Abstiegskampf von 1860 München:Traurig singt der Löwe

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Gary Kagelmacher (l.) und Torwart Vitus Eicher: Krisenstimmung in München (Foto: dpa)
  • Durch einen lethargischen Auftritt gegen Union Berlin rutscht der TSV 1860 München auf Rang 17.
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Von Philipp Schneider

Wäre es möglich, den Stecker aus einem Fußballstadion zu ziehen und zugleich der Mehrheit der anwesenden Menschen ihre gesamte Energie zu nehmen, sie sozusagen in den Standby-Modus zu versetzen, Damir Kreilach hätte sagen dürfen: Ich war's, ich zog den Stecker. In der 79. Minute. Ein langer Freistoß von Fabian Schönheim, dann Kreilachs Fuß, ein Ball im bebenden Netz. Das 2:0 für Union. Für Spieler und Fans des TSV 1860 München war dies der Moment, in dem alle begriffen, dass dieses Spiel vorbei war, elf Minuten vor Ende.

Der Stürmer Okotie griff sich den Ball, er rannte nach vorne, um möglichst schnell den Spielbetrieb wieder aufzunehmen, um die in ihrer Kurve feiernden Spieler von Union Berlin zum Wiederanpfiff zu drängen. Und es war so merkwürdig still. Zumindest bis einige Münchner das Lied mit der Zeile "einmal Löwe, immer Löwe" anstimmten. Ein trauriges, wenngleich Mut machendes Lied. Es handelt davon, dass ein Mensch zum Löwen wurde, als es noch angesagt war, zum Löwen zu werden.

Aber es handelt auch davon, dass er nun Löwe bleibt, selbst wenn es längst nicht mehr ganz so angesagt ist, ein Löwe zu sein. Dieser altbekannte Löwengesang klang selten trauriger als am Sonntag, eine Minute vor Schluss, als der Berliner Sebastian Polter (der in der 19. Minute schon das 1:0 besorgt hatte) zum 3:0 traf, dem Endstand. Denn der TSV 1860 München, der Verein der traurigen Löwen, er ist nun Vorletzter in der zweiten Liga, drei Spiele vor Ende der Saison. Weil Fürth gegen Düsseldorf gewann, St. Pauli gegen Leipzig - und selbst Aue gegen Karlsruhe, einen Aufstiegsanwärter.

"Ich habe immer gesagt, es geht bis zum Schluss, mir wäre es aber auch lieber, es wäre nicht so", sagte Torsten Fröhling, er wollte mit seinem Satz wohl Mut machen, doch seine Worte klangen mehr wie ein trotziges Brummen. Der Trainer der Münchner saß danach mit geröteten Wangen im Bauch der Arena. Solche Wangen hat er oft, selbst nach Siegen. Zuvor hatte Fröhling allerdings immer auf den erfreulichen Fakt hinweisen dürfen, seine Mannschaft, damals noch 15. der Tabelle, habe den Klassenerhalt "in der eigenen Hand". Seit Sonntag ist das anders. Seit Sonntag sind es die Fürther, Hamburger und Spieler aus Aue, die Sechzig in der Hand haben. Seit Sonntag ist der Abstiegskampf fremdbestimmt.

Andererseits dürfte Fröhling die größte Sorge nicht einmal die Tabelle bereiten, sondern die Spielweise seiner Mannschaft. Nach zwei ordentlichen Auftritten gegen Bochum und Düsseldorf gab es diesmal 70 Minuten lang spielerisch zu bestaunen: gar nichts. Die Münchner ließen den Ball nicht laufen, sie kombinierten kaum. Und sie konterten nie, ganz anders als der schnelle Berliner Sebastian Polter. Dafür hatte Sechzig "65 Prozent Ballbesitz in Zonen, die niemanden interessieren" - wie es Kapitän Christopher Schindler auf den Punkt brachte. Er dachte an den Bereich im Mittelfeld, aus dem die Spieler anderer Klubs bisweilen vertikale Pässe spielen.

Sechzig hingegen zeigte unter Fröhling erstmals einen Rückfall in die lethargischen Bewegungsabläufe, die ja unter dem neuen Übungsleiter eigentlich überwunden galten. "Für mich absolut unverständlich, ich dachte, die Mannschaft hätte den Abstiegskampf angenommen", sagte Schindler: "Das ist katastrophal, gar keine Frage." Kein Frage war diesmal auch, dass die trotzig singenden Löwen auf der Tribüne nur acht sehenswerte Minuten von ihrer Mannschaft geboten bekamen. Zwischen der 71. Minute - als Fröhling in Stephan Hain einen zweiten Stürmer brachte - und Kreilachs Steckerzug.

Für kurze Zeit war richtig was los im Strafraum von Daniel Haas: Da köpfelte Okotie knapp über die Latte, da traf erst Guillermo Vallori an den Pfosten, dann, im Nachschuss, Gary Kagelmacher an die Latte. Marius Wolf spielte munter weiter, seinen Kopfball klärte Toni Leistner erst auf der Linie. Und dann vergab Okotie noch einmal mit dem Fuß. Am Ende einer Drangphase, die lediglich schön anzusehen gewesen war. Und dann? "Dann drückst du, und drückst, drückst, drückst, stehst kurz vor dem Ausgleich, bekommst aber das 0:2, und dann ist das ein Nackenschlag", sagte Okotie. So ist das wohl wirklich.

Der lange verletzte Österreicher durfte gegen Union erstmals seit Wochen von Beginn an spielen. Dann wurde er zum Leidtragenden einer wohl richtungsweisenden Entscheidung von Norbert Düwel. Unions Trainer teilte Okotie fast permanent zwei seiner Verteidiger zu. Der Plan funktionierte vortrefflich, weil die Außenspieler Valdet Rama und Marius Wolf ihre ungeahnten Räume nicht nutzten - und auch Okotie seine einzige Gelegenheit (30.) vor der späten Drangphase nicht verwandelte.

Aber auch weil im offensiven Mittelfeld, wo Daniel Adlung an besseren Tagen kluge Pässe in die Schnittstellen spielt, ein großes Loch der Ideen klaffte. "Wenn ich sehe, dass sich Adi hinten die Bälle selber holt, dann ist das nicht unser System", sagte Fröhling. Drei Spiele vor Ende der Saison ist es sicher nicht verkehrt, wenn eine Mannschaft ein System hat.

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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