Abstimmung über Torlinien-Technologie:"Wir müssen den Schiedsrichtern helfen"

Torlinientechnologie 'GoalControl-4D'

Tor oder kein Tor? Darüber stimmen die Bundesligisten nun erneut ab. Im Bild das System GoalControl.

(Foto: dpa)

Hawk-Eye, GoalControl oder gar nichts: Ein zweites Mal wird heute über die Einführung einer Torlinientechnik abgestimmt. Warum schon wieder? Und wer sind die Befürworter, wer die Gegner? Wissenswertes zur Abstimmung in der Fußball-Bundesliga.

Von Mathias von Lieben und Matthias Schmid

Die Fußball-Regel 10 des Weltverbandes Fifa ist einfach zu verstehen: "Ein Tor ist gültig erzielt, wenn der Ball die Torlinie zwischen den Torpfosten und unterhalb der Querlatte vollständig überquert hat (...)." Doch so simpel, wie es sich liest, ist die Entscheidung für die Schiedsrichter oftmals nicht. Um Fehlentscheidungen des menschlichen Auges zu minimieren, stimmen die Bundesligisten an diesem Donnerstag darüber ab, ob die Torlinientechnik in der ersten Liga eingeführt wird. Fragen und Antworten.

Warum wird abgestimmt und worum geht es?

In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu groben Fehlentscheidungen bei der Kernfrage des Fußballs: Tor oder kein Tor? Schiedsrichter haben Tore nicht anerkannt, obwohl der Ball hinter der Linie war. Um für mehr Klarheit, Gerechtigkeit und Transparenz zu sorgen und um den Druck von den Schiedsrichtern zu nehmen, wird nun über die Einführung der Torlinien-Technologie in Deutschland bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr abgestimmt.

Warum wird zum zweiten Mal abgestimmt?

Nach der Ablehnung der Erst- und Zweitligisten am 24. März dieses Jahres war zunächst nicht abzusehen, dass nur wenige Monate später eine neue Abstimmung über die Einführung der Torlinientechnik anstehen könnte. Der deutsche Rekordmeister FC Bayern brachte allerdings im Mai seinen Antrag auf Wiedervorlage ein - mit einem Verfahrensunterschied: Diesmal werden nur die 18 Erstligaklubs über die Sache befinden. Bei der ersten Abstimmung hatten vor allem die Zweitligaklubs das Meinungsbild geprägt, als sie mit 15:3 Stimmen ein klares Nein formulierten, während die erste Liga ein Unentschieden hervorbrachte: 9:9 lautete das Votum. Damit die Torlinientechnik eingeführt wird, ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, also müssten sich mindestens 12 Vereine dafür aussprechen.

Welche Systeme stehen zur Wahl?

GoalControl: Das GoalControl-System aus Würselen, das bei der WM 2014 in Brasilien seinen Härtest bestanden hat, basiert auf sieben Hochgeschwindigkeitskameras pro Tor, die am Stadiondach installiert werden. Der Spielball wird dreidimensional erfasst, sobald der Ball in Tornähe ist. Ist der Ball hinter der Torlinie, empfängt der Schiedsrichter ein Signal auf seiner Armbanduhr.

Hawk-Eye: Das aus dem Tennis bekannte britische Hawk-Eye-System basiert auf der Verwendung von sieben Hochgeschwindigkeitskameras pro Tor, die meist am Dach des Stadions angebracht sind. Ist der Ball hinter der Torlinie, sendet das System ein Signal an die Armbanduhr des Schiedsrichters.

GoalRef: Das GoalRef-System basiert auf einem Magnetfeld im Tor, das über spezielle Spulen im Spielball registriert wird. Diese bauen, sobald sie sich im Tormagnetfeld befinden, durch Induktion ein eigenes Feld auf, so dass im Tor eine Magnetfeldänderung registriert wird. Ein Auswertungssystem errechnet, ob sich der Ball im Tor befindet und sendet ein Signal an die Armbanduhr des Schiedsrichters.

Wer ist dafür, wer dagegen?

Wer sind die Gegner und warum?

Viele Vereine kritisieren, dass die Kosten für die Systeme von ungefähr 250 000 Euro pro Verein exklusive Wartungskosten und Installation zu hoch seien. Für Jörg Schmadtke, Manager des 1. FC Köln, ist das aber nur ein Scheinargument, "angesichts des Etats", wie er hervorhebt. Sein Kollege vom FC Schalke 04 wiederum, Horst Heldt, findet die Einführung der Torlinien-Technologie halbherzig. Er ist für eine ganzheitliche Lösung und stimmt einer Änderung nur zu, "sollte es gleich den Videobeweis geben. Alles andere wäre inkonsequent."

Zudem sind viele Traditionsfans in Deutschland gegen die Torlinien-Technologie, da Fehlentscheidungen für sie zum Fußball dazugehören. Schmadtke pflichtet ihnen bei: "Wenn wir die erste Tür öffnen, dann kommt noch mehr Technik ins Spiel. Das wird dann nur der Anfang sein." Der Kölner Manager hatte bei der ersten Abstimmung trotzdem dafür votiert.

Wer sind die Befürworter und warum?

Die Befürworter der Technik gehen bei der zweiten Abstimmung mit neuen Argumenten in die Debatte. Sie können nun die Erfahrungswerte von der WM und aus der Premier League anführen, wo sich die Torlinientechnik als hilfreich und zuverlässig erwiesen hat. Viele Vereinsoffizielle sagen auch, dass der technologische Fortschritt Sicherheit und Fairness gewährleisten und die Schiedsrichter zumindest etwas aus der Schussbahn nehmen würde. "Wir müssen den Schiedsrichtern helfen. Die machen auch so noch genug Fehler", sagt Schmadtke.

Die Front der Tortechnik-Gegner scheint inzwischen nicht mehr so massiv zu sein, wie sie im Frühjahr noch war. Trotzdem ziehen die Beteiligten diesmal Diskretion vor, die wenigsten wollen sich öffentlich äußern. Es soll allerdings - laut Gerüchten - ein paar Vereine geben (FC Augsburg), die ins Lager der Befürworter gewechselt sind. Während sich Vereine wie der FC Bayern München, Borussia Dortmund und 1899 Hoffenheim öffentlich für die Technik aussprechen, sind der Hamburger SV und Eintracht Frankfurt wohl dagegen. Schalke 04 stimmt nur dafür, wenn im gleichen Zug auch der Videobeweis kommt.

In welchen Ligen gibt es die Technik bereits?

Die englische Premier League hat als erste und bisher auch einzige der europäischen Ligen zur Saison 2013/2014 die Torlinientechnologie eingeführt. Das Hawk-Eye-System funktioniert weitgehend problemlos. Auch bei der Fußball-WM in Brasilien lieferte das GoalControl-System hilfreiche und zuverlässige Dienste. Die Fifa hatte sich für das System entschieden, nachdem die Erprobungsphase bei der Klub-WM 2012 und beim Confed-Cup 2013 erfolgreich ausgefallen war.

In den Niederlanden wird zurzeit der Videoschiedsrichter erprobt. Andreas Rettig, Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) ist von dem Projekt ganz angetan. In der Ehrendivision steht vor einigen Stadien ein Transporter, in dem ausgebildete Schiedsrichter die Spiele vor einer Wand mit Bildschirmen verfolgen. Das Pilotprojekt zeigt, dass es möglich ist, pro Spiel durchschnittlich drei bis vier strittige Szenen zweifelsfrei aufzuklären und entsprechende Informationen rasch an den Schiedsrichter auf dem Platz zu übermitteln.

Wie waren die Erfahrungen bei der WM in Brasilien?

Das GoalControl-System erwies sich für die Schiedsrichter als sehr wertvoll. Dank der Informationen, die das System auf seine Armbanduhr übertrug, gelangte der brasilianische Schiedsrichter Sandro Ricci beim Vorrundenspiel zwischen Frankreich und Honduras zur vorrübergehender Berühmtheit, weil die Technik den Torschuss des Franzosen Benzema zweifelsfrei als Treffer identifizierte. Der Weltverband Fifa erklärte sich anschließend zufrieden mit der Errungenschaft, will den Mechanismus auch bei der Klub-WM im Dezember einsetzen. Uefa-Präsident Michel Platini gehört noch zu den schärfsten Kritikern der Torlinientechnik, zeigt sich jedoch zunehmend aufgeschlossen und gesprächsbereit. Er schließt die Einführung zur Fußball-EM 2016 in Frankreich nicht mehr kategorisch aus.

Wann könnte das System in die deutschen Stadien kommen?

Bei einem positiven Votum wäre die Technik zur Saison 2015/16 in allen Stadien installiert - allerdings nur in der ersten Liga. Für welches Technik-Modell sich die DFL entscheiden wird, ist noch offen. Falls die Vereine für die Technik stimmen, will sich der Deutsche Fußball-Bund dem Projekt anschließen und sie von den Viertelfinals an im DFB-Pokal einsetzen.

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