AC Mailand:Milan ist Meister im Geldrauswerfen

AC Milan v Borussia Dortmund - 2017 International Champions Cup China

Einer der vielen Zugänge: der frühere Leverkusener Hakan Calhanoglu.

(Foto: Getty Images)
  • Knapp 200 Millionen Euro hat der AC Mailand in diesem Sommer für Transfers ausgegeben, ein Ende ist nicht in Sicht.
  • Die Mannschaft wirkt jedoch alles andere als mit Bedacht zusammengestellt.
  • Mit wessen Geld das geschieht? Eine chinesisch-amerikanische Finanzallianz sucht ihren Profit in der schnellen Rückkehr in die Champions League.

Von Birgit Schönau

Früher, in den goldenen Zeiten der Serie A, existierte in Italien der inoffizielle Titel eines Sommermeisters. Der musste im Unterschied zum richtigen Meister nichts gewinnen, denn es ging ja nicht um Punkte, sondern nur um Spieler. Wer am meisten zusammenkaufte und für klingende Namen das Geld mit vollen Händen ausgab, der bekam den Titel, bis in den Jahren der mageren Kühe die Transfermeisterschaft ersatzlos gestrichen wurde. Aber jetzt ist der Sommermeister plötzlich wieder da.

Knapp 200 Millionen Euro hat der AC Mailand bereits ausgegeben, ein Ende ist vor dem Test an diesem Samstag gegen den FC Bayern in Shenzhen (11.30 Uhr; live bei Sport 1) nicht in Sicht. Überall wird angeklopft, angeboten, verhandelt. Auch bei Borussia Dortmund, gegen die Milan soeben ein Match in China verlor. Beim 1:3 erzielte Pierre-Emerick Aubameyang zwei Tore für die Dortmunder - was ihn in den Augen der Mailänder noch begehrenswerter erscheinen lässt. Seit Wochen buhlen sie um den Angreifer, und selbst ein Machtwort der westfälischen Klubführung lässt sie nicht resignieren. Dass BVB-Chef Hans-Joachim Watzke das respektlos findet, scheint die Milan-Emissäre eher zu befeuern.

In der Heimat hat die seit Jahren darbende Fachpresse bereits ein Déjà-vu. "Wie in Berlusconis fetten Anfangsjahren", jubelt die Gazzetta dello Sport und unterschlägt dabei großzügig, dass der laut Selbstbezichtigung größte Fußballpräsident aller Zeiten in der Tat ein Vermögen auf dem Transfermarkt ließ. Allerdings für Spieler wie Ruud Gullit, Frank Rijkaard und Marco van Basten, die als Milan-Holländer in die Fußballgeschichte eingingen. Berlusconis Nachfolger haben bislang neun Spieler gekauft, der prominenteste und teuerste ist Leonardo Bonucci, bislang eine Säule der Abwehr von Juventus Turin. Bonucci hat 40 Millionen Euro gekostet und wird Kapitän, ein Amt, das man sich unter Berlusconi erst verdienen musste.

Ein gut dotierter Vertrag für Donnarummas Bruder

Aber irgendjemand muss diesem wie wahllos zusammengekauften Team ja ein Gesicht geben, und Bonucci, 30, ist immerhin eine große Nummer in der Squadra Azzurra. Was man von den beiden anderen Italienern unter den Neuen nun wirklich nicht sagen kann. Verteidiger Andrea Conti, 23 Jahre alt, 25 Millionen Euro teuer, kommt von Atalanta Bergamo und hat es bislang in die U21-Auswahl geschafft. Torhüter Antonio Donnarumma, 27, kam gegen 1,5 Millionen zurück vom griechischen Erstligisten Asteras Tripolis.

Dieser Donnarumma, den die alte Klubführung vor Jahren schon einmal gewogen und für zu leicht befunden hatte, bekommt hingegen nur deshalb eine zweite Chance, weil sein kleiner Bruder, der heute schon berühmte Gianluigi, das zur Bedingung für die eigene Vertragsunterzeichnung machte. Der Junior verdient mit gerade mal 18 Jahren ab sofort sechs Millionen Euro im Jahr und ist damit Nummer drei der bestbezahlten Schlussmänner der Welt - nach Manuel Neuer und Spaniens Nationaltorhüter David De Gea (Manchester United). Der ältere Bruder bekommt als Ersatzmann für Gigio auch noch ein Milliönchen jährlich, selbstredend netto.

Offenbar ist Geld für alle da. Für André Silva, das 21-jährige Talent vom FC Porto (38 Millionen Ablöse), für den 23-jährigen Deutschtürken Hakan Calhanoglu (22 Millionen an Bayer Leverkusen) und den 25-jährigen Schweizer Ricardo Rodriguez (18 Millionen an den VfL Wolfsburg). Für Alvaro Morata lagen schon 60 Millionen auf dem Tisch, aber der Spanier wechselte lieber für 80 Millionen von Real Madrid zum FC Chelsea. Womöglich auch deswegen, weil er dort unter Trainer Antonio Conte durchaus mit Titelambitionen in die nächste Champions-League-Saison starten kann. Milan-Trainer Vincenzo Montella hingegen muss mit seiner bunten Truppe erst einmal Schwarzbrot in der Kleinen Walachei kauen: Am 27. Juli warten die Rumänen von CSU Craiova als Gegner für die Europa-League-Qualifikation.

Montella, 43, zeigt sich enthusiastisch bezogen auf das "Meisterwerk des diesjährigen Transfermarktes". Persönlich fühle er sich durch die Rekordausgaben nicht unter Druck gesetzt, versichert der Coach: "Im Gegenteil. Es ist doch viel einfacher, gute Spieler zu trainieren." Bislang hat der ehemalige Angreifer der Nationalelf bewiesen, dass er auch mit durchschnittlich begabten Profis nicht untergeht. Der sechste Platz in der vergangenen Saison ist vor allem Montellas Verdienst, er führte seine Mannschaft souverän durch die Untiefen des neun Monate währenden Eigentümerwechsels.

Hat Milan die Rechung ohne die Konkurrenz gemacht?

Doch jetzt pochen die neuen Milan-Bosse auf Resultate für ihr gutes Geld. Und bereits auf ihrer Tour in China wollen Präsident Li Yonghong und Generaldirektor David Han Li eigentlich eine Blamage vermeiden. Was indes schwierig werden dürfte, denn gegen Dortmund sah man eine ziemlich verstörte Mannschaft, die ganz offensichtlich nicht wusste, wie sie gemeinsam Fußball spielen soll. Der peinliche Auftritt wurde vom Berlusconi-Fernsehen nach Italien übertragen, ebenso wird es dem Match gegen das Team des früheren Milan-Meistertrainers Carlo Ancelotti ergehen. Samstagmittag ist die neue Primetime im Mailänder Fußball. Auch das Derby wird neuerdings um diese Zeit übertragen - wegen China.

Li Yonghong sei ja ganz anders als sein Vorgänger, sagte Geschäftsführer Marco Fassone kürzlich dem Corriere della Sera. Es handele sich nicht um einen Unternehmer mit einer Firma wie weiland Berlusconi, sondern um einen Investor mit vielen verschiedenen Geschäftsbereichen. "Er wird viel weniger präsent sein, als wir es hier gewohnt waren." Er selbst, so Fassone, habe etwa einmal im Monat mit Li Kontakt. "Er hat mir erklärt, dass er wenig von Fußball versteht, aber viel von Business. Er ist davon überzeugt, dass Milan ihn bei seinen Geschäften in China voranbringen kann." Welche das genau sind, weiß man in Italien nicht so recht. Lediglich, dass Li Yonghong eine Phosphat-Mine besitzt, wurde den Aktionären bei der letzten Versammlung im Juni mitgeteilt.

Woher also kommt das Geld für die spektakulären Einkäufe auf dem Transfermarkt? Nun, Milan gehört de facto weniger dem mysteriösen Li Yonghong als dem US-amerikanischen Hedgefonds Elliott, der dem Chinesen 300 Millionen Euro für die Milan-Übernahme gepumpt hat. Davon 180 Millionen Euro zum stolzen Zinspreis von 11,5 Prozent und weitere 123 Millionen zu 7,7 Prozent, das Gesamtpaket soll bis zum Frühjahr 2018 abgestottert werden. Im Prinzip also vor dem fest einkalkulierten Geldregen der Champions-League-Fernsehrechte - die Qualifikation gilt als Minimal-Saisonziel, aber eigentlich soll schon auch der Meistertitel her.

Klingt genauso größenwahnsinnig, wie es ist, ganz so, als habe Milan die Rechnung völlig ohne die Konkurrenz gemacht. Ohne Juventus Turin, das solide geführte Familienunternehmen des uritalienischen Agnelli-Clans, das gerade den sechsten Titel in Folge eingeheimst hat. Ohne den SSC Neapel, der seit Jahren schwarze Zahlen schreibt und gerade um den Einzug in die Champions League spielt. Der AS Rom ist dafür schon qualifiziert. Und Inter Mailand, ebenfalls in chinesischer Hand, hätte auch noch ein Wörtchen mitzureden. Gerade bemüht man sich um den Spanier Andres Iniesta, den goldenen Oldie vom FC Barcelona, zumindest im Kampf um die Sommermeisterschaft mischt der Lokalrivale also mächtig mit.

Hinter der Internazionale steht der Elektronik-Konzern Suning, der soeben vom chinesischen Staatsfernsehen gerüffelt wurde: Wie denn ein gestandenes Unternehmen der Volksrepublik dazu käme, derart viel Geld in einen hoch verschuldeten europäischen Klub zu pumpen? Die Zeitung South China Morning Post nahm hingegen Milans Li Yonghong aufs Korn, "einen unbekannten Geschäftsmann, der sich 300 Millionen Euro leiht, um einen Fußballklub für 740 Millionen zu kaufen".

Scheint so, als schaue man im Fernen Osten weit wachsamer auf den irren Mailänder Transfermarkt als zu Hause in Italien. "Es ist doch so", schrieb der Corriere della Sera in durchaus beruhigender Absicht: "Wenn Mister Li es bei Milan nicht schaffen sollte, tritt halt der Elliot-Fonds auf den Plan und verkauft den Klub weiter. Natürlich zu einem besseren Preis - mit lauter neuen, tollen Spielern." Die nächste Ära der Fußball-Globalisierung ist in Mailand längst eingeläutet.

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