Afghanischer Torhüter:Ausländer in beiden Welten

Afghanischer Torhüter: Pendelt ständig zwischen zwei Welten: Mansur Faqiryar.

Pendelt ständig zwischen zwei Welten: Mansur Faqiryar.

(Foto: privat)

Mansur Faqiryar war Torwart des VfB Oldenburg, dann wurde er in Afghanistan über Nacht zum Volkshelden. Über einen Fußballer, der in jungen Jahren mehr erlebt hat als andere in einer ganzen Karriere.

Von Ann-Kathrin Eckardt

Aufgeregte Menschen, Salvenschüsse, laute Autohupen - es ist der 11. September, als Afghanistan in Aufruhr gerät, wieder einmal. Aber an diesem Abend, 2013, ist alles anders. Zehn Millionen Menschen haben zuvor vor dem Fernseher gesessen oder auf weißen Bettlaken an den Wänden von Cafés unscharfe Fußballspieler verfolgt. Nach 90 Minuten liegen sich alle in den Armen, feiern ihre Nationalelf. Und ihren Star: einen 27-Jährigen aus Bremen, der besser Hochdeutsch spricht als seine Muttersprache.

Zum Helden einer verwundeten Nation wird Mansur Faqiryar, Torwart des VfB Oldenburg, sprichwörtlich über Nacht. Aber das ahnt er noch nicht, als er am Tag nach dem Spiel im Morgengrauen in Kathmandu ins Flugzeug steigt. Er hat zwei Elfmeter gehalten und die afghanische Nationalmannschaft ins Finale der Südasienmeisterschaft gebracht. Das alleine wäre bereits eine Sensation gewesen. Erst vor ein paar Monaten hatte das erste Heimspiel in Afghanistan stattgefunden - nach 30 Jahren. Dann aber war dem Fußballzwerg auch noch der 2:0-Sieg über Indien gelungen. Ein Wunder war geschehen.

Manchmal, so scheint es, wenn Faqiryar heute, fünf Jahre später, in einem Café in München sitzt und vom afghanischen 1954 erzählt, kann er es immer noch nicht fassen, dass ausgerechnet er da hineingeraten ist. Dass ausgerechnet er zum wichtigsten Spieler des Turniers gewählt wurde.

In Kabul empfängt Präsident Hamid Karsai die Spieler am Flughafen und erklärt den Tag zum Feiertag. Zu Faqiryar sagt er in die TV-Kameras: "Was du mit deinen gehaltenen Elfmetern geschafft hast, haben wir Politiker in zwölf Jahren mit Milliarden US-Dollars nicht geschafft."

Tatsächlich hätte sich kein Drehbuchautor die Geschichte besser ausdenken können. Eine Art verlorener Sohn - gut aussehend, groß, gewinnendes Lachen - kehrt nach 26 Jahren zurück und wird in einem kriegsmüden Land zum Hoffnungsträger. In Zeiten, in denen auf Afghanistan meist die Worte Abschiebung oder Anschlag folgen, ist die Biografie von Faqiryar ("Heimat Fußball. Mein Leben zwischen Bremen und Kabul", Knaus) gerade eine wohltuende Abwechslung, ein modernes Märchen, das der Kraft des Sports auch abseits der großen Vereine und Namen huldigt.

Doch wie es sich für wahre Helden gehört, wurde auch Faqiryar auf dem Weg zum Triumph von Zweifeln geplagt. Warum mache ich das eigentlich?, fragte er sich, wenn er mal wieder übermüdet am Flughafen saß oder stundenlang im Kleinbus über Schotterpisten fuhr, um zum nächsten Spielort zu gelangen. Wenn er bei 35 Grad in Laos sein Tor verteidigte und keine 48 Stunden später bei null Grad für den VfB Oldenburg im Tor stehen musste. Wenn er mitbekam, wie bei einem Turnier in Asien Spiele manipuliert wurden. Oder wenn seine afghanischen Mitspieler ihn spüren ließen, dass sie keineswegs erfreut waren über den "Ausländer" im Team.

Viel ist von Toten die Rede - selten von Fußball

"Der Ausländer", das ist Mansur Faqiryar, seit er denken kann. Seine Eltern flohen mit ihm und seiner älteren Schwester nach Deutschland, als er ein Jahr alt war. Die Familie zog nach Bremen-Kattenturm, ein Viertel, in dem nur aussteigt, wer auch dort wohnt. Die Heimat seiner Eltern kennt der Sohn nur aus Erzählungen. Und aus den afghanischen Nachrichten. Oft ist da von Toten die Rede und von den Taliban. Ganz selten auch von Fußball.

Auch in Afghanistan ist Fußball Nationalsport Nummer eins. Bereits 1922, drei Jahre nach der Unabhängigkeit, wurde der Afghanische Fußballbund gegründet. Selbst die Taliban verboten den Sport nicht, die Spieler mussten sich nur ordnungsgemäß verhüllen. Die radikalen Islamisten nutzten während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 die Beliebtheit des Sports, um die Massen zusammenzubringen. Im Ghazi-Stadion in Kabul töteten und folterten sie in der Halbzeitpause.

Afghanen, die zum ersten Mal seit Jahren wieder Stolz empfinden auf ihr Land

Fragt man Faqiryar, warum er trotz aller Strapazen, trotz einfachster Trainingsbedingungen weiter für die afghanische Nationalelf gespielt hat, erzählt er vom Gespräch mit dem afghanischen Scout, der ihn empfohlen hatte. Der sagte: "Wenn ihr ausländischen Spieler in der Nationalelf hinschmeißt, von wem sollen die Kinder in Afghanistan dann lernen? Ihr seid nicht im Krieg, sondern in einer anderen Welt aufgewachsen, ihr müsst Vorbild sein."

Was genau der Scout damit meinte, wird Faqiryar ausgerechnet im Ghazi-Stadion klar. Nach dem Empfang am Flughafen von Kabul fährt die Mannschaft in gepanzerten Autos zum Nationalstadion. Der Torwart ist als einer der ersten da. Für einen Moment sitzt er ganz alleine auf der Ehrentribüne, zwanzig Meter über den Köpfen der Menschenmenge, die seinen Namen ruft. Es sind nicht mehr Paschtunen, Tadschiken, Hazara oder Usbeken, sondern einfach nur Afghanen, die zum ersten Mal seit Jahren wieder Stolz empfinden auf ihr Land. Beim Anblick der vielen jungen Leute - das Durchschnittsalter in Afghanistan liegt bei 18 Jahren - fasst Faqiryar einen Entschluss: Er will helfen, das Land wieder aufzubauen. Durch den Fußball will er Werte vermitteln und Gemeinschaft schaffen.

Zurück in Deutschland gründet er eine Stiftung, die Mansur Faqiryar Foundation. Inzwischen unterstützt sie Geflüchtete in Deutschland sowie Jungen und Mädchen in Afghanistan beim Kicken. Und irgendwann will Mansur Faqiryar aus Bremen auch eine Fußballschule bauen. In Afghanistan.

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