Als Theo Zwanziger 60 Jahre alt wurde, im Juni 2005, fragte ihn der kicker, wer denn sein Lieblingsspieler sei: "Das war Günter Netzer", antwortete der damals Geschäftsführende Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Netzer sei sein "großes sportliches Vorbild" gewesen. "Knapp" vor Franz Beckenbauer. Im Herbst 2012 traf Zwanziger sein Idol Netzer in Zürich. Er hatte eine Bitte. In wenigen Wochen komme seine Autobiografie "Die Zwanziger Jahre" auf den Markt, und es wäre nett, wenn Netzer bei der Buchvorstellung dabei sei.
Bei dieser Gelegenheit soll Netzer, der in verschiedenen Funktionen mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zu tun hatte, eher beiläufig erklärt haben, die Deutschen hätten die Wahl gekauft. Bei der entscheidenden Abstimmung im Jahr 2000 seien mit 6,7 Millionen Euro die Stimmen von vier Fifa-Funktionären aus Asien gekauft worden. Die Wahl ging 12:11 aus.
Zwei Aussagen gegen eine
Das angebliche Zitat mit den Asiaten ist die Schlüsselstelle für den Vorwurf von Zwanziger und Spiegel, das Sommermärchen sei ein Märchen gewesen. Netzer hatte zwar sofort bestritten, jemals so etwas gesagt zu haben, auch nicht in der Art. Aber irgendwie war das vermeintliche Zitat hängen geblieben. Da stehe "Aussage gegen Aussage", schrieb der Spiegel.
Aber jetzt stehen zwei Aussagen gegen eine. Bei dem Gespräch in Zürich war Netzers Frau Elvira zugegen. Und sie bezeugt nun, dass ihr Mann so etwas nicht gesagt habe. Netzer will Zwanziger zwingen, die Behauptung mit den vier gekauften Asiaten nicht mehr zu wiederholen. Aus Sicht von Netzer handelt es sich um üble Nachrede. Wenn es um ehrenrührige Behauptungen geht, muss eigentlich derjenige, der sie aufgestellt hat, die Richtigkeit beweisen.
"Sie kann bezeugen, dass Zwanziger lügt"
Netzer schickt jetzt die Juristen aufs Spielfeld. Seine Anwälte wollen Zwanziger zunächst eine Abmahnung schicken. Er soll sich bis Freitag, 14 Uhr, verpflichten, künftig die Behauptung zu unterlassen, dass Netzer sich so geäußert habe. Falls Zwanziger die Abmahnung nicht unterschreibt, soll Klage gegen ihn bei Gericht erhoben werden. Dann käme es zu einer Beweisaufnahme. Netzer, seine Frau und Zwanziger müssten vor Gericht aussagen, was in Zürich gesagt worden ist.
Rechtstechnisch sieht der Fall so aus: Durch die Aussage seiner Frau will Netzer belegen, dass er den Satz nie gesagt hat. Der frühere DFB-Präsident hingegen hat keinen Zeugen für seine Behauptung. "Zwanziger hat offenbar vergessen, dass Frau Netzer während des gesamten Gesprächs mit am Tisch saß", sagt Netzers Medienanwalt Ralf Höcker: "Sie kann bezeugen, dass Zwanziger lügt."
Offenbar hat Netzer eine Weile geschwankt, ob er Zwanziger frontal attackieren soll oder nicht. Als Fußballer ist der einstige Spielmacher, der "aus der Tiefe des Raumes" kam, wie ein Literaturwissenschaftler einst über ihn schrieb, nie durch Härte, sondern durch seine Spielkultur aufgefallen. Doch jetzt, in der Affäre um die 6,7 Millionen Euro, den DFB und das damalige WM-Organisationskomitee, geht der inzwischen 71-Jährige heftig dazwischen.
"Ich weiß, dass ich solche Verleumdungen leider noch aufwerte, wenn ich den Rechtsweg beschreite", sagte Netzer am Dienstag der Süddeutschen Zeitung. "Aber es gibt einen Punkt, an dem man so etwas nicht mehr einfach ignorieren kann. Und der ist jetzt gekommen."
Der frühere Nationalspieler, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, ist ein Mythos. Im richtigen Moment war er immer da: als Spieler bei Borussia Mönchengladbach und Real Madrid, als Manager des Hamburger SV, als Geschäftsmann und Partner des Unternehmers und früheren Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus; und als TV-Kommentator. Er hat für seine Fußballanalysen, die er Expertisen nannte, den begehrten Grimme-Preis bekommen. Es waren schöne Plaudereien mit Gerhard Delling.
Seine berühmteste Szene als Fußballer war das grandiose Pokalfinale 1973: Borussia Mönchengladbach gegen 1. FC Köln. Verlängerung. Netzer auf der Bank. Er steht langsam auf, legt den Trainingsanzug ab und bedeutet dem Spieler Christian Kulik, dass der ausgewechselt werde. Der Trainer, Hennes Weisweiler, greift nicht ein. Kaum ist Netzer auf dem Platz, trifft er in seinem letzten Spiel für Gladbach links oben in den Winkel: 2:1, Pokalsieg.
Andere meinen, das 3:1 der Nationalelf 1972 in Wembley gegen England mit dem Regisseur Netzer sei sogar noch größer gewesen. Da war das legendäre Zusammenspiel mit Beckenbauer. "Ramba Zamba" schrieb der Boulevard über die beiden. Wenn sich heute Cristiano Ronaldo den Ball zum Freistoß zurechtlegt, denken die Alten oft an Netzer, der die Freistöße auch wunderbar zelebrierte, aber ohne das geckenhafte Getue.
Netzer ist ein Glückskind. Er hat nie Lotto gespielt, und ein Fan, der auf seinem Oberarm "Netzer 10" tätowiert hatte, hat ihm mal einen Gewinnschein mit fünf Richtigen und Zusatzzahl geschenkt. Netzer teilte sich den Gewinn mit dem Fan. Das Feuilleton hat ihn fälschlicherweise für einen Philosophen oder einen Rebellen gehalten. Beides war er nie.
Er war kein Herdenmensch und hatte Erfolg in der Menge. Er trug schwarz, ließ die Haare lang wachsen und hörte Rolling Stones und Bob Dylan. Auch sah er nur so aus wie ein Revoluzzer und spielte Fußball aus der Intuition heraus. Und er hat sich, trotz aller fußballerischer und geschäftlicher Erfolge, stets zur Faulheit bekannt. Er leistete sich den Luxus, weniger als die anderen zu laufen.
"Alles sauber abgewickelt"
Im Fall der Fußball-WM 2006 war Netzer einer der Botschafter des deutsches Bewerbungskomitees und zudem mit der Firma CWL im Einsatz, die mit Fußball-Übertragungsrechten für das Fernsehen handelte und zum Konzern des Medienmagnaten Leo Kirch gehörte.
Die CWL vermittelte im Sommer 2000 Freundschaftsspiele des FC Bayern München in Malta, Tunesien und Thailand und kaufte die TV-Rechte für diese Kicks. Aus diesen drei Ländern kamen Fifa-Funktionäre, die über die Vergabe der WM 2006 mit abstimmten. Netzer sprach später von einem normalen Agenturgeschäft, "alles sauber abgewickelt". Einer der Mitstreiter bei der WM-Bewerbung, der Beckenbauer-Intimus und Strippenzieher Fedor Radmann, bezeichnete solche Aktionen als "international üblich".
Wenige Jahre später gründete Netzer mit Dreyfus und weiteren Partnern die Agentur Infront und kaufte den Sportrechtehandel aus der Insolvenzmesse der pleite gegangenen Kirch-Gruppe, inklusive der TV-Rechte für die WM 2006. In jener Zeit soll Dreyfus dem deutschen WM-OK die angeblich von der Fifa geforderten 6,7 Millionen Euro vorgestreckt haben, um sie dann später zurückzufordern. Über diesen Anspruch von Dreyfus soll Netzer 2004 einen der OK-Vizechefs, Horst R. Schmidt, informiert haben.
Als Theo Zwanziger im Spätherbst 2012 sein Buch präsentierte, erschien Netzer nicht. Diesmal hatte er sich selbst ausgewechselt, weil ihm an dem Buch manches missfiel. In dem Werk griff Zwanziger seinen Nachfolger als DFB-Chef, Wolfgang Niersbach, und andere an. Fifa-Chef Sepp Blatter dagegen erhielt ein Lob. Dass Netzer nicht kam, hat Zwanziger so kommentiert: "Ich kann das verstehen." Oder auch: "Ich habe überhaupt kein Problem damit." Jetzt will ihm Netzer Probleme bereiten.