AC Milan:Ab auf die Couch!

Die Spieler des AC Milan plagen mentale Probleme.

Birgit Schönau

Zum Training ging es am Montag in den mind room. Milans Probleme liegen nach Ansicht von Trainer und Klubleitung nämlich im Kopf. Kann gar nicht anders sein, wird doch keine andere Mannschaft der Serie A mit einem so ausgeklügelten, modernen und individuellen Übungsprogramm betreut wie das Lieblingsspielzeug von Ministerpräsident Silvio Berlusconi.

Milan Lab, der hochtechnologische Fitnessraum in Milanello, ist auf dem allerneuesten Stand, das Trainer-Team eines der besten Europas. Carlo Ancelotti hat Milan in den vergangenen drei Jahren zweimal ins Finale der Champions League gebracht und das Team im Sommer noch einmal mit dem italienischen Torjäger-Talent Alberto Gilardino verstärkt. Ihm stehen als Angreifer außerdem noch Andrej Schewtschenko, Filippo Inzaghi und Christian Vieri zur Verfügung.

Mutterseelenallein vor dem Torwart

Andrej Schewtschenko hat vor zwei Wochen Fenerbahçe Istanbul im Alleingang besiegt. Mit vier Toren. Gegen den Vorortklub Chievo Verona aber stand der Ukrainer am Samstag häufig mutterseelenallein vor dem Torwart - und traf nicht. Genauso wenig wie Gilardino und Inzaghi.

Milan verlor in Verona 1:2, einzig der Georgier Kaladze traf. Die Stürmer hatten Ladehemmung, die Abwehr der Routiniers zeigte die Souveränität blutiger Anfänger. Deshalb: alle ab in den mind room, auf die Couch zu Dottor Demichelis, dem Klubpsychologen.

Der wird schon wissen, wie man die hoch sensiblen Patienten wieder in die richtige Spur bringt. Vielleicht, indem man ihnen Angst einjagt: So richtig Bammel vor Schalke 04. Die Statistik zeigt nämlich, dass der AC Milan an den für Großklubs typischen Symptomen der Oberflächlichkeit und Selbstüberschätzung leidet.

Genau 61,90 Prozent der Tore (dem Corriere della Sera gebührt Dank für diese ebenso peinlich genaue wie erhellende Erbsenzählerei) haben Schewtschenko & Co. in den ersten 45 Minuten erledigt, nur 38,09 Prozent kamen nach der Pause.

Die Rechnung geht nicht ganz auf, aber man versteht trotzdem, was gemeint ist. Der Corriere bilanziert empört: "Im vergangenen Jahr war es genau umgekehrt!"

Vergangenes Jahr aber war auch noch kein Wahlkampf und Berlusconis Dogma der Dauerattacke mit zwei Stürmern noch nicht in Marmor gemeißelt. Jetzt aber kommt der lässigste Tipp für die Schalker von Chievos Torschützen Sergio Pellissier: "Wir haben auf Konter gesetzt und gewonnen, weil die ja pausenlos angreifen müssen."

Wenn Ancelotti sich nicht gegen seinen Patron durchsetzt und zum Nikolaustag die von ihm bevorzugte Weihnachtsbaum-Formation (4-3-2-1) präsentieren darf, muss Schalke einfach nur Catenaccio spielen. Wie das geht, kann man sich auf alten Milan-Kassetten aus der Ära v.B. anschauen. Vor Berlusconi.

Acht Punkte trennen Milan bereits von Juventus. An der Begegnung mit Schalke könnte die ganze Saison hängen. Zwar wäre Milan schon mit einem Remis fürs Achtelfinale qualifiziert, eine Niederlage aber würde Ancelotti wohl den Job kosten.

In Milanello denkt man eingedenk alter italienischer Sekundärtugenden deshalb schon über die Rückkehr zur Manndeckung nach. Natürlich nur, wenn gar nichts mehr geht.

Bei aller mentalen Problematik könnte auch Schiedsrichter Mejuto Gonzalez (Spanien) als Werkzeug eines wenig gnädigen Schicksals erscheinen: Der Referee leitete im Frühjahr das Finale in Istanbul, wo Milan nach 3:0-Führung gegen Liverpool verlor.

Daraus erwuchs den Mailändern eine in München unter dem Namen "Manchester-Syndrom" bekannte, ausschließlich unter Top-Fußballern verbreitete Störung. Mit der hat Dottor Demichelis im mind room immer noch zu tun.

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