Ärger im WM-Austragungsland Brasilien:Wutbürger prangern Sport-Sause an

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Protest in vollem Gang: In Brasilien sind längst nicht alle Menschen mit den kommenden Großereignissen einverstanden.  (Foto: AFP)

Pfiffe gegen die Staatspräsidentin, Feuerwerkskörper und Festnahmen: Rund um die Eröffnung des Confed-Cups dokumentiert sich, wie brüchig der brasilianische Fußballzauber ist. Dass der WM-Gastgeber sich auf den strikten Kommerzkurs der Fifa einlässt, fällt in eine Zeit, da Brasiliens Wirtschaft ins Stottern gerät.

Von Thomas Kistner, Brasília

Sie hätte sich gern weggebeamt aus diesem Kessel der Emotionen, ein gutes Stück weiter nördlich in den Alvorada-Palast, ihren Regierungssitz. Und der um Fassung ringende Kamerad neben ihr hätte sich gleich dranhängen können. Aber Wegbeamen gibt's nur im Science-Fiction-Film, deshalb müssen beide durchhalten in diesem Orkan aus Buhrufen.

Dilma Rousseff und Sepp Blatter, die Staatspräsidentin und der Weltfußballboss. Doch was für Blatter, dem in Europas Stadien seit Jahren grelle Missgunst entgegen pfeift, das übliche Aufwärmprogramm ist, eröffnet Dilma Rousseff eine neue Erfahrungswelt: Nie zuvor war sie von Zehntausenden ausgebuht worden, in einer Lautstärke knapp unterhalb der Schmerzgrenze.

Blatter pustet ins Mikrofon, sortiert die Karten mit den Grußworten, aber es hört nicht auf, und so beginnt er in den Lärm hinein, der ihm selbst gilt und seiner Fifa, die im Veranstalterland ihr Regiment ausübt; er ist kaum zu verstehen, aber sicher haben seine Worte etwas mit der Freude zu tun, hier sein zu dürfen und mit den exorbitanten Werten des Fußballs.

Er bittet um Ruhe für Rousseff und mahnt Anstand und "Fairplay" an, was die Menge nur noch mehr in Fahrt bringt. Dann hebt die Staatschefin - die Zeitungen haben sie just an diesem Tag beim vertraulichen Treff mit Blatter abgebildet - ihr Mikro: "Ich erkläre den Confederations Cup 2013 offiziell für eröffnet!" Das war's. Feierabend.

Rousseff setzt sich, aber die Qual geht weiter. Links von ihr sitzt José Maria Marin, Chef des nationalen Fußballverbandes CBF, handverlesener Nachfolger des korrupten Ricardo Teixeira. Mit ihm abgelichtet zu werden, hat die Staatspräsidentin bisher unter allen Umständen vermieden. Jetzt aber wird sie Opfer des Protokolls: Hier Rousseff, die einst Widerstand leistete gegen die Militärdiktatur in Brasilia und in den Folter-Gefängnissen landete - daneben Marin, der ein großer Günstling der Generäle war. Nach Zeugenberichten soll er sogar zum Tod eines Journalisten beigetragen haben, was er bestreitet.

Aber der Eröffnungstag in Brasilias nagelneuem Stadion, über dem sich jetzt bleischwarze Regenwolken ballen, hat noch mehr zu bieten für Rousseffs Nervenkostüm. Den ganzen Tag gab es hier Demonstrationen; überwiegend Studenten protestierten gegen die sündteuren Sport-Sausen im Lande. In anderen Städten ereignete sich Ähnliches. 33 Milliarden Reais (11,5 Milliarden Euro) soll die WM 2014 kosten, weitere 28 Milliarden (9,8 Milliarden Euro) die Sommerspiele 2016.

Gigantische Beträge sind das für die sportive Dauer-Selbstdarstellung. Summen, die in anderen Bereichen fehlen: bei Bildung, Gesundheit oder als Ausgleich für die Zehntausenden Opfer von Zwangsräumungen für die WM-Bauten. Rousseffs letztlich rigoroses Einlenken auf den strikten Kommerzkurs der Fifa fällt in eine Zeit, da Brasiliens Wirtschaft ins Stottern gerät - die Menschen treibt das auf die Straße.

Allerdings sind diese wutbürgerlichen Versuche, die Dinge zu verändern, reichlich untypisch für Brasilien. Und wie wenig der Staat damit umgehen kann, zeigt sich vor dem Stadion. Da sieht es aus, als fänden die nationalen Polizei-Meisterschaften des Subkontinents statt. Rund um die Arena blitzen die Rotlichter Hunderter Geländewagen und gepanzerter Einsatzfahrzeuge, es kreisen Hubschrauber, auch Motorräder und berittene Polizei sind zu sehen.

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Wie brüchig der brasilianische Fußballzauber offenbar ist, zeigt sich auch beim Stadion, das 1,2 Milliarden Reais gekostet hat. Nicht mal zur Eröffnung des Confed Cups ist es voll, knapp 5000 Sitzschalen bleiben leer. Draußen pickt sich die Polizei wahllos Zuschauer als mutmaßliche Ticket-Schwarzhändler heraus. Als wisse sie nicht, dass es auch mit der Verteilung der teuren Karten große Probleme gibt.

Im Inneren ist die gewaltige Betonrotunde eine Baustelle, Kabel baumeln herab, offene Rohre, Eisenbewehrungen liegen in den Ecken herum, Steinplatten, Zementsäcke. Im Aufzug hat jemand am Spieltag rasch weiße Klebebänder neben die Knöpfe gepappt, die erklären, welcher Bereich im jeweiligen Stockwerk wartet.

Auf den Presserängen sind es schwarze Klebestreifen, die den Markennamen der Toshiba-Bildschirme verdecken; dummerweise ist Sony der Fifa-Sponsor. Dass die Telefone so wenig funktionieren wie später die Dolmetscherdienste bei der Pressekonferenz, wundert keinen mehr.

In all dem Tohuwabohu haben Brasiliens Sportreporter ein neues Topthema entdeckt: die Stimmung gegen Rousseff und ihre Regierung. Nur der Fuchs Scolari spielt nicht mit. Er hat sein Team auch darauf gut eingestellt und sich selbst gleich mit. "Ich rede nur über Fußball" brummt der Trainer auf heikle Fragen, so äußern sich die meisten Kicker.

Nur manche, wie der Bayern-Profi Dante, machen aus einer gewissen Zerrissenheit keinen Hehl. "Das ist ein großes Land mit unterschiedlichen Leuten", sagt er vorsichtig, "wir erleben einen großen Moment, die ganze Welt schaut auf uns." Einerseits. Andererseits: "Unser Leben in Brasilien ist wirklich nicht einfach."

© SZ vom 17.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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