Radsport:Sprinter mit Ausdauer

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Gefletschte Zähne, längerer Atem: Pascal Ackermann (links) gewinnt das Vuelta-Finale vor Sam Bennett.

(Foto: Oscar del Pozo/AFP)

Pascal Ackermann untermauert mit zwei Etappensiegen bei der Vuelta sein Niveau - nun blickt er dem Debüt bei der Tour de France entgegen.

Von Johannes Aumüller

Pascal Ackermann freut sich auf die nächsten drei Wochen, zugleich schwant ihm Unangenehmes: dass diese drei Wochen nämlich schneller vergehen als gedacht. Am Sonntagabend hat Ackermann in Madrid das letzte Radrennen dieser kräftezehrenden Saison absolviert, am Montag ist er an seinen Wohnort Bregenz gereist. Erholung ist jetzt angesagt, "das Fahrrad wird die nächsten drei Wochen nicht angerührt", sagt er am Telefon. Aber richtiger Urlaub ist in diesem Corona-Jahr halt auch nicht drin, und dann steht Anfang Dezember schon wieder das Auftakttreffen mit seiner Bora-hansgrohe-Mannschaft für die kommende Saison an.

Immerhin kann Ackermann, 26, diese Pause mit einem zufriedenen Gefühl verbringen. Denn passgenau im letzten Rennen beschaffte sich der Sprinter den größten Erfolg der Saison: Ganz knapp siegte er am Sonntag bei der Massenankunft der letzten Vuelta-Etappe vor dem Iren Sam Bennett. Es war sogar Ackermanns zweiter Etappensieg im Spurt bei dieser Spanien-Rundfahrt, weil die Jury Bennett vor anderthalb Wochen wegen dessen Fahrweise distanziert hatte und Ackermann per Dekret aufgerückt war. Der Erfolg am Sonntag zählte natürlich mehr, und so kommt Ackermann zu einer positiven Bilanz des Jahres. "Durch die Vuelta hat die Saison einen Sprung gemacht", sagt er, davor habe "oft nicht viel, aber ein bisschen gefehlt".

Ackermann habe gelernt, mit der erhöhten Aufmerksamkeit umzugehen, sagt sein Trainer

Pascal Ackermann hat im deutschen Radsport eine interessante Position inne. Wenn es im vergangenen Jahrzehnt um deutsche Erfolge ging, spielte der Fachbereich Sprint lange eine herausgehobene Rolle. Doch das hat sich geändert: Marcel Kittel (14 Etappensiege bei der Tour de France) ist zurückgetreten, André Greipel (11) mit 38 Jahren über den Zenit und John Degenkolb noch vielseitiger geworden. Statt Sprintern stehen vermehrt Berg-, Klassiker- und Klassementfahrer wie Lennard Kämna und Maximilian Schachmann im Fokus. Aber einen endschnellen Mann, der zur internationalen Spitze gehört, gibt es noch: eben Pascal Ackermann.

Seit 2017 startet Ackermann, geboren in Kandel/Pfalz, im Profibereich. Im Vorjahr gewann er etwa den Mai-Klassiker rund um Frankfurt, zwei Etappen beim Giro d'Italia und dort als erster Deutscher überhaupt die Punktewertung. In der Corona-Saison folgten zwei Tagessiege bei Tirreno-Adriatico, nun die gelungene Vuelta.

Ackermann sprintet nur etwas unterhalb des Radars, weil er sein Können noch nie beim Jahreshöhepunkt zeigen konnte: der Tour de France. Das lag auch daran, dass im Bora-Kader stets ein Sprintplatz für den Slowaken Peter Sagan reserviert war. Aber 2021 darf Ackermann sein Frankreich-Debüt geben, das hat ihm sein Teamchef Ralph Denk zugesichert. Dann könnte Ackermann noch eine Stufe aufsteigen.

Dabei war dieser Weg so gar nicht zwingend vorgezeichnet. "Als er zu uns kam, war nicht zu sehen, dass er der nächste Supersprinter wird", sagt Boras Cheftrainer Dan Lorang. Dass Ackermann sprinten könne, hätten sie natürlich gewusst, aber in der ersten Zeit sei es erst einmal darum gegangen, die Ausdauer zu stärken. Das Sprintmetier entwickelt sich ja ohnehin merklich weiter. Immer mehr Sprinter kommen immer besser über die Berge. Reine Kraftpakete wie Kittel oder Greipel werden seltener, auf der anderen Seite gibt es kleinere und aerodynamische Fahrer wie den Australier Caleb Ewan. Ackermann - 1,80 Meter groß, 78 Kilo schwer - liegt da ziemlich in der Mitte.

"Er ist jemand, der die Sprints gewinnt dank seiner guten Ausdauerfähigkeit und der Möglichkeit, einen Sprint länger zu fahren", sagt Lorang: "Andere fahren zehn, 15 Sekunden, dass die Kurbel fast abbricht, er kommt eher über die Dauer. Aber auch der lange Sprint darf nicht zu lang werden" - so wie es fast am Sonntag geschah, als Ackermann früh in den Wind stach und ihm Bennett noch sehr nahe kam.

Das Timing sei eines von vielen Details, an dem sie noch arbeiten müssen, sagt Lorang. Dafür habe Ackermann nach den Giro-Erfolgen 2019 bereits gelernt, in diesem Jahr mit der erhöhten Aufmerksamkeit umzugehen. "Auf einmal zählte er zu den besten Sprintern der Welt", sagt Lorang, "das musst du auch von der Persönlichkeit her mitmachen, und mit dem Druck umzugehen, ist wichtiger, als den nächsten großen Schritt in der Leistung zu gehen."

Insofern sieht der Cheftrainer diese Corona-Saison als gute Schule für das nächste Jahr. Ackermanns Hauptziel ist klar: ein Etappensieg bei der Tour. Er habe, sagt er, den während der Vuelta veröffentlichten Parcours noch nicht genau studiert, aber er habe schon vernommen, dass es gleich acht Etappen geben soll, die sich für eine Sprintankunft eignen - mehr als bei den vergangenen Auflagen. Vielleicht nutzt Ackermann ja schon die nächsten drei Wochen für eine genauere Inspektion.

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