Afrikaner bei der Tour de France:Eritreas Diktator kauft die besten Räder

560071645

Starker Afrikaner: Daniel Teklehaimanot bei der Tour de France.

(Foto: Eric Feferberg/AFP)

Irgendwann wollen sie die Tour gewinnen: Daniel Teklehaimanot und Merhawi Kudus aus Eritrea stehen für den Aufschwung des afrikanischen Radsports. Aber ihre Geschichte ist auch eine politische.

Von Johannes Aumüller

Daniel Teklehaimanot ist merklich müde, aber die Bilder zeigt er noch gerne. Auf vielen ist er selbst zu sehen, aber er hat sich auch einige Aufnahmen auf sein Smartphone geladen, wie die Menschen zu Hause feiern, wie sie mit der Landesflagge durch die Straßen von Asmara laufen, wie sie sich im Kino treffen, um gemeinsam anzuschauen, was ihr Landsmann da Verblüffendes veranstaltet bei diesem Radspektakel in Frankreich. "Das ist alles nicht mehr normal für mich."

Abdel-Kader Zaaf trank eine Flasche Wein und legte sich schlafen - die Zeiten sind vorbei

Daniel Teklehaimanot sitzt auf der schmalen Terrasse eines kleinen Hotels, er ist ein gefragter Mann geworden. Er und sein Landsmann Merhawi Kudus sind in der Tour-Historie die ersten Teilnehmer aus dem ostafrikanischen Staat Eritrea. Und in der ersten Woche hat Teklehaimanot das Bergtrikot erobert, dieses begehrte weiße Hemd mit den roten Punkten. Es gibt einige in der Szene, die den beiden mittelfristig noch viel mehr zutrauen.

Auch früher gab es schon afrikanische Athleten bei der Tour. Der berühmteste von ihnen ist eher unfreiwillig der Marokkaner Abdel-Kader Zaaf geworden, dessen Geschichte nicht fehlen darf, sobald sich der Tross wie in diesen Tagen wieder durch die Provinz Languedoc bewegt: 1950 wagte er auf dem Weg nach Nimes einen Ausreiß-Versuch, dann hatte er Durst, trank eine Flasche Wein und legte sich für ein Päuschen hin - als er erwachte und das Feld schon lange vorbeigedüst war, fuhr er erst mal in die falsche Richtung davon. Später waren ein paar Südafrikaner erfolgreich, etwa der Sprinter Robbie Hunter. Oder Daryl Impey, der 2013 in der ersten Woche für ein paar Tage Gelb trug.

Aber Teklehaimanot, 26, und Kudus, 21, sowie ein paar andere junge Radler aus Ostafrika sollen bald mehr sein als Exoten. Sie sollen auch in der Gesamtwertung eine Rolle spielen, im Kampf ums gelbe Trikot. Bernard Hinault, Frankreichs bisher letzter Tour-Sieger, glaubt jedenfalls fest daran. Er hat schon vor zwei Jahren den Satz geprägt, wonach "die Eritreer die neuen Kolumbianer" seien; die Südamerikaner haben sich längst als Kletterspezialisten etabliert und stellen, angeführt von Nairo Quintana (Movistar), diverse gute Rundfahrer. Auch der diesjährige Tour-Dominator Christopher Froome, selbst in Kenia geboren, meint, dass die Afrikaner bald vorne dabei sein würden. Jens Zemke, Sportlicher Leiter beim südafrikanischen MTN-Qhubeka-Team, für das die beiden Eritreer fahren, wiederum sagt: "Wenn wir unsere Philosophie so weitergehen und die afrikanischen Athleten fördern, dann ist das die logische Konsequenz."

In Afrikas Radsport mag es strukturelle Probleme geben, aber er schreibt gerade die schönsten Aufsteiger-Geschichten. Daniel Teklehaimanot ist sieben Jahre alt, als er das erste Mal auf einem Fahrrad sitzt. Mit 13 fängt er an, regelmäßig zu fahren, nicht selten mit einem seiner fünf Brüder oder einer seiner sechs Schwestern. Irgendwann bestreitet er ein paar Rennen - und mit 18 ist er zum ersten Mal beim Trainingszentrum des Rad-Welt- verbandes (UCI) in Lausanne zu Gast. "Mir hat auf den ersten Blick gefallen, welche Position er auf dem Rad hatte. Da musste man nichts verändern", berichtete der dortige Trainer Michel Theze der L'Équipe.

Eritreas Hauptstadt liegt 2300 Meter über dem Meer - für die Ausdauer ist das perfekt

Es ist kein Zufall, dass die bisher besten afrikanischen Berg- und Rundfahrer Eritreer sind. In der Leichtathletik kommen schon seit Jahren die besten Ausdauersportler aus dem Osten Afrikas, aus Kenia, Äthiopien, Eritrea. Es mag im Einzelfall spezielle Geheimnisse für ihre Erfolge geben, aber eines ist unter den Beobachtern unbestritten: wie die Höhenlage und die Bedingungen dort abstrahlen auf die konditionellen Grundlagen. Kurz bevor Zemke 2011 sein Amt bei MTN antrat, hatte er beim Frankfurt-Marathon mal wieder starke ostafrikanische Läufer bewundert. "Da habe ich mich gefragt, warum das nicht auch im Radsport möglich sein soll, dass die körperlichen Voraussetzungen besser ausgenutzt werden." Teklehaimanot etwa stammt aus Debarwa, 1900 Meter über Meereshöhe, die Hauptstadt Asmara liegt noch mal 400 Meter höher. In Eritrea hat Radsport zudem Tradition: Es ist ein Erbe der Kolonialzeit, als die Italiener das Land regierten. Kein Land in Afrika sei Radsport-begeisterter, heißt es.

Die Stimmung ist immer prächtig

Teklehaimanot merkt das auch in diesen Tour-Tagen. Wenn er morgens mit dem Bus zum Start oder abends ins Ziel kommt, erwartet ihn oft eine Gruppe eritreischer Fans. Die Stimmung ist immer prächtig, wenn die Fans in der Landes- sprache Tigrinya ihre beiden Helden anfeuern und dazu die grün-rot-blaue Flagge mit dem gelben Olivenzweig schwenken, die im bunten Fahnenmeer der Tour bisher kaum jemand gekannt hat. Beim Auftaktzeitfahren in Utrecht "habe ich hier jeden Kilometer eine Fahne gesehen", berichtet Teklehaimanot, "aber das hat uns nicht überrascht: Merhawi hat sogar gedacht, dass 1000 Eritreer kommen."

Aber die Geschichte der beiden jungen Männer aus Eritrea hat noch zwei andere Aspekte. Der eine ist ein ökonomischer. Der Radsport ist längst dabei, sich vom Kernmarkt Europa wegzubewegen und sich zu globalisieren. Zuletzt gab es unter anderem in Burkina Faso, im Oman oder in China Rundfahrten, im Vorjahr startete in Ji Cheng bei der Tour erstmals ein Chinese - wenngleich der offenkundig nicht das Format dafür hatte, wie sogar manche seiner Mitglieder im Giant-Team monierten. Diesen Vorwurf müssen sich Teklehaimanot und Kudus nicht anhören. Und der UCI gefällt, dass sie neue Helden präsentieren kann: 42 afrikanische Länder übertragen die Tour live, "da gibt es unglaublich viel Aufmerksamkeit", sagt Zemke.

Man solle den Fahrern "die besten Räder kaufen", befahl der Präsident - er weiß warum

Und dann gibt es noch eine politische Komponente. Daniel Teklehaimanot nimmt auf der Terrasse noch einmal sein Smartphone in die Hand und zeigt ein Foto, auf das er besonders stolz zu sein scheint. Vier Männer stehen vor einem See nahe Asmara, drei Radfahrer, die beiden Tour-Starter und ihr Freund Natnael Berhane, der es knapp nicht in den Kader für die Frankreich-Rundfahrt schaffte - und dazu auf der halbrechten Position der Staatspräsident. Seit mehr als 20 Jahren regiert Isayas Afewerki das Land autoritär. Reporter ohne Grenzen listet Eritrea in seinem jährlichen Index schon seit Jahren auf dem letzten Platz - noch hinter Turkmenistan und Nordkorea. Amnesty International berichtet regelmäßig von politischen Gefangenen. Afewerki weiß wie jeder politische Führer, wie gut sich der Sport eignet, um das Image zu verbessern, wenn einer der Seinen im Bergtrikot fährt oder wenn das TV ständig feiernde Menschen mit der bunten Landesfahnen zeigt. Afewerki unterstützt den Radsport, "er hat die Föderation angewiesen, uns die besten Räder zu kaufen", sagt Teklehaimanot, der sich zu seiner eigenen politischen Haltung nicht äußert.

Wenn die Frankreich-Rundfahrt beendet ist, dann soll es in Eritrea einen großen Empfang geben. Für Teklehaimanot und Kudus. Aber ganz zentral wird auch Isayas Afewerki zu sehen sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: