zurück - und reist nun als Kapitän zur WM.

In Brasilien "wird er es sein, der die Mannschaft aus dem Tunnel aufs Feld führt", sagt Baffoe, "und das ist gut so: Keiner hat mehr durchgemacht als er, und er ist daran gewachsen. Gyan wirft nichts mehr um, und das spüren die anderen." Allein in diesem Zusammenhang, gibt Baffoe zu bedenken, seien auch die jüngsten selbstbewussten Aussagen von Kevin-Prince Boateng zu verstehen.

Der Schalker Mittelfeldspieler, der mit Ghana in der Vorrunde am 21. Juni auf Deutschland trifft, hatte jüngst gesagt: "Deutschland hat keine Typen und Charaktere, um mit diesem Druck umzugehen - und die eine Mannschaft mitreißen können." Aus diesen Worten, meint Baffoe, spreche das neue Selbstverständnis von Ghanas Nationalteam, das er auch bei anderen afrikanischen WM-Teilnehmern wahrnehme. Algerien und Nigeria werden in Brasilien antreten, daneben hält Baffoe auch von Kamerun um den ewig jungen Samuel Eto'o einiges.

Vor allem aber der Elfenbeinküste mit dem sich verabschiedenden Kapitän Didier Drogba traut er zu, sich in der Vorrunde gegen Japan, Kolumbien und Griechenland durchzusetzen. "Es wäre wichtig", sagt Baffoe, "dass diesmal nicht nur eine afrikanische Mannschaft aus der Gruppenphase weiterkommt, denn es wird Zeit, dass wir unsere Stärke nicht nur entwickeln, sondern auch zeigen. Unsere Zeit kommt jetzt."

Afrikas Fußballverbände sind jung im Vergleich zu den europäischen, erst mit der politischen Neuordnung der sechziger Jahre begann auch Afrikas Fußball sich zu organisieren. 1986 gelang es Marokko als erster afrikanischer Mannschaft, bis in ein WM-Achtelfinale vorzustoßen. 1990 in Italien schließlich sorgte Kamerun mit seinem 1:0-Auftaktsieg gegen Titelverteidiger Argentinien für einen Paukenschlag, erst im Viertelfinale war für die Mannschaft um den legendären Stürmer Roger Milla Schluss: Kamerun führte bis zur 82. Minute gegen England 2:1, die Sensation lag in der Luft, doch zwei Foulelfmeter retteten England erst in die Verlängerung und schließlich ins Halbfinale.

Der Auftritt Kameruns sorgte dafür, dass der Fußball-Weltverband Fifa Afrika für die WM 1994 erstmals drei Startplätze zusagte. Baffoe ist das nicht genug. "Es bewegt sich viel in Afrika. Aber um die Entwicklung voranzutreiben, müssen mehr Länder an der Endrunde teilnehmen." Afrika hat 53 Nationen, Europa besteht - je nach politischer Zuordnung - ebenfalls aus rund 50 Staaten. Europa darf 13 Mannschaften zur WM-Endrunde schicken, Afrika derzeit fünf.

Bei einem Besuch des Schweizer Nationaltrainers Ottmar Hitzfeld in Ghana habe er ihm eine Frage gestellt. "Warum", fragte Baffoe den Routinier, "haben afrikanische Mannschaften schon große Teams und sogar den Titelverteidiger bei einer WM geschlagen, sind dann aber jeweils in großen K.o.-Spielen gescheitert?" Hitzfeld habe nicht lange überlegen müssen. "Er meinte: Es ist immer leichter, für eine Sensation zu sorgen, als beständig oben mitzuspielen." Diesen Ausspruch habe er sich zu Herzen genommen, sagt Baffoe, und nicht nur er.

Bei der WM 2006 war der Sohn ghanaischer Eltern aus Bad Godesberg noch offizieller Berater von Ghanas Elf. Danach entschloss er sich, lieber an den Strukturen für die Profis zu arbeiten als an den Strukturen des Verbandes, und gründete in Ghana die Fußballprofi-Organisation, deren Geschäftsführer er heute ist.

Deutscher Nationaltorhüter
:Manuel Neuer hat weiter Schmerzen

Manuel Neuer kann seine malade Schulter noch nicht belasten und wird voraussichtlich erst nach dem Trainingslager in Südtirol mit der Mannschaft trainieren können. Weitaus besser sieht es bei Sami Khedira aus.

Am vergangenen Wochenende erst hat er bei einem Treffen der internationalen Spielergewerkschaft FIFPro in der Elfenbeinküste mitgeholfen, die afrikanische Vertretung der Gewerkschaft auf die Beine zu stellen. Nach einem Besuch des Vorbereitungsspiels zwischen Ghana und den Niederlanden in Amsterdam reist Baffoe dann kommende Woche weiter nach Rio de Janeiro, wo er während der WM als Spielort-Manager der Fifa für das reibungslose Funktionieren der Spiele im Maracanã zuständig ist. Zumindest ein Ghanaer also wird das Finale als Verantwortlicher erleben. Dabei aber, hofft Baffoe, wird es nicht bleiben.

"Vergessen Sie nicht: Afrika hat Spieler wie Didier Drogba, Yaya Touré, Kolo Touré, Obi Mikel, Michael Essien, Sulley Muntari, Asamoah Gyan, Andrew Ayew, Kwadwo Asamoah, Kevin-Prince Boateng, Samuel Eto'o und viele andere", sagt Baffoe. "Das sind international erfahrene Profis, die inzwischen auch bei ihren Nationalteams professionelle Strukturen vorfinden und damit arbeiten können."

Noch bei der WM 2010 habe die Öffentlichkeit teilweise noch am Spieltag negative Dinge von einer Mannschaft gehört, zum Beispiel, dass über Prämien gefeilscht wurde. "Das sollten wir diesmal nicht erleben", sagt Baffoe, "weil es diesmal anders läuft. Der afrikanische Fußball ist erwachsen geworden."

© SZ vom 28.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Finale: Deutschland Argentinien
:Fußball-WM 2014 Spielplan

Täglicher Spielplan zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien mit Gruppeneinteilung und allen WM-Spiel-Terminen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: