Abstiegskampf in der Bundesliga:Jubel, Fatalismus und ein Schock

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Riesen-Enttäuschung in Braunschweig: Benjamin Kessel liegt nach dem Spiel am Boden. (Foto: dpa)

Ein Schneckenrennen namens Abstiegskampf: Der Hamburger SV, der 1. FC Nürnberg und Eintracht Braunschweig verlieren ihre letzten Heimspiele und hoffen allesamt auf den letzten Spieltag. Die Stimmungslagen in den Stadien sind allerdings grundverschieden.

Von Thomas Hummel

Torsten Lieberknecht stampfte auf dem Spielfeld herum, er rüttelte an Spielern, er gestikulierte mit den Zuschauern, er schrie und brüllte. Er holte seine Mannschaft zusammen zu einem großen Kreis und schrie weiter in diese Runde hängender Köpfe hinein. Der Trainer von Eintracht Braunschweig legte seine gesamte Energie frei, um nach 94 Minuten Fußball und einem monströsen Schockerlebnis am Schluss seine Leute aufzurichten. Ihnen zuzubrüllen, dass es noch nicht vorbei ist. Noch bleibt ein Spieltag. So schwer es in diesem Moment auch war, daran zu glauben.

Mit dem letzten Angriff, dem letzten Schuss war der Ball ins eigene Tor gesegelt. Es war keineswegs unverdient gewesen für den FC Augsburg, dieses 1:0. Doch der Zeitpunkt war herzerweichend, er glich einem plötzlichen, unerwarteten Knock-Out nach einem mutigen, tollen Kampf.

Doch Lieberknecht hatte recht: Eintracht Braunschweig ist trotzdem noch nicht abgestiegen. Denn das Schneckenrennen, das sich Abstiegskampf 2014 nennt, geht in einer Woche in die letzte Runde. Auch der 1. FC Nürnberg (0:2 gegen Hannover) und der Hamburger SV (1:4 gegen Bayern München) verloren ihre letzten Heimspiele der Saison. Braunschweig (25 Punkte, in Hoffenheim), Nürnberg (26 Punkte, in Schalke), Hamburg (27 Punkte, in Mainz) - zwei werden absteigen, einer darf in die Relegation. Der VfB Stuttgart ist gerettet.

Drei Standorte, drei Stimmungslagen. In Braunschweig stand ein Stadion, eine ganze Stadt hinter der Fußball-Mannschaft. Die Energie für den doch sehr überraschenden Klassenerhalt sollte hier von den Rängen in die Spieler hineingedrückt werden. Und die Spieler brauchten diese Energie dringend, so unterlegen waren sie teilweise gegen den FC Augsburg.

Lieberknecht stellte alles auf Sieg, stellte seine Mannschaft so offensiv auf wie vielleicht noch nie in dieser Saison. Was dazu führte, dass die Augsburger oft so viel Platz hatten, dass sie offenbar selbst überrascht waren und diesen nicht nutzten. Sascha Mölders, Alexander Esswein, Dong-Won Ji - Augsburg hätte nach 70 Minuten längst führen müssen. Und dennoch feuerten die Zuschauer ihre Eintracht heftig an.

In Nürnberg dagegen hatten die Zuschauer zu Spielbeginn noch einmal die wunderbare Klubhymne "Die Legende lebt" gesungen, doch dann lebte vor allem dieser nicht zu erklärende Fatalismus der Franken. Die Skepsis den Spielern, dem neuen Trainer Roger Prinzen und überhaupt dem ganzen Verein gegenüber flirrte durch das Frankenstadion. Fünf Niederlagen in Serie hatten das Publikum verärgert - und dann spielte Mike Frantz nach vier Minuten einen furchtbaren Pass. Hannover 96 sauste los und Szabolcs Huszti schloss den Konter zum schnellen 0:1 ab.

Zwar hatte Adam Hlousek kurz darauf die große Chance zum Ausgleich, vor allem Josip Drmic mühte sich und manchmal glomm Hoffnung auf, die Nürnberger könnten zurückkommen. Doch die Zuschauer raunten bei jedem Fehlpass, schimpften bei jedem verlorenen Zweikampf, verstummten bisweilen völlig. Spätestens nach dem 0:2 durch Manuel Schmiedebach lag eine gehässige, giftige Stimmung im Nürnberger Stadion. Verwünschungen Richtung Sportchef Martin Bader folgten, ausgewechselte Spieler wurden heftig ausgepfiffen. Eine gewisse Sehnsucht nach Untergang, auch ein bisschen nach Zerstörung lag in der Luft.

In Hamburg hatte die Stadt trotz der misslichen Lage verblüffend gute Laune. Vielleicht lag das am sogenannten Geistheiler, der inzwischen im Betreuerstab des HSV arbeitet und der öffentlich erklärt hatte: "Die hauptsächliche Energie fließt durch mich und den Kontakt und die Einweihungen, die ich von den Spielern erhalte."

Die Einweihungen von Trainer Mirko Slomka zeugten jedenfalls von Mut. Der HSV attackierte den Super-super-Meister im Spielaufbau und weil die Bayern zunächst mit relativ wenig Energie herumliefen, hatten die Hamburger verblüffend viele Möglichkeiten. Ivo Ilicevic schoss ein paar Mal aufs Tor, Rafael van der Vaart forderte Torwart Manuel Neuer zu einer Weltklasse-Parade heraus. Die Abwehr stand ebenfalls überraschend gut - bis zur 32. Minute. Da dribbelte Mario Götze Richtung Strafraum, spielte einen einfachen Doppelpass mit Arjen Robben und vollendete zum 1:0.

In der Halbzeit gab es Randale auf den Rängen, die Polizei schritt ein in martialischer Montur, Gegenstände flogen und Böller böllerten. Auch davon ließ sich der HSV nicht irritieren, sondern der Gastgeber griff weiter an. Hinten allerdings ging nun einiges schief. Nach einem Eckball stand Götze völlig frei im Strafraum - 0:2 (55.). Einen Konter der Bayern schloss wieder Götze zum 0:3 ab (70.). Der Fernschuss von Hakan Calhanoglu zum 1:3 (72.) ließ das Volk jubeln, das 4:1 per Fallrückzieher durch Claudio Pizarro (75.) trübte die Stimmung nicht.

Nach dem Spiel feierten die Zuschauer in Hamburg die Spieler, "Niemals zweite Liga" hallte durch das Hamburger Stadion. "Es war ein richtig gutes Spiel von unserer Mannschaft. Auch die Stimmung hier im Stadion, das war wirklich ein richtig guter Moment", sagte Sportchef Oliver Kreuzer. Die gute Laune lag nicht unwesentlich an den Ergebnissen in Nürnberg und Braunschweig.

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In Franken zogen sich Mannschaft und Zuschauer gegenseitig nach unten. "Im Stadion war alles sehr angespannt, alle haben gewartet, was die Mannschaft fabriziert, aber nach dem schnellen Rückstand war die Mannschaft sehr verunsichert", erklärte Torwart Raphael Schäfer.

In Braunschweig hingegen spielte sich ein sportliches Drama ab. Denn weil die Augsburger das Spiel nicht vorher entschieden hatte, raffte sich die Eintracht plötzlich zu einer Energieleistung auf und rannte leidenschaftlich nach vorne. Die Niedersachsen kämpften um jeden Ball, spielten und flankten sich in den gegnerischen Strafraum hinein.

Nach 86 Minuten hätte sich alles beinahe glücklich zugunsten der Braunschweiger gewendet. Der Ball fiel dem eigewechselten Salim Khelifi vor den Fuß, er schoss aus acht Metern Richtung Tor, doch der Augsburger Hüter Marwin Hitz drehte den Ball mit einem tollen Reflex um den Pfosten. Längst gab es kein Mittelfeld-Spiel mehr, weil beide Mannschaften unbedingt gewinnen wollten, und der letzte Angriff der Augsburger führte doch noch zum Tor. Raúl Bobadilla lupfte den Ball über alle Braunschweiger hinweg über die Linie und zeigte danach seine auf die Brust tätowierten Eltern. "Ist natürlich sehr enttäuschend, in letzter Minute so ein Gegentor zu bekommen", sagte Karim Bellarabi. Doch sein Trainer Torsten Lieberknecht verdeutlichte gleich, wohin nun eine Woche die Gedanken gehen in Braunschweig: "Wir müssen im nächsten Spiel gewinnen."

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