Affäre um Fußball-WM 2006:Ein Papier, das alles verändert

  • Die 2006-Geschichte, die seit dreieinhalb Wochen läuft, hat scheinbar schon viele Wendungen genommen. Aber jetzt gibt es erstmals einen schweren Bestechungsverdacht.
  • Vieles ist derzeit nur pure Spekulation, aber die ist angesichts der Figur Warner allemal erlaubt.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

In den "roaring twenties", den rasenden Zwanzigerjahren, gab es in Chicago Leute, die am liebsten Strohhüte trugen und weiße Gamaschen. Sie hießen Diamanten-Jimmy, Quinta der Springfrosch oder Zwei-Kanonen-Louis. Legendäre Gangster wie John Torrio, dessen Nachfolger Al Capone wurde, hatten in der damals zweitgrößten Stadt Amerikas das Sagen. Sie alle hatten ihre Eigenheiten, aber vor allem ihr eigenes Geschäftsmodell.

Nun mag es abseitig klingen, das Treiben etlicher grauer Funktionäre der Fifa mit dem Wirken der mythologischen Gangster-Figuren von einst zu vergleichen, aber es gab im Weltfußball-Verband schon sehr besondere Typen, und es gibt sie immer noch. Sie haben ihre eigene Handschrift und machen recht spezielle Geschäfte. Jetzt ist eine solch legendäre Figur in der Affäre um die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ins Visier geraten. Jack Warner, der ganz große Absahner und gewiefte Strippenzieher, spielte offenbar eine zentrale Rolle.

Strippenzieher Radmann schwört beim Leben seiner sechs Kinder: alles sauber!

Ein Vertrag aus den Tagen vor der WM-Vergabe im Juli 2000 ist aufgetaucht, als Begünstigter wird darin Warner genannt. Dem Ex-Fußball-Funktionär aus dem Karibikstaat Trinidad und Tobago wird nachgesagt, er habe es verstanden, in der Fifa-Exekutive, wo er eigentlich nur eine Stimme hatte, die Verhältnisse auf seine Weise verändern zu können.

Auf deutscher Seite stehen die Namen Franz Beckenbauer und Fedor Radmann unter dem Papier. Radmann war der Schattenmann des Kaisers, sein alter Schwarzenbeck bei Geschäften. Radmanns Wirken mit umtriebig zu umschreiben, wäre schon eine arge Verharmlosung.

Jack Warner und der von ihm geführte Verband für die Karibik, Nord- und Mittelamerika sollten offenbar bekommen, ganz umsonst, was sie auch bei anderer Gelegenheit bekommen haben sollen: Fußballspiele, Ticketkontingente. Das war Warners Geschäftsmodell. Er ließ sich solche Pakete schenken, oder zahlte allenfalls einen symbolischen Preise dafür, und verkaufte Spiele, TV-Rechte und Tickets teuer weiter. Ein Millionengeschäft für Warner.

Ob der jetzt bei den internen Ermittlungen im Deutschen Fußball-Bund (DFB) gefundene Vertrag verwirklicht wurde, wissen die aktuellen Verbands-Verantwortlichen nicht. Aber eines ist klar: Das Papier verändert alles. Wer nach Warners Regeln mitspielen will, ist kein Salon-Heiliger. Er zeigt vielmehr, dass er die Spielregeln des dunklen Geschäfts verstanden hat.

Durch den Fund rückt Beckenbauer, der von Geschäften angeblich so wenig versteht, ins Zentrum der Affäre. Und mit ihm sein alter Helfer Radmann, der neulich erklärte, er schwöre beim Leben seiner sechs Kinder, dass es bei der deutschen WM mit rechten Dingen zugegangen sei.

"Du bist ein Schwerverbrecher und der größte Betrüger, den ich je gesehen habe", hat Radmann mal vor gut zehn Jahren gesagt. Er meinte nicht Warner, sondern einen Schiedsrichter, der aus seiner Sicht ein Fußballspiel falsch pfiff. Es ist vermutlich keine Unterstellung, wenn man sagt, dass der an Beckenbauers Seite weit herumgekommene Radmann im Fußball und speziell in der Fifa schon größere Verbrecher als den Schiedsrichter kennengelernt hat.

Vieles beruht auf einer Schilderung Beckenbauers

Die 2006er-Geschichte, die seit dreieinhalb Wochen läuft, hat schon viele Wendungen genommen. Aber jetzt gibt es erstmals einen schweren und konkreten Bestechungsverdacht. Die Geschichte mit den angeblich gekauften vier Asiaten, die der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger zum Besten gab, wirkte schon sehr bemüht. Angeblich hatte ihm Günter Netzer verraten, dass vier Fifa-Funktionäre aus Asien Geld für ihre Stimmen bekommen hätten. Die Geschichte hatte einige Schwächen: Bei den Protagonisten handelte es sich um Millionäre. Wichtiger noch: Netzer bestreitet vehement, dass er so etwas je gesagt hat. Netzer verklagt Zwanziger; er hat nach derzeitigem Stand gute Aussichten, bei Gericht zu gewinnen.

Und die Geschichte mit den ominösen 6,7 Millionen Euro, die der Unternehmer Robert Louis-Dreyfus dem DFB im Jahr 2002 quasi vorgestreckt haben soll und die dann 2005 zurückgeflossen sein sollen, ließ bislang nur einen nachvollziehbaren Schluss zu: Das deutsche Organisationskomitee (OK) für die WM 2006 hatte mit dem Geld eine schwarze Fifa-Kasse gefüllt.

Das wäre auch sehr unschön gewesen, aber hätte nichts mit dem Kauf von Stimmen bei der WM-Vergabe zu tun gehabt.

Jene 6,7-Millionen-Euro-Geschichte beruht, wenn man zu ihrem Kern vordringt, auf einer Schilderung Beckenbauers. Der sagt, das WM-OK habe 2001 auf den üblichen Finanzierungszuschuss der Fifa gewartet. Das habe gedauert. Seinem Helfer Radmann sei dann von einem Mitglied der Finanzkommission mitgeteilt worden, die Deutschen müssten eine Vorleistung bringen, um zu bekommen, was ihnen zustand. Mehr als zehn Millionen Schweizer Franken. Erst habe Dreyfus gezahlt, dann habe er, Beckenbauer, einen Schuldschein unterschrieben, und schließlich habe das OK das Geld an Dreyfus zurückgezahlt.

Der DFB führt Beckenbauer noch als "Lichtgestalt". Das könnte sich bald ändern

Es ist derzeit nur pure Spekulation, aber die ist angesichts der Figur Warner allemal erlaubt: Kann es eigentlich sein, dass diese Geschichte um die Vorleistung ausgedacht war? Und dass Warner die ihm im Jahr 2000 versprochenen Vorteile später auf Umwegen erhalten hat? Dann würde das Jahr 2002 nicht mehr der Argumentation im Wege stehen, dass die Fußball-WM im Jahr 2000 gekauft worden sei.

Zum Geschäftsmodell Warner gehört, dass manchmal Schmiergeld Jahre später ausgezahlt wird. Das behauptet jedenfalls das FBI in seiner mehr als 160 Seiten dicken Anklage gegen ehemalige Fifa-Funktionäre. Danach war Warner eine Schlüsselfigur für die Vergabe der WM 2010 an Südafrika. Während Marokko ihm nur eine Million Dollar zahlen wollte, boten die Organisatoren in Südafrika zehn Millionen. 2004 stimmte die Mehrheit im Exekutiv-Komitee der Fifa für Südafrika. 2008 wurden von Südafrika via Fifa in drei Tranchen zehn Millionen Dollar auf Konten überwiesen, die von Warner kontrolliert wurden. Er soll sich gut bedient haben.

Jetzt steht der Verdacht im Raum, dass Warner auch bei der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland gut bedient wurde. Mit Hilfe Beckenbauers. Der wird beim DFB noch als "Lichtgestalt" und "größtes Aushängeschild" des deutschen Fußballs geführt. Das könnte sich bald ändern.

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