Affäre um WM 2006:Fußball unser

Germany v Argentina: 2014 FIFA World Cup Brazil Final

WM-Sieger 2014: Bastian Schweinsteiger (links) und Lukas Podolski werden von Gefühlen überwältigt.

(Foto: Getty Images)

Ein eingetrübtes Sommermärchen kann vielleicht einen Wolfgang Niersbach zu Fall bringen. Doch die Weltmacht Fußball geht niemals unter.

Kommentar von Lothar Müller

Ohne das "Sommermärchen" gäbe es das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund nicht, das am Sonntag für das Publikum eröffnet wird. Es ging aus der großen Euphorie hervor, die während der Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 herrschte - und aus dem finanziellen Gewinn, den das Organisationskomitee des DFB dabei erzielte. Deutschland war nicht Weltmeister geworden, trug aber am Ende den Geldsegen davon und ein Bild von sich selbst in die Welt, in dem der kosmopolitisch-weltoffene, gastfreundliche Deutsche an die Stelle des hässlichen Deutschen trat.

Dies war nun keine gute Woche für das Sommermärchen. Und eine ganz schlechte für den DFB. Das Sommermärchen geriet unter den Verdacht, gekauft worden zu sein. Und der DFB in Gestalt seines Präsidenten Wolfgang Niersbach scheiterte kläglich bei dem Versuch, diesen Verdacht auszuräumen.

Bei seiner Pressekonferenz am Donnerstag in Frankfurt huschten Millionenbeträge wie verirrte Mäuse zwischen dem deutschen Organisationskomitee und seinem Vorsitzenden Franz Beckenbauer, der Fifa und dem früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus hin und her, ohne nachweisliche Buchungsspuren zu hinterlassen. Irgendwann verschwanden die Millionen im Halbdunkel der Sätze des DFB-Präsidenten.

Fast wartete man darauf, dass Niersbach irgendwann wie weiland Günter Schabowski vor dem Mauerfall einen Zettel herausziehen könnte, der das Gesamtsystem, von dem hier die Rede war, zum Einsturz bringen würde. Aber nein, nichts ist bewiesen, es müssen keine schwarzen Kassen gewesen sein, mit denen das Sommermärchen seinen Anfang fand. Dennoch sieht das Publikum in ein schwarzes Loch, in dem DFB-Präsidium und Organisationskomitee verschwinden könnten. Es würde sich nicht wundern, wenn da doch schwarze Kassen gewesen wären, wie nun der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger sagt. Der DFB ist der Fifa-Welt um Sepp Blatter nahegerückt, und das ist eine Welt nahe am Abgrund, nahe am Untergang.

Was aber heißt hier Untergang? Was können die großen und kleinen Skandale dem Fußball antun? Können sie dazu führen, dass er herabgestuft wird wie der Radsport nach den Doping-Skandalen der Tour de France, dass die Massen ihm die Loyalität aufkündigen, die Fernsehsender ihn nicht mehr übertragen, Geldströme dauerhaft versiegen? Könnte gar eintreten, was Franz Kafka 1923 in einer oft zitierten Notiz seines Tagebuchs für möglich hielt: "Vielleicht hört der Fußball jetzt überhaupt auf?" Nein, der Fußball hört nicht auf. Denn für den Fußball gilt, was für gewisse Akteure der Finanzkrise galt, er ist "too big to fail". Blatter, Michel Platini, Niersbach, sie alle können untergehen. Der Fußball insgesamt kann es nicht.

Das Publikum ist die Weltgesellschaft

Public Viewing

Weltmacht Fußball: Fans beim Public Viewing während der WM 2014

(Foto: dpa)

Schon lange gibt es "König Fußball", spätestens seit 1974 die deutsche Nationalmannschaft sang "Fußball ist unser Leben, denn König Fußball regiert die Welt". Seither hat dieser König sein Terrain ständig vergrößert. Die Fifa zählt 209 Mitgliedstaaten, die Vereinten Nationen kommen nur auf 193. Natürlich regiert König Fußball nicht die Welt, er unterliegt ihren ökonomischen, politischen und kulturellen Gesetzen, aber er ist auf dem Weg, die einzige, jedenfalls die dominante weltumspannende Sportart zu werden. Längst wird er auch dort gespielt, wo er auf keine lokale Tradition zurückgreifen kann und starke Rivalen hat. Von den USA bis nach China verbindet er den lokalen Aufschwung mit globalen Ambitionen. Und vor allem: Sein Publikum - umfassender als im Tennis-Zirkus, breiter gefächert als in der Formel 1 - ist die Weltgesellschaft.

Der internationale Fußball steht nicht nur im Museum - er ist sakralisiert

Die internationale Vermarktung der Fernsehrechte der nationalen Ligen war ein prägendes Phänomen der vergangenen Jahrzehnte. Seit 2001 ist die DFL (die Deutsche Fußball-Liga), nicht der DFB für die - auch internationale - Vermarktung der Bundesliga zuständig. Shinji Kagawa konnte seinen Kindertraum, einmal in der englischen Liga zu spielen, in seiner japanischen Heimat nur träumen, weil die europäischen Ligen in Asien präsent sind. Und er konnte sich ihn durch seinen zeitweiligen Wechsel von Borussia Dortmund zu Manchester United nur erfüllen, weil 1995 der Spielermarkt durch das "Bosman-Urteil" globalisiert wurde, das die Begrenzung der Zahl ausländischer Spieler in europäischen Vereinsmannschaften aufhob.

Die Expansion des Fußballs zu einer Weltmacht, die noch Sportart, zugleich aber korruptionsanfälliger ökonomischer, politischer und kultureller Global Player ist, beruhte nicht nur auf seiner Kommerzialisierung. Diese Ausdehnung ging mit einer kulturellen Aufwertung des Fußballs einher, die ihn nicht nur museumsfähig machte, sondern zugleich sakralisierte. Schon Toni Turek, Torwart der deutschen WM-Mannschaft 1954, war ein "Fußball-Gott", später kamen "Flanken-Götter" wie Stan Libuda hinzu. Kurz nach dem Bosman-Urteil erschienen Bücher mit Titeln wie "Gott ist rund", zum Sommermärchen 2006 brachte das SZ Magazin das WM-Brevier "Fußball unser" heraus.

Zugegeben, das waren nur pathetische oder ironische Metaphern, aber zugleich Suchbewegungen nach einem neuen Deutungshorizont. Lange waren die Soziologen für die Analyse des Sports in den modernen Gesellschaften zuständig, nun kamen die Religionssoziologen hinzu. Denn der Fußball wurde zu einer Art Weltreligion mit einem tief im Lokalen verwurzelten Loyalitätsreservoir. Es kann bei den großen Festen, den Welt-, Europa- Asien- und Afrika-Meisterschaften nur deshalb so hoch aufschäumen, weil es so fest im lokalen Alltag verwurzelt ist. Keine Mannschaft erzeugt so wenig affektive Bindungen wie eine Weltauswahl, darum muss der Weltfußball das lokale Sekten- und Devotionalienwesen, die bedingungslose Treue zum Verein in sich aufnehmen. Der Fußball ist das Paradebeispiel für die wechselseitige Verstärkung von Globalisierung und Lokalbindung. Eine perfekte Paarung.

Ein rückwirkend eingetrübtes Sommermärchen kann den DFB-Präsidenten zu Fall bringen. Es gefährdet aber nicht das tief gestaffelte Loyalitätsreservoir, aus dem der Fußball schöpft.

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