Afrika bei der Fußball-WM:Ein Kontinent verlernt das Träumen

Afrika bei der Fußball-WM: Hannovers Salif Sané (r.) und Diafra Sakho trauern wegen Senegals Aus.

Hannovers Salif Sané (r.) und Diafra Sakho trauern wegen Senegals Aus.

(Foto: AFP)
  • Seit Jahrzehnten begleitet den Kontinent Afrika der Traum des Weltmeistertitels.
  • Doch bei dieser WM sind die Teams davon so weit entfernt, wie seit 36 Jahren nicht.
  • "Es ist enormer Druck auf unseren Schultern, wir repräsentieren Afrika, die arabische Welt und zwölf Millionen Tunesier", sagt Tunesiens Trainer Nabil Maaloul.

Von Johannes Aumüller, Samara

28 Jahre ist es jetzt her, da wagte sich der große brasilianische Fußballer Pelé an eine eindeutige Prognose. "Bald wird der Weltmeister aus Afrika kommen", sagte er. Die Fußballwelt war damals verblüfft ob des Auftritts von Kamerun bei der WM 1990 - und Dutzende Male ist der Kern des Pelé-Satzes in den Jahren danach vorgetragen worden. Als Nigeria Mitte der Neunziger sein Parade-Team hatte und Olympia-Gold holte; als Senegal 2002 bis ins WM-Viertelfinale kam; als sich die Elfenbeinküste um Weltklasse-Stürmer Didier Drogba formierte; oder als Ghana 2010 in der Runde der letzten Acht erst im Elfmeterschießen an Uruguay scheiterte.

Auch dieser Tage ist der Satz wieder in Variationen zu hören gewesen, etwa von Senegals aktuellem Trainer Aliou Cissé. "Der afrikanische Kontinent ist voller Qualität", sagte er kurz nach Beginn der WM. Es gebe ein paar Mannschaften, die werden "irgendwann in der Lage sein, Weltmeister zu werden".

Eine afrikanische Mannschaft? Weltmeister? Es ist dieser große Traum eines Kontinentes, der seit drei Jahrzehnten den Weltfußball begleitet. Aber es hat den Anschein, als würde Afrikas Fußball der Realisierung dieses Traums nicht näherkommen, sondern sich immer weiter davon entfernen. Nicht mehr "bald", heißt es heute, sondern: "irgendwann".

Ein derart schlechtes Abschneiden gab es zuletzt vor 36 Jahren

Am Donnerstagabend saß Cissé im Presseraum von Samara. Er saß dort nach einem 0:1 gegen Kolumbien als Trainer einer Mannschaft, die denkbar knapp in der Vorrunde gescheitert war. Gescheitert an einem vom Weltverband neu eingeführten Instrument namens Fair-Play-Wertung, weil das Team zwar mit den Japanern punkt- und torgleich und das direkte Duell remis geendet hatte - jedoch die Senegalesen in der Vorrunde zwei gelbe Karten mehr gesehen hatten. Aber Cissé saß dort auch als Trainer der letzten afrikanischen Mannschaft, die Achtelfinal-Hoffnungen gehegt hatte. Vorbei: Keine Mannschaft des Kontinentes qualifizierte sich für die K.o.-Runde. Ein derart schlechtes WM-Abschneiden gab es zuletzt vor 36 Jahren.

Cissé gab sich trotzdem optimistisch. "Der afrikanische Fußball macht viele Fortschritte, und wir setzen diesen Weg fort", sagte er: "Ich bin mir sicher, dass wir gute Sachen machen werden." Er glaubt, dass trotz des statistisch schlechten Resultats die Lücke zur Konkurrenz aus Europa oder Südamerika kleiner wird. "Ich habe mir auch andere Spiele angeschaut und denke nicht, dass wir uns für unseren Fußball schämen müssen", sagte er. Doch es gibt auch viele Vertreter des afrikanischen Fußballs, die das anders sehen.

Natürlich lohnt sich ein differenzierterer Blick auf den kollektiven Vorrunden-Knockout. Ägypten mitsamt seinem verletzt angereisten Superstar Mo Salah präsentierte sich erschreckend schwach. Tunesien war chancenlos, erwies sich aber immerhin nicht als Mannschaft, die gegen bessere Teams nur mauert. Marokko erwischte eine schwere Gruppe, in der es gegen Iran Pech hatte mit einem späten Eigentor und gegen Spanien sowie Portugal sehr gut mithielt. Und die beiden anderen Starter scheiterten an Kleinigkeiten, die Nigerianer an einem sehr späten Gegentreffer durch Argentiniens Abwehrspieler Marco Rojo, und die Senegalesen an jener Fair-Play-Wertung, bei der sich lange diskutieren lässt, wie fair sie wirklich ist.

Nahezu alle Nationalkicker stehen bei ausländischen Klubs unter Vertrag

Aber das ändert nichts an einigen strukturellen Argumenten und Problemen, die Afrikas Fußball ebenso traditionell umgeben wie der Traum vom WM-Titel. Es gibt viele Organisationsmängel, quasi nirgendwo in Afrika existiert eine florierende nationale Meisterschaft. Nahezu alle Nationalkicker stehen bei ausländischen Klubs unter Vertrag, im Falle Senegals gab es im 23er-Kader keinen einzigen Akteur aus der heimischen Liga, und in Torwart Khadim N'Diaye nur einen aus einer afrikanischen (Horoya AC, Guinea). In vielen Föderationen spielt Korruption eine Rolle, aktuell ist Ghanas Verbandspräsident zurückgetreten, weil er sich bei der Annahme von Schmiergeldern filmen ließ. Zudem sind die Erwartungshaltungen an die Spieler und Trainer oft immens. "Es ist enormer Druck auf unseren Schultern, wir repräsentieren Afrika, die arabische Welt und zwölf Millionen Tunesier", sagte zum Beispiel Tunesiens Trainer Nabil Maaloul während des Turnieres. Auch deswegen fehlt es oft an Kontinuität.

Gernot Rohr kennt diese Konstellation nur zu gut. Der gebürtige Mannheimer arbeitet seit acht Jahren in Afrika, er war Trainer in Gabun, Niger und Burkina Faso, derzeit coacht er die knapp gescheiterten Nigerianer. Er ist gar nicht so unzufrieden mit dem Turnier. Das Team sei noch jung, er hoffe, es lerne daraus. "In Sachen Organisation und Disziplin bestehen erhebliche Defizite, die man nicht von heute auf morgen aufholen kann. Das ist auch eine Frage der Mentalität", erklärte er kürzlich. Aber dass nun erstmals nach so langer Zeit kein afrikanisches Team in der K.-o.-Runde einer WM steht, empfindet er als "großen Rückschlag".

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