Süddeutsche Zeitung

Doping in Deutschland:Die Maschinen brummen auch anderswo

Im "Aderlass"-Prozess fordern ausgerechnet diejenigen drakonische Strafen, die sonst beim Anti-Doping-Kampf gerne wegschauen. Diesen Kampf müsste man aber endlich mal ernst nehmen.

Kommentar von Claudio Catuogno

Am Dienstagvormittag, im Gerichtssaal des Münchner Justizpalasts, hat der Erfurter Sportarzt Mark Schmidt, 42, endlich seine geliebten Maschinen wiedergesehen. Den guten alten Blutzellenseparator Alyx, robusteste US-Technik, entwickelt für den Einsatz im Feld. Gleich daneben: das Blutprodukteerwärmgerät Sahara, das so schön gleichmäßig die Beutel wippt, während der Körpersaft fachgerecht aufgetaut wird. Dann die ACP 215, eine Art Blutwaschmaschine, um Glycerol und Zuckerlösung wieder aus den Erythrozyten zu spülen, ehe sie zurück in den Sportlerkörper dürfen. Und, ach, die MCS+. Das Herzstück der Sammlung.

Sogenannte "Sets" mit sterilen Beuteln und Schläuchen fanden sich auch noch bei den Asservaten, originalverpackt - ritsch, ratsch, auf damit! Wie oft hat Schmidt das bis zu seiner Verhaftung wohl so gemacht? Die MCS+ gab dann allerdings bloß ein penetrantes Piepsen von sich, und als Schmidt von der Anzeige ablas, "Fehler 372" hindere sie am Betrieb, da hob Gelächter an im Verhandlungssaal. Und der Angeklagte Schmidt machte sogar einen Witz: "Na ja, die war ja auch lange nicht beim Service."

In der Tat. Seit Februar 2019 stehen die Maschinen nutzlos bei der Münchner Staatsanwaltschaft herum. So nutzlos, wie Doktor Schmidt seitdem in Untersuchungshaft sitzt, fast unerhörte 19 Monate schon. Wie vielen bedürftigen Spitzensportlern hätte man in dieser Zeit eine professionelle, absolut sichere Eigenblutbehandlung zukommen lassen können? Steril, risikofrei, mit Beratung von höchster Qualität? Wie viele Athleten wurden stattdessen in den Graumarkt getrieben, mussten sich mit rostigen Nadeln behelfen und haben womöglich statt des Eigenbluts den Tomatensaft erwischt?

Okay, Spott beiseite. Aber bemerkenswert war es schon, wie der Hauptangeklagte Mark Schmidt in dieser Woche im "Aderlass"-Prozess am Münchner Landgericht auftrat. Sein Geständnis - jahrelanges Blutdoping an Athleten, vor allem an Radfahrern und Langläufern aus Österreich und Osteuropa - ließ er von den Anwälten verlesen, Nachfragen beantwortete er vorerst keine. Aber dann führte er die Prozessbeteiligten durch die Sammlung der in seiner Erfurter Garage beschlagnahmten Geräte wie ein eloquenter Chefarzt durch seinen Superduperhightech-OP.

Man müsste es wirklich ernst meinen mit Anti-Doping

Womöglich kommt die Vorsitzende Richterin, die jetzt ständig zu hören kriegt, dass Spitzensport ohne Doping gar nicht existiere, am Ende ja doch zu dem Urteil, dass Schmidt doch nur helfen wollte? Dass er seine Dienste "aus Liebe zum Sport" anbot, wie er seine Anwälte verlesen ließ? Nein, eher nicht. Auf vier bis sechs Jahre Haft hat die Kammer die Strafe bereits taxiert, die dem Erfurter Dopingarzt droht.

Es war ein weiter, mühsamer Weg, ehe Doping 2015 auch im deutschen Strafrecht streng und relativ umfassend geregelt wurde. Interessant ist allerdings, dass ausgerechnet jene, die auf diesem Weg lange eher als Bremser wirkten, nun nach einer drakonischen Strafe rufen. Der IOC-Präsident Thomas Bach zum Beispiel, der sich zu seiner Zeit als deutscher Sportpräsident hartnäckig gegen scharfe Doping-Straftatbestände stemmte, wie sie von Ermittlern auch deshalb gefordert wurden, um an Hintermänner wie Schmidt ranzukommen. Oder Bachs Nachfolger als DOSB-Chef, Alfons Hörmann, der nun fordert: "Wenn der Angeklagte für schuldig befunden wird, wäre unsere klare Erwartung, dass eine harte Strafe für ihn und seine Komplizen verhängt werden muss." Man müsse an Schmidt ein Exempel statuieren, hoffen nun viele. Wichtiger wäre wohl, die Kultur des Duldens und Wegschauens in den Verbänden zu unterbinden. Dann müsste man es aber wirklich ernst meinen mit Anti-Doping. Schmidt sitzt in Untersuchungshaft, Maschinen wie die seinen brummen auch an anderer Stelle im Leistungssport.

Bis Schmidt seine Strafe erfährt, dürfte es noch eine Weile dauern. Am Donnerstag teilte das Landgericht mit, dass der Prozess erst mal unterbrochen ist, weil ein Beteiligter positiv getestet wurde. Nicht auf Doping. Auf Corona.

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SZ vom 02.10.2020/ebc
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