Achtelfinale der Fußball-EM:Der Trend heißt: Fußball verhindern

Achtelfinale der Fußball-EM: Portugals verteidigender Schlachtmeister Pepe (Mitte) ist einer, dem das Zerstören großen Spaß macht.

Portugals verteidigender Schlachtmeister Pepe (Mitte) ist einer, dem das Zerstören großen Spaß macht.

(Foto: AFP)

Portugal gegen Kroatien? Das mieseste Spiel dieser EM. Wales vs. Nordirland? Puh. Der Verdruss über fehlendes Niveau bei dieser EM ist verständlich - am Modus liegt's aber nicht.

Kommentar von Sebastian Fischer

Die Phrase wurde an den beiden fußballfreien Tagen vor dem EM-Achtelfinale so oft geschrieben, gesagt und gerufen, dass man es eigentlich fast schon glauben wollte: Jetzt ge-het's lo-hos! Aber so richtig: Stimmung, Euphorie und vor allem endlich Tore und Offensivfußball, das sollte das Achtelfinale bringen. Doch all jene, die sich das erhofften, die haben am Samstag enttäuscht Fußball geschaut. Die EM 2016 bleibt ein Turnier des Defensivfußballs. Und sie bleibt für den Zuschauer, der vor dem Schlafengehen keine Taktik-Bücher studiert, vor allem eines: unspektakulär.

Die Reaktionen waren eindeutig, im Stadion (Stille, Buhrufe, Pfiffe) und im Internet. Thomas Hitzlsperger, noch nicht in seiner Rolle als BdVidSzdVudL (Beauftragter des Vorstandes in der Schnittstelle zwischen der Vereinsführung und dem Lizenzspielerbereich) des VfB Stuttgart, kritisierte während des Spiels Kroatien gegen Portugal harsch das fußballerische Niveau. Was denn das größere Verbrechen von Michel Platini sei, fragte er auf Twitter: Zwei Millionen Franken von Sepp Blatter zu kassieren, oder das EM-Teilnehmerfeld um 50 Prozent zu erhöhen?

Die pointierte Kritik sprach vielen gelangweilten Zuschauern aus dem Herzen. Doch traf sie nicht wirklich den Kern. Kroaten und Portugiesen hätten sich wohl auch bei einer EM mit 16 Mannschaften für die erste K.o.-Runde qualifiziert. Vielmehr war das einschläfernd langweilige Duell zwischen diesen ja eigentlich dank ihrer fulminanten Offensivspieler (hier Rakitic, Modric und Perisic - dort Ronaldo) im Turnier verbliebenen Mannschaften Beweis für einen (zugegebenermaßen unspektakulären) Trend, der sich in der Vorrunde andeutete und nun weiter fortsetzt: Mehr denn je ist eine felsenfeste, bombensichere und nicht gerade ansehnliche Defensive Basis für den Erfolg. In Zahlen: Torschüsse während der regulären 90 Minuten: null.

Die Portugiesen waren sich der Offensivstärke der Kroaten bewusst, sie haben ihr eine ausgeklügelte, entnervende Defensivtaktik entgegengesetzt, die ausgerechnet ihren prominentesten Spieler nicht etwa wie gewöhnlich als Alleinunterhalter in der Offensive vorsah, sondern als ersten Verteidiger. Cristiano Ronaldo ordnete sich ins portugiesische Fußball-Verhinderungs-Konzept ein. Er lief so stupide seine Gegenspieler an, dass er in 90 Minuten wohl auch beim FC Ingolstadt nicht aufgefallen wäre, wenn der Gegner SV Darmstadt geheißen hätte. Ronaldos Stunde schlug dann in der Verlängerung, als er mit seinem ersten Torschuss das Tor des Tages zum 1:0 einleitete.

1,92 Tore erzielten die Teams im Schnitt pro Spiel in der Vorrunde, ein Tor haben sie am Samstag im Schnitt in der regulären Spielzeit im Achtelfinale erzielt. Diese EM droht die torärmste EM in der Geschichte zu werden, und in der kroatischen Mannschaft hat nun auch noch eine der spielstärksten das Feld verlassen. Doch auch wenn es ganz reizvoll wäre: Dafür kann man spätestens jetzt, da die K.o.-Phase begonnen hat, nicht mehr Michel Platini die Schuld geben. Shkodran Mustafi hat es schon nach dem ersten deutschen Spiel gesagt: "Jeder kann verteidigen."

Jeder scheint darin auch immer besser zu werden: Die taktischen Schachzüge, schönen Fußball zu verhindern, werden immer ausgefeilter (sie beinhalten jetzt sogar Cristiano Ronaldo!). Und Offensiv-Strategien kommen auf der anderen Seite nicht hinterher: Sie in der kurzen Zeit während einer EM zu trainieren, ist anspruchsvoller und lohnt sich weitaus weniger.

Eine traurige Pointe hatte der Samstag ja schon am Nachmittag geliefert, im (übrigens recht unterhaltsamen) Spiel zwischen der Schweiz und Polen: Ein wunderbarer Fallrückzieher von Xherdan Shaqiri, das bislang schönste Tor dieser EM, wurde nicht belohnt. Die Schweiz schied trotzdem im Elfmeterschießen aus.

Deshalb muss die Schlusspointe hier eine aus der Fußballgeschichte sein: Bei der EM 1996 fielen nur 2,06 Tore pro Spiel, im Viertelfinale gab es zwei Nullzunull, im Halbfinale eines, fünf von sieben K.o.-Spielen gingen in die Verlängerung, vier ins Elfmeterschießen - und am Ende wurde Deutschland zum bislang letzten Mal Europameister. Die Zuschauer, immerhin in der heute verklärten Anschauung, fanden das Turnier damals eigentlich ganz okay.

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