Abstiegskampf:"Egoistische Gedanken darf es nicht geben"

Hertha BSC v Borussia Moenchengladbach - Bundesliga

Gleich kracht's: Gladbachs Torwart Yann Sommer rauscht rotwürdig dem Herthaner Jhon Cordoba in die Parade.

(Foto: Clemens Bilan/Getty)

Hertha-Trainer Pal Dardai statuiert ausgerechnet am selbstlosen Santi Ascacíbar ein Exempel. Das 2:2 gegen dezimierte Gladbacher bewertet er erstaunlich milde.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Partie gegen Borussia Mönchengladbach war gerade vorbei, da schnappte sich Herthas Trainer Pal Dardai seinen Mittelfeldspieler Santi Ascacíbar, 24. Und das, was man aus der Ferne beobachten und später auch auf den Fernsehbildern sehen konnte, sah verdächtig danach aus, dass Dardai seinen Sechser, wie man so sagt, einnorden wollte. Am Sonntag, das 2:2 gegen die Gladbacher war schon wieder metabolisiert, wurde dann klarer, was Dardai dem verdutzt dreinschauenden Ascacíbar vorgeworfen hatte: ein Verhalten, das Dardai als "egoistisch" geißelte. Ausgerechnet Ascacíbar? Ausgerechnet Ascacíbar.

Was geschehen war, kommt immer wieder mal vor, wenn ein Spieler vorzeitig vom Platz muss: Ascacíbar hatte bei seiner Auswechslung in der 57. Minute grimmig geschaut, die Bild beobachtete ergänzend, dass Ascacíbar darauf verzichtet hatte, Dardai "abzuklatschen". Er selbst habe sich nicht persönlich getroffen gefühlt, betonte Dardai am Sonntag. Aber "wenn jemand runterkommt und so ein Gesicht zieht - das ist respektlos. Nicht gegenüber dem Trainer, gegenüber der Mannschaft", sagte der Ungar über den Argentinier, der Herthas Tor zum 1:0 erzielt hatte und indirekt auch an Jhon Córdobas Treffer zum 2:2-Endstand beteiligt gewesen war. Sauer war Ascacíbar dennoch: "Wunderbar, dass er ein Tor gemacht hat - aber soll ich mich bedanken bei ihm, oder was soll ich machen?", fragte Dardai: "Egoistische Gedanken und egoistisches Verhalten darf es in den letzten sechs Spielen nicht geben."

Das ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Und dennoch überraschte, dass Dardai ausgerechnet am Argentinier ein Exempel wider den Egoismus statuieren wollte. Man muss Ascacíbars Selbstlosigkeit nicht über Maßen verklären. Aber es dürfte nicht so einfach sein, einen uneitleren Spieler im Hertha-Kader als Ascacíbar zu finden (und im Sinne von Oscar Wilde, der Selbstlosigkeit als "eine ausgereifte Form des Egoismus" betrachtete, dürfte Dardais Kritik an der angeblichen Ichbezogenheit nicht gemeint gewesen sein). Allerdings: Es war nicht von der Hand zu weisen, dass Ascacíbar angefasst wirkte, als er ausgewechselt wurde. Aus Gründen, für die man Erklärungsansätze finden kann.

Football: Bundesliga - day 28: Hertha Berlin v Borussia Moenchengladbach

Da jubelt er noch: Herthas defensiver Mittelfeldspieler Santiago Ascacíbar freut sich über seinen Führungstreffer gegen Mönchengladbach. Später war der Argentinier über seine Auswechslung verstimmt - und verstimmte so wiederum seinen Trainer.

(Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Denn: Nach der roten Karte für Gladbachs Torwart Yann Sommer (13.) hatte Ascacíbar eben nicht nur Herthas 1:0, sondern gleich sein erstes Bundesligator überhaupt erzielt. Nach der zwischenzeitlichen Führung der Gäste durch Alassane Pléa (27.) und Lars Stindl (Foulelfmeter/38.) war Ascacíbar auch an Herthas Ausgleich beteiligt: Sommers Ersatzmann Lars Sippel konnte einen Fernschuss Ascacíbars nur abklatschen, den Abpraller passte Matheus Cunha auf den ziemlich überragenden kolumbianischen Stürmer Córdoba, der aus kurzer Distanz traf. Die Statistiken sprachen auch nicht unbedingt gegen Ascacíbar. Er lief in 56 Minuten Einsatzzeit knapp acht Kilometer, seine Passgenauigkeit lag bei 87 Prozent, er gewann 67 Prozent seiner Zweikämpfe, hatte 43 Ballkontakte und zeichnete laut Statistikanbieter Opta immerhin für drei von 23 Torschüssen der Hertha verantwortlich.

Dass es Ascacíbar verstörte, dennoch vom Platz zu müssen, fand Dardai offenkundig respektlos. Zumindest klang er arg sarkastisch, als er sich darüber mokierte, dass man einigen Spielern erklären müsse, "warum man sie auswechselt ...", der eine oder andere halte sich wohl für "wichtig". Sprach's - und erläuterte dann seine taktischen Beweggründe.

"Ich brauche keinen Sechser, der nach hinten zur Dreierkette läuft": Darum wechselte Dardai Weltmeister Khedira ein

Eingewechselt hatte Dardai Sami Khedira, weil er Weltmeister von 2014 vor allem bei Standardsituationen als torgefährlicher einschätzte als Ascacíbar: "Ich bin nicht daran schuld, dass Santi nicht kopfballstark ist", sagte Dardai über den nur 1,68 Meter großen Argentinier. Ascacíbar habe auch zu wenig nach vorn gedacht: "Ich brauche keinen Sechser, der nach hinten zur Dreierkette läuft, und der noch mal den Ball nimmt, sich noch mal dreht", sagte Dardai am Sonntag. Dessen ungeachtet unterstrich Herthas Trainer aber auch, dass Ascacíbar im Grunde eine gute Leistung geboten habe. In einem Spiel, dessen Resultat er angesichts der 77-minütigen Überzahl erstaunlich milde bewertete.

Während Khedira am Samstag noch davon gesprochen hatte, dass sich das Remis wie eine Niederlage anfühle, und auch Kapitän Niklas Stark erklärte, dass "jeder, der die Tabelle lesen kann, weiß, dass wir heute einen Sieg gebraucht hätten", wollte Dardai die Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit gewürdigt wissen, ebenso Herthas Saisonrekord an Abschlüssen: "Ich bin mit dem Punkt zufrieden." In der kommenden Woche steht die Reise nach Mainz an - und damit das erste von sechs verbleibenden Spielen, in denen der mit den Millionen von Investor Lars Windhorst aufgepumpte "Big-City-Club" nur gegen Mannschaften aus der unteren Tabellenhälfte spielt. Die Partie beim FSV Mainz 05 werde "bestimmt weh tun", sagte Dardai, "das wird nicht schön sein, dieses Spiel". Eigentlich ein Spiel, das dann wie gemalt ist für Santi Ascacíbar, dem man viel absprechen kann, nicht aber dies: dorthin zu gehen, wo es wehtut.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: