Abstimmung über Torlinien-Technologie:Kampf um die Linie

Borussia Dortmund FC Bayern München Dante DFB-Pokal

Dante klärt - mutmaßlich hinter der Linie. Der Treffer zählt nicht, Bayern siegt gegen Dortmund im DFB-Pokal. Wie wäre der Abend mit Torlinientechnik verlaufen?

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Tor oder kein Tor? Während bei der WM Kameras halfen, die Kernfrage zu beantworten, lässt der deutsche Profifußball seine Schiedsrichter mit dem Problem allein. Jetzt wird erneut abgestimmt.

Von Philipp Selldorf

"Bis auf Weiteres hat sich das Thema damit für uns erledigt", hat Reinhard Rauball am 24. März gesagt, nachdem zwei Drittel der Erst- und Zweitligaklubs gegen die Einführung der Torlinientechnik votiert hatten. Der Präsident der Deutschen Fußball-Liga (DFL) hat damals geglaubt, dass der deutsche Profifußball aus tiefer Überzeugung eine Grundsatzentscheidung getroffen hätte, aber er hat nicht damit gerechnet, dass diese tiefe Überzeugung das Haltbarkeitsdatum eines Joghurts nur knapp überschreiten würde.

Keine zwei Monate später erhielt Rauball einen Brief, in dem der FC Bayern abermals die Einführung der Torlinientechnik beantragte. Mit dem Vermerk eines feinen Verfahrensunterschieds: Beim nächsten Mal sollten lediglich die 18 Erstligaklubs über die Sache befinden. Denn bei der ersten Abstimmung hatten vor allem die Zweitligaklubs das Meinungsbild geprägt, als sie mit 15:3 Stimmen ein klares Nein formulierten, während die erste Liga ein gerechtes Unentschieden hervorbrachte: neun zu neun lautete das Votum.

Ideologischer Graben innerhalb der Liga besteht noch

Am Donnerstag schlägt nun die Stunde für die nächste Abstimmung. Dann werden die Vertreter der 18 Erstligavereine in Frankfurt erneut über das Für und Wider der Torlinientechnik diskutieren. Ob die für eine Satzungsänderung erforderliche Zweidrittel-Mehrheit zustande kommt, ist nach Einschätzung der Beteiligten fraglich. "Was ich so höre", sagt Jörg Schmadtke, der Manager des 1. FC Köln, "könnte es wieder eng werden. Der ideologische Graben innerhalb der Liga besteht nach wie vor." Allerdings ist die Linie zwischen Modernisierern und Traditionalisten offenbar nicht mehr so eindeutig definiert wie beim Beschluss vor acht Monaten.

Die Befürworter gehen mit neuen Argumenten in die Debatte. Sie können zusätzliche Erfahrungswerte anführen, die im vorigen Frühjahr noch nicht vorlagen. Während der WM in Brasilien hatte sich die Torlinientechnik als hilfreich und zuverlässig erwiesen. Dank der Informationen, die das System auf seine Armbanduhr übertrug, gelangte der brasilianische Schiedsrichter Sandro Ricci beim Vorrundenspiel zwischen Frankreich und Honduras in den Rang einer historischen Berühmtheit - zumindest hat er selbst es so empfunden.

"In diesem Moment wurde Geschichte geschrieben, das war großartig", sagte Ricci. Einen zweifelhaften Torschuss von Benzema hatte die von der deutschen Firma GoalControl entwickelte Technik als Treffer qualifiziert. Der Weltverband Fifa erklärte sich zufrieden mit der Errungenschaft, er wird den Mechanismus auch bei der Klub-WM im Dezember in Betrieb nehmen.

FC Augsburg wohl ins ins Lager der Befürworter gewechselt

Die Front der Tortechnik-Gegner in der Bundesliga scheint inzwischen nicht mehr so massiv zu sein, wie sie im Frühjahr war, aber dieser Eindruck könnte auch täuschen. Die Beteiligten ziehen diesmal Diskretion vor. Eintracht Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen etwa, einer der Anführer der konservativen Fraktion, möchte vor der Versammlung am Donnerstag keine öffentliche Stellungnahme abgeben. Kenner rechnen damit, dass er von seiner Meinung nicht abgerückt ist. Vom Hamburger SV, der im März ein Nein platzierte, kommt lediglich der vage Hinweis, dass man die Haltung "im Prinzip" nicht geändert habe.

Wenige sind bereit, sich so offen zu äußern wie Horst Heldt, der Manager von Schalke 04. Die Gelsenkirchener hatten im Frühjahr den Gesetzentwurf abgelehnt, allerdings aus dem Grund, dass sie eine ganzheitliche Lösung bevorzugen. "Wenn eine Änderung angestrebt wird, dann sollte es gleich den Videobeweis geben. Alles andere ist inkonsequent. Wir bleiben daher bei unserer Meinung", sagt Heldt. Ähnlich äußerte sich vor ein paar Monaten auch der FC Augsburg, von dem nun aber gesagt wird, er sei ins Lager der Befürworter gewechselt.

Jörg Schmadtke, der im Namen des damaligen Zweitligisten 1. FC Köln für das neue Hilfsmittel gestimmt hatte, hält solche Vorbehalte für unangebracht. "Die Videobeweis-Verfechter sollten wissen, dass man halt irgendwann den ersten Schritt machen muss. Und jetzt weiß man ja: Das System funktioniert, ohne Wenn und Aber." Er findet, "dass das Thema endlich von der Agenda runter sollte. Wenn wir uns jetzt nicht entscheiden, wird uns das immer wieder beschäftigen. Wir müssen den Schiedsrichtern helfen, die machen auch so noch genug Fehler."

"Jeder muss wissen: Wenn wir die erste Tür öffnen, wird das nur der Anfang sein"

Besonders auf diesen Beweggrund hatten die Bayern im Mai ihren Antrag auf Wiedervorlage gestützt. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge bezeichnete es als "unerträglich, in welchem Maße die Unparteiischen, die nicht auf Wiederholung, Zeitlupen und sogar mathematische Berechnungen zurückgreifen können, öffentlich an den Pranger gestellt werden".

Die Kosten-Frage, die im März vor allem die Zweitligaklubs zur Ablehnung motiviert hatte, sollte für die Erstligavereine nicht maßgebend sein, meint Schmadtke, "das ist angesichts der Etats nur ein Scheinargument". Rund 250 000 Euro würde das System aus deutscher Produktion zunächst kosten. In einem Punkt allerdings kann auch der Kölner Sportchef die Bedenken der um den Geist des Spiels besorgten Gegner verstehen: "Das muss jeder wissen", sagt er, "wenn wir die erste Tür öffnen, dann kommt noch mehr Technik ins Spiel. Das wird dann nur der Anfang sein."

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