Achtelfinale der Handball-WM:Ganz hinten ein Riese

Angeführt vom wieder einmal überragenden Torwart Carsten Lichtlein besiegen die deutschen Handballer Ägypten mit 23:16. Dass die Mannschaft das Viertelfinale erreicht, hat sie aber auch anderen Qualitäten zu verdanken.

Spielbericht von Joachim Mölter, Doha

Irgendwann zur Mitte der zweiten Halbzeit hatte man den Eindruck, die ägyptischen Handballer trauten sich nicht mehr, überhaupt aufs deutsche Tor zu werfen. Sie passten und passten und passten, bis mal einer völlig frei am Kreis stand und gar nicht mehr anders konnte, als zu werfen, um sich nicht lächerlich zu machen. Aber selbst aus den besten Positionen warfen die Ägypter nur noch halbherzig und mutlos, es hatte ja doch keinen Zweck. Der deutsche Torhüter Carsten Lichtlein wehrte fast alles ab, mit den Händen, den Armen, den Füßen, Beinen und Knien. Am Ende des WM-Achtelfinales zwischen Deutschland und Ägypten war Lichtlein auf eine Quote von 56 Prozent gehaltener Bälle gekommen. 50 reichen, um als Weltklasse bezeichnet zu werden. "Wenn man im Flow ist", sagte Lichtlein, "dann gibt's solche Spiele."

Nicht nur er ist im sogenannten Flow bei dieser Handball-WM in Doha, bei der ganzen deutschen Mannschaft fließt und läuft es wie geschmiert. Durch das 23:16 (12:8) über Ägypten hat sie das Viertel- finale erreicht, in dem sie am Mittwoch auf den WM-Gastgeber Katar trifft. "Das wird schwierig", sagte Lichtlein, "darauf müssen wir uns genauso akribisch vorbereiten wie auf Ägypten."

Undankbarer und unangenehmer Gegner

Das war der wohl undankbarste und unangenehmste Gegner gewesen, auf den die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) im Achtelfinale dieser WM treffen konnte; einer gegen den man eingedenk der fehlenden Reputation bei den eher oberflächlich interessierten Sportfreunden in Deutschland im Grunde mehr zu verlieren als zu gewinnen hatte. Aber "gegen Frankreich und Schweden haben sie gezeigt, wie stark sie sind", erinnerte Bundestrainer Dagur Sigurdsson an die Vorrundenspiele Ägyptens gegen die beiden Olympia-Finalisten, die 24:28 bzw. 25:25 endeten.

"Sie spielen etwas wilder als man es in Europa gewohnt ist, mit viel Kraft und Power", erklärte Sigurdsson. Die Nordafrikaner hatten sich im bisherigen Turnierverlauf vor allem durch ihre vergleichsweise offene, sehr aggressive Abwehr hervorgetan, die bis an die Grenze des Erlaubten geht - und oft auch darüber hinaus. In der Fairplay-Liste des Weltverbandes IHF waren sie jedenfalls Letzter.

"Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass die Halle ein Faktor werden wird. Es ist wie ein Heimspiel für Ägypten", warnte Sigurdsson zusätzlich angesichts von mehreren tausend Zuschauern, die aus Ägypten angereist waren, um ihre Mannschaft bei diesem Turnier zu unterstützen. Die wichtigste Vorgabe des Isländers an seine Akteure war daher: "Einen kühlen Kopf bewahren und unser Spiel durchziehen." Dass seine Mannschaft Gruppensieger geworden ist, sei jedenfalls "keine Garantie, dass sie auch das erste Spiel in der K.o.-Runde gewinnt".

Lichtlein hielt, was zu halten war

Schon beim Abspielen der Nationalhymne wurde deutlich, dass die Warnungen des Isländers berechtigt gewesen waren: Da wurden die rund 500 deutschen Fans in der mit 10 500 Zuschauern besetzten Lusail Multipurpose Hall locker überstimmt. Und auch die ersten Minuten der Partien gaben Sigurdssons Einschätzung recht: Es würde eine zähe, kampfbetonte Auseinadersetzung geben. Die Abwehrreihen gingen robust ans Werk, erst nach 4:43 Minuten fiel das erste Tor, erzielt von Steffen Weinhold, und bereits nach einer Viertelstunde hatten die Unparteiischen aus Tschechien fünf Zeitstrafen verhängt.

Die DHB-Auswahl kam im Angriff nur langsam in Schwung, Patrick Groetzki war es mit fünf Toren, der dafür sorgte, dass seine Mannschaft einen beruhigenden Vorsprung nach 20 Minuten hatte (9:4). Und hinten hielt Lichtlein, was zu halten war, unter anderem drei Siebenmeter. Wobei er später nicht vergaß, seine Vorderleute zu loben: "Das war alles im Zusammenspiel mit der Abwehr." Die hatte den Ägyptern nur wenige Lücken geboten.

"Das war unfassbar gut, das hat Spaß gemacht"

Nach dem Seitenwechsel erstickten die deutschen Handballer dann jegliche Hoffnung, die ihre Gegner vielleicht noch gehabt hatten: Erst nach acht Minuten gelang Ägypten das erste Tor, da lag es aber schon 9:17 zurück. "Wir wussten, dass wir sie nicht mehr ins Rollen kommen lassen durften", sagte Groetzki.

Der für den Leistungssport zuständige DHB-Vizepräsident Bob Hanning lobte den Auftritt der Mannschaft: "Das war unfassbar gut, das hat Spaß gemacht." Und es war schon mal eine gute Übung für das Viertelfinale gegen Katar, wo vermutlich noch mehr Zuschauer ihre Mannschaft unterstützen werden. "Das wird noch mal heißer", glaubt Hanning.

Mit dem Schritt unter die letzten Acht bei der WM hat das DHB-Team auch einen Schritt in Richtung Olympia 2016 gemacht. Für die Sommerspiele ist der Weltmeister automatisch teilnahmeberechtigt, die Teams auf den Rängen zwei bis sieben dürfen zumindest bei den drei Qualifikationsturnieren im Frühjahr 2016 mitmachen.

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