AC Milan in der Krise:Consigliere Ibrahimovic sucht den Weg

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Auf Rang 14 in die Länderspielpause: Die AC Milan und ihr Berater Zlatan Ibrahimovic sind früh unter Druck geraten. (Foto: Fotoagenzia/Imago)

Seit vergangenem Herbst ist der Schwede als Berater für die Geschicke der AC Milan verantwortlich. Nach einem Fehlstart mit neuem Trainer und Streit mit den Führungsspielern ist in Mailand erhebliche Unruhe ausgebrochen.

Von Felix Haselsteiner, Mailand

Es ist schon einige Wochen her, im Aosta-Tal war es noch sommerlich warm, da begab sich Zlatan Ibrahimovic auf eine Wanderung. Gemeinsam mit seinem guten Freund und ehemaligen Mitspieler Massimo Ambrosini zog es ihn in die Alpen, wie so viele Milanesi, die dem unausstehlich heißen Sommer in der leeren Stadt um den Augustfeiertag Ferragosto entfliehen. Entweder in Richtung Meer oder in luftige Höhen, wo Ibrahimovic sich ohnehin zeit seiner Karriere ausgesprochen wohlgefühlt hat. Nur diesmal wirkte er ein wenig schwerfällig: Laut konnte man ihn atmen hören beim Aufstieg in einem Video auf Ambrosinis Instagram-Kanal, das in gewisser Weise als Vorbote diente – für eine Saison, in der die AC Milan sich bislang äußerst schwertut, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Ein Unentschieden zu Hause gegen Turin zum Auftakt war Anlass für Skepsis. Einen Tag nach Ibrahimovics Wanderung, am zweiten Spieltag, brachte eine Niederlage gegen Parma eine Krise, und schließlich kam noch der wilde Abend in Rom dazu, von dem noch zu sprechen sein wird: Milan liegt in der ersten Länderspielpause mit zwei Punkten in der Liga auf Tabellenrang 14, hat ein bemerkenswert unauffälliges Transferfenster hinter sich und einen Trainer an der Seitenlinie, dem schon jetzt so viel Misstrauen entgegenschlägt, dass er sich zu wilden Maßnahmen entschließt. Es liegt einiges im Argen auf der rot-schwarzen Seite in Mailand. Und vieles hat auch mit dem wandernden Volkshelden zu tun.

Als sogenannter Senior Advisor ist Ibrahimovic seit dem vergangenen Herbst bei Red Bird Capital Managers angestellt, um bei der AC Milan die Geschicke zu überwachen und mitzugestalten. In Italien wird seine Rolle als die eines Consigliere beschrieben – und wer sich an Francis Ford Coppolas Epos „Der Pate“ erinnert und an Tom Hagen, den adoptierten Sohn von Don Corleone, der weiß, dass nichts ohne das Zutun des bedeutenden Ratgebers der Familie entschieden wird. Offiziell wird Milan geführt vom 45-jährigen Giorgio Furlani, einem Mailänder Bocconi-Absolventen mit Erfahrung im Bankwesen unter anderem bei Lehman Brothers, der seit 2022 Vorstandsvorsitzender ist, aber auf die sportliche Expertise seines Beraters vertraut.

Der neue Trainer Fonseca hat den Mut, in Italien eine britische Achse aufzubieten

Ibrahimovic war deshalb auch direkt involviert in den Abschied des einstigen Erfolgstrainers Stefano Pioli, mit dem er selbst als Spieler 2022 noch den Scudetto geholt hatte, den Meistertitel. Seitdem ist Ibrahimovic endgültig ein rot-schwarzer Held, allerdings erstrahlt die norditalienische Metropole seither auch konsequent in schwarz-blau. Der Stadtrivale Inter war insbesondere im vergangenen Jahr so weit entflohen, dass Pioli auch ein ehrenwerter zweiter Platz in der Liga nicht helfen konnte. „Danke an Pioli, jetzt geht es weiter mit Fonseca“, so lautete im Frühsommer die Verkündung Ibrahimovics, es war der Auftritt einer neuen Figur in der Stadt, die umgehend unbeliebt war.

Der harte Kern der Milan-Fans distanzierte sich bei Amtsantritt von Paulo Fonseca, weil der vor seiner sehr erfolgreichen Station in Lille schon mit viel Inbrunst die AS Rom trainiert hatte. Man kann nur eine italienische Stadt wahrhaftig lieben, so die Haltung in der Anhängerschaft, da half es auch nichts, dass Fonseca bei seiner Vorstellung Oden an seine neue Heimat dichtete. Durch die gesamte Vorbereitungszeit begleitete ihn ein gewisses Misstrauen, das sich schließlich nach der Niederlage gegen Parma zementierte, weil Fonseca sich daraufhin zu radikalen Schritten entschloss, die zu jenem Abend im Stadio Olimpico führen, in seiner alten Liebe Rom.

Machtspiel: Die Kennenlernphase von Trainer Paulo Fonseca und Rafael Leão (rechts) verläuft bislang alles andere als harmonisch. (Foto: Riccardo Antimiani/Zuma/Imago)

Vor dem Spiel gegen Lazio hatte Fonseca publikumswirksam verkündet, ohne Théo Hernández und Rafael Leão in der Startelf zu spielen, die zwei besten Spieler der Mannschaft. Beide hätte man im Sommer für viel Geld verkaufen können, beide allerdings blieben in Mailand, spielten in den ersten Partien genauso enttäuschend wie der Rest der Mannschaft und sollten nun für ein Exempel herhalten: Fonseca bot Ersatzkandidaten auf, nur lagen die gegen Lazio Mitte der zweiten Halbzeit auch im Hintertreffen. Woraufhin der Auftritt des Flügelstürmers Leão folgte, der nach seiner Einwechslung erst zum ersehnten Ausgleich traf und dann eine Trinkpause nutzte, um sich zu positionieren.

Abseits der restlichen Gruppe standen er und der bockige Außenverteidiger Hernández mit ihren Wasserflaschen, fernab der Hörweite von Fonsecas taktischen Anweisungen. Es war ein demonstrativer Abschied von einem Trainer, mit dem sie sich gerade erst in der Kennenlernphase befinden, höchst fraglich ist, ob so eine Beziehung überhaupt noch zu retten ist: Fonseca müsste sich dafür eingestehen, dass Erfolge in der Serie A (am Samstag gegen Venedig) und in der Champions League (kommende Woche gegen Liverpool) nur mit dem Duo Hernández/Leão in Bestform möglich sind. Und beide Spieler müssten sich einem neuen Projekt verschreiben, „Leão muss an sich arbeiten“, wie Italiens Trainerlegende Arrigo Sacchi zuletzt sagte. Und wie der ganze Verein müsste er einem Coach vertrauen, der im Grunde den modernen Maßstäben entspricht.

Fonseca soll das Gegenstück zu Inters Trainer Inzaghi sein

Der kluge Fußballfachmann Fonseca sollte Milans Antwort auf den meisterhaften Simone Inzaghi beim Stadtrivalen werden und auf Thiago Motta, der sich mit seinen revolutionären Taktiken an die alte Dame Juventus Turin herangetraut hat und dort schon erste Erfolge verzeichnen kann. Inter gegen Juve, das deutet sich früh in der Serie-A-Saison als Zweikampf an – und Milan befindet sich, wenn überhaupt, nur dahinter auf der Suche nach dem Anschluss an die Verfolgergruppe. Verunsichert von einem Trainer, der sich mit seinen besten Spielern anlegt und nun in Italien den Mut hat, eine britische (!) Achse aus dem Innenverteidiger Fikayo Tomori, dem Mittelfeldspieler Ruben Loftus-Cheek und dem Stürmer Tammy Abraham als Antwort aufzubieten.

Die Frage ist, wie das alles dem Consigliere gefällt, der irgendwann sein Urteil fällen muss. Seine eigenen Transferaufgaben wurden ebenfalls mit einem leichten Misstrauen begleitet: Der Stürmer Álvaro Morata als Ersatz für den alten, nach Kalifornien abgewanderten Olivier Giroud hat bisher nicht wirklich seine Rolle gefunden, im Mittelfeld gäbe es durchaus Lücken zu stopfen. Diese feinen Bruchstellen bemerkt man jetzt bereits, in einer frühen, ernsten Saisonkrise. Denn während im Aosta-Tal schon die Herbstwinde wehen, sucht die AC Milan des Zlatan Ibrahimovic immer noch nach dem Weg.

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