Abstieg von Hertha BSC:Dit war Berlin, wa?

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Alarm: Gehen Herthinho und Pal Dardai etwa getrennte Wege? Keine Sorge - beide bleiben dem Verein trotz allen schlechten Nachrichten erhalten. (Foto: IMAGO/camera4+)

Nach dem siebten Abstieg der Vereinsgeschichte blickt Hertha BSC sportlich wie wirtschaftlich schwierigen Zeiten entgegen. Einen sofortigen Wiederaufstieg will der Klub nicht als Ziel formulieren, zu groß ist die allenthalben spürbare Verunsicherung. 

Von Javier Cáceres, Berlin

Nicht jeder Schuss verhallt bei Hertha BSC ungehört, und wer ein geübtes Ohr hatte, konnte das am Samstag verifizieren. "Brandenburger!!! Berliner!!!! Macht euch bereit ... !!!!!", pflegt der Stadionsprecher bebend anzuheben, wenn die Mannschaften kurz davorstehen, den Rasen des Olympiastadions zu betreten. Am Samstag, vor der Partie Herthas gegen den VfL Bochum, war das auch so. Nur: Ein Detail war diesmal anders.

Denn diesmal ging es nicht mit einem "Macht-Euch-bereit-für-Berlins-Fußballklub-Nummer-eins ..." weiter. Die Kategorisierung als "Berlins Fußballklub Nummer eins", sie muss dem Sprecher irgendwie in der Kehle stecken geblieben sein. Denn diesmal lag es in der Berliner Luft, dass die Hertha kurz darauf zum siebten Mal in der Geschichte - und zum ersten Mal seit 2012 - aus der ersten Liga absteigen würde. Durch ein 1:1 von Keven Schlotterbeck, das Hertha in der vierten Minute der Nachspielzeit hinnehmen musste.

Gäbe es nicht die sagenhafte Fangemeinde Hertha, die erst pfiff und zürnte, als die Mannschaft die Kurve wieder verlassen wollte - Hertha wäre ein bester Kandidat für die Aufnahme in das Tourismus-Programm "Berliner Unterwelten". In den Katakomben des Olympiastadions stand Torwart Oliver Christensen, der nicht nur wegen des späten Gegentors und dem damit einhergehenden Abstieg fassungslos war. Sondern wegen einer Anekdote vom Vorabend, die ihn dazu gebracht habe, laut "was?" auszurufen. Am Freitag, so erzählte er es, sei er im Hertha-Fanshop gewesen, um ein paar Trikots für die Familie zu holen. Vergebens. Denn der Verkäufer habe ihm gesagt, dass die nahezu ausverkauft wären. Wegen solcher Leute, das wollte Christensen sagen, gehe es ihm besonders nahe, dass der Abstieg nicht zu vermeiden war. Wegen der Leute, die Hertha einen Besucherrekord bescherten, am Samstag waren gegen Bochum mehr als 70 000 Menschen im Stadion.

Und sie waren auch noch da, als Schlotterbeck kurz vor dem Ende der Partie am Fünfmeterraum etwas tat, was die Herthaner nicht taten. Er sprang bei einem Eckstoß in die Luft und stieß den Ball mit der Stirn per Aufsetzer ins Netz. Damit war die von Lucas Tousart erzielte Führung und der nahezu sicher geglaubte Sieg futsch. Futsch wie die 374 Millionen Euro, die Lars Windhorst ab 2019 in den Klub gepumpt hatte, oder die sonstigen Piepen, die Hertha in diesen Jahren ja auch erlöste. War ein Abstieg je teurer?

Sicher ist: Reich an Tränen war er in jedem Fall. Niemand verkörperte das stärker als der Alterspräsident der Mannschaft, Kevin Prince Boateng, der noch lange auf dem Rasen des Olympiastadions saß und Abschied und Abstieg beweinte, er beendet seine Karriere und ist "auch Hertha-Fan". Das stammelte er bei Sky, dann verschwand er in der Kabine, und man sah, dass über seine Wangen Tränen geflossen waren.

Die drängendsten Fragen, die sich nun auftun, sind längst nicht sportlicher Natur. Vor einer Woche räumte Geschäftsführer Tom E. Herrich bei einer - friedlichen - Mitgliederversammlung ein, dass die Lizenz in Gefahr sei, wenn man die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit nicht nachweisen könne. Bis zum 7. Juni, 15.30 Uhr, muss Hertha dafür "Bedingungen" erfüllen. Die schuldengeplagte und seit Jahren Verluste auftürmende Hertha muss unter anderem darlegen, wie eine 40-Millionen-Euro-Anleihe zurückgeführt werden kann, die Ende des Jahres fällig wird.

Und dann ist noch offen, ob der Vertrag mit dem Investor 777 Partners, der 100 Millionen Euro versprochen hat, den Vorgaben der DFL entspricht, was den Einfluss von Investoren angeht. Stichwort: "50+1"-Regel, sie begrenzt den Einfluss von Investoren auf Profiklubs. Herrich sagte nach der Mitgliederversammlung, man sei davon überzeugt, dass der "Triple-Seven"-Deal "50+1" kompatibel sei. Nach der Mitgliederversammlung sagte er vor Journalisten, dass die DFL das "etwas anders" sehe. Nach SZ-Informationen sah das die DFL nicht nur etwas, sondern erheblich anders.

Vor diesem Hintergrund blickt Hertha einem umwälzenden Kaderumbruch entgegen - und hat dafür nicht viel Zeit, die zweite Liga startet in zwei Monaten. Die im Unterhalt teuersten Profis (zum Beispiel Lucas Tousart, Dodi Lukebakio oder auch der nach Italien verliehene Krzysztof Piatek) müssen dringend abgestoßen oder abgefunden werden; am Wochenende verpflichtete immerhin der argentinische Erstligist Estudiantes La Plata den bislang geliehenen Hertha-Profi Santi Ascacíbar fest - für einen Betrag, der mit knapp 3 Millionen Euro symbolischen Charakter hatte. In der Anschaffung hatte Ascacíbar noch eine zweistellige Ablöse gekostet.

Torwart Christensen erklärte, er würde aus privaten Gründen gern in Berlin bleiben. Doch er weiß nicht, ob das möglich sein wird: "Es ist nicht meine Entscheidung." Hertha muss (siehe oben) möglichst schnell viel Geld generieren; und der Däne hat zuletzt in Köln und auch gegen Bochum gezeigt, dass er so gut wie jedem Erstligisten Europas gut zu Gesicht stehen würde. Im Vergleich zum Bodenpersonal in der Geschäftsstelle sind die Sorgen Christensens (und die vergleichbaren Fälle anderer Profis) purer Luxus. Die Zahl betriebsbedingter Kündigungen dürfte in den zweistelligen Bereich gehen. Seit Wochen wird geraunt, dass Herthas Belegschaft sich von Gewerkschaftsanwälten beraten lässt, wie ein Betriebsrat gegründet werden kann.

Herthas Führung hielt sich am Wochenende - bis auf Sportdirektor Benni Weber - bedeckt. Einen sofortigen Wiederaufstieg wollte Weber nicht als Ziel formulieren, zu groß ist die allenthalben spürbare Verunsicherung. Daran, dass er Hertha für ein natürliches Mitglied der Bundesliga hält, wollte er keinen Zweifel lassen.

Trainer Pal Dardai wiederum ließ offen, ob er Cheftrainer bleiben werde. Er werde erst eine schriftliche Analyse abgeben und mit der Reaktion der Verantwortlichen abgleichen, versicherte er. In dem Wissen freilich, dass er seine Analyse auch in japanischen Schriftzeichen abgeben könnte - der Job würde ihm auch so angetragen werden. Denn um einen anderen Trainer zu verpflichten, ist Dardai im Westend zu beliebt.

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