Süddeutsche Zeitung

Serie A:Beim AC Mailand haben nun Zocker das Sagen

  • Seit Juli ist ein Hedgefonds Besitzer des italienischen Klubs AC Mailand.
  • Dessen Gründer Paul Singer ist bekannt dafür, marode Firmen zu kaufen und gewinnbringend zu zerfleddern.
  • Das könnte auch dem AC blühen - beruhigend ist nur, dass man in den Verein tatsächlich zuerst einiges invesiteren muss.

Von Birgit Schönau, Rom

Vor ein paar Wochen ist Paolo Maldini 50 Jahre alt geworden, die Schläfen und der Dreitagebart schimmern silbrig, ein paar Falten im Gesicht hat er auch. Und doch ist dieser feste, abgrundtief ehrliche Maldini-Blick aus runden, grünen Augen geblieben, mit dem er ein Fußballerleben lang die gegnerischen Angreifer anging. Heute sagt Maldini: "Ein Fußballklub muss solide sein, und der AC Milan wird solide sein." Wer weiß, wie oft sich Maldini diesen Satz schon vorgesprochen hat, seit er aus den USA, wo er den FC Miami betreibt, rechtzeitig zum Start der Serie A zurück nach Mailand gezogen ist. Als Direktor der Abteilung Sportliche Strategieentwicklung jener Associazione Calcio Milan, bei der er über 30 Jahre lang Fußballer war, eine Ewigkeit auch Kapitän. Bis heute ist Maldini das größte Idol des Klubs.

Schon Paolos Vater Cesare Maldini war Spieler und Trainer bei Milan, Paolos Söhne sind dem Klub ebenso verbunden; der 16-jährige Daniel spielt in der Offensive der Jugendmannschaft. Christian, 22, ist bereits Profi bei Drittligist Piacenza, Verteidiger wie der Papa und der Großvater. Die Maldinis sind das erfolgreichste Geschlecht in Italiens Fußball, ihre Vereinstreue ist noch legendärer als ihr Talent. Und nun sitzt Paolo also im Anzug vor der Presse und erklärt mit dem treuesten Maldini-Blick, warum er neuerdings für einen Hedgefonds aus den USA arbeitet: "Sie haben mir zugesichert, den Klub mittelfristig nicht zu verkaufen. Alles andere wäre sehr schlimm für mich und für die Tifosi."

Der Hedgefonds heißt Elliott Management und ist seit Juli Besitzer des AC Mailand. Die Amerikaner nahmen den Klub dem Chinesen Li Yonghong ab, der bei Elliott mit über 300 Millionen Euro in der Kreide stand. Li hatte seinerseits im April 2017 dem früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi Milan abgekauft, für angeblich 740 Millionen Euro. "Offshore auf offshore", wie die Gazzetta dello Sport damals schrieb, weil das Geld über Hongkonger und Luxemburger Konten geflossen sei. Elliott war bereits mit von der Partie, als Investor im Hintergrund, ohne den der in China wie im Ausland unbekannte Li es niemals geschafft hätte, ein Unternehmen vom Kaliber des Berlusconi-Klubs zu übernehmen. Offiziell fungierte der Chinese als Besitzer und Präsident, hinter den Kulissen aber mussten die Amerikaner nur darauf warten, dass ihnen Milan in den Schoß fallen würde wie eine reife Pflaume. Weil sie die Leihgabe an Li mit Zinsen zwischen elf und 20 Prozent garniert hatten, war das eine Frage der Zeit.

Binnen 17 Monaten hatte der AC Mailand, einer der erfolgreichsten Klubs der Welt, also zwei Eigentümerwechsel zu verkraften. Am Sonntag hätte die Mannschaft gegen den CFC Genua das erste Saison-heimspiel bestreiten sollen, doch nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua mit vielen Opfern wurde das Match mit Rücksicht auf die Fans aus der Hafenstadt verschoben. Man wird also noch ein paar Tage warten müssen, bis Elliott dem Publikum sein neues Produkt präsentiert und Paolo Maldini neben dem Generaldirektor Leonardo und Präsident Paolo Scaroni auf der Ehrentribüne des Giuseppe-Meazza-Stadions Platz nimmt. Die weltläufigen Ex-Kicker in die neue Klubleitung zu berufen, war sicher ein geschickter Schachzug. "Milan gehört den Milanisti", jubelte die Gazzetta eilfertig. Schön wär's. In Wirklichkeit weiß man seit geraumer Zeit nicht mehr so genau, wem Milan eigentlich gehört, und wie lange und wozu.

Die Zeiten der Oligarchen und Scheichs sind wohl bald vorbei

Und während Italiens Medien in ihrer ungestillten Sehnsucht nach verblichener Glorie die neuen Besitzer umjubeln wie vor Jahresfrist den angeblichen Krösus aus China, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Mailand ein eher beunruhigendes Fanal für die Fußballwelt im alten Europa darstellt: Auf Berlusconi, der Milan über 30 Jahre lang wie ein Feudalherr regierte, folgen die Heuschrecken eines globalisierten Spätkapitalismus, für die Fußball ein Geschäftszweig von vielen ist. Dass Elliott-Gründer Paul Singer, 73, wie weiland Berlusconi in der Livesendung der italienischen Sportschau anruft, um seinen Trainer wegen einer zu defensiven Spieltaktik zu kritisieren, muss niemand befürchten. Aber es sollte sich auch niemand Illusionen machen, dass Singer sich überhaupt für Fußball interessieren könnte.

Gestern investierte er in Argentinien - und schaffte es, von der Staatspleite des Landes mit 2,4 Milliarden Dollar zu profitieren. Kürzlich stieg er bei Thyssenkrupp ein, mit sicherem Instinkt dafür, dass bei dem angeschlagenen Stahlkonzern für ihn noch einiges zu holen ist. Singers Strategie ist so simpel wie einleuchtend: Er übernimmt marode Unternehmen, um sie gewinnbringend zu fleddern. Beruhigend für Maldini und Co. ist nur, dass es bei Milan tatsächlich eine Weile dauern könnte, bis dieser Klub beim Weiterverkauf Gewinn einbringen könnte. Erst einmal muss Elliott ein wenig investieren, bevor der nächste Abnehmer gesucht werden kann. Mittelfristig.

Ein Traditionsklub als Spielball von Spekulanten - sieht so die Zukunft des Fußballs aus?

Vielleicht, denn die Scheichs und Oligarchen, die ihr Geld in England und Frankreich ausgaben, um Besitzer von Vereinen mit großer Vergangenheit und klingenden Namen zu werden, haben Konkurrenz bekommen. In Mailand zeigt sich, dass die Zocker am Zug sind: Lokalrivale Inter wurde bereits 2013 von einem Investor aus Indonesien übernommen, der den Klub drei Jahre später an den chinesischen Konzern Suning weitergab. Und nun Milan! Bevor man überhaupt verstanden hat, wer der mysteriöse Präsident Li Yonghong ist, ob Unternehmer, Strohmann oder Abenteurer, tritt der Chinese wieder ab von der Bühne - nicht ohne dagegen zu protestieren, dass Elliott ihn über den Tisch gezogen habe.

Das Verfahren, das in Mailand wegen Verdachts auf Bilanzfälschung gegen Li eingeleitet wurde, ist nur eine Fußnote. Der Mann wird um Italien vermutlich sowieso einen Bogen machen. Die von ihm eingesetzten Manager wurden rasch gefeuert. Und der europäische Fußballverband Uefa, der Milan wegen des undurchsichtigen Gebarens der Klubführung die Lizenz für die Europa League entziehen wollte, lenkte kurz vor Saisonstart ein. 270 Millionen Euro hatte Li vor Jahresfrist auf dem Transfermarkt gelassen. Als die Fernsehjournalistin Ilaria D'Amico, Lebensgefährtin des langjährigen Nationaltorwarts Gianluigi Buffon, vor laufender Kamera die Frage stellte, wie das, bitte schön, finanziert werden solle, verbot die Milan-Klubleitung Trainer und Spielern umgehend, sich von D'Amico interviewen zu lassen.

Damals war Elliott schon mit im Boot, als offizieller Geldgeber für Li. Ebenfalls mit von der Partie: Paolo Scaroni, 71. Der Manager saß unter dem chinesischen Präsidenten im Verwaltungsrat, inzwischen ist Scaroni selbst Milan-Präsident und gibt so schöne Sätze von sich wie: "Fußballspiele werden von den Kickern gewonnen, aber Meisterschaften von der Klubführung."

Für Siege auf dem Platz wurde soeben der Angreifer Gonzalo Higuain von Juventus angeheuert, der nach der Ankunft von Cristiano Ronaldo in Turin überzählig geworden war. Im Gegenzug kehrte Leonardo Bonucci nach einem Jahr als Milan-Kapitän zu Juve zurück. "Es war ein einziger großer Fehler", kommentierte Bonucci den Ausflug in die Nachbarstadt. Auf dem Transfermarkt hielt sich die neue Milan-Führung bedeckt. Engagiert wurden der Kroate Alen Halilovic (Hamburger SV), der 36-jährige Torhüter Pepe Reina (Napoli), der Spanier Samu Castillejo (Villarreal), der Uruguayer Diego Laxalt (CFC Genua). Keine großen Namen. Als Trainer bleibt Milan-Urgestein Gennaro Gattuso, der ebenfalls keine riesigen Ambitionen verfolgt.

Man brauche Zeit, hat Präsident Scaroni verkündet. Das gilt nicht zuletzt für ihn selbst. Der Berlusconi-Freund und langjährige Chef des halbstaatlichen Energiekonzerns ENI ist in Mailand wegen Bestechung angeklagt. Es geht um fast 200 Millionen Euro Schmiergeld, das ENI unter Scaronis Federführung in Algerien gezahlt haben soll. Für Scaroni ist es nicht das erste Verfahren: 1996 kassierte er im Vergleich mit einem Mailänder Gericht eine Bewährungsstrafe von 16 Monaten, weil er die sozialistische Partei geschmiert hatte. Es ging um ein Elektrizitätswerk in Brindisi.

Was halt so passieren kann, in einer langen Laufbahn als Geschäftsmann. Heute sitzt Scaroni im Vorstand des Mailänder Opernhauses Scala wie in der Londoner Investmentbank Rothschild. Dafür, dass in Italien die Verjährungsfristen für Finanzdelikte verkürzt wurden, hat Freund Silvio als Regierungschef gesorgt. Der neue starke Mann in Italien, der rechtsextreme Innenminister Matteo Salvini von der Lega, ist glühender Milan-Fan. Also auf in die schöne neue Milan-Welt. Paolo Maldinis Augen lügen nicht, garantiert nicht.

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SZ vom 18.08.2018/vit
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