Abseitslinie:Schein-Objektivität für Zuschauer und Referee

Fussball, Bundesliga, Deutschland, Herren, Saison 2019/2020, 13. Spieltag, Borussia Park Mönchengladbach, Bor. Mönchengl; Abseits VAR

Abseits oder nicht? Das kann trotz "kalibrierter" Linien schwierig zu erkennen sein.

(Foto: imago images/Uwe Kraft)

Uefa-Präsident Ceferin fordert bei der Abseitsregel eine Toleranzgrenze. Der Vorschlag ist falsch - seine Analyse führt aber zum Kern eines Problems.

Kommentar von Claudio Catuogno

Die auf den ersten Blick angemessenste Antwort auf die jüngsten Anmerkungen des Uefa-Präsidenten Aleksander Ceferin zum Videobeweis hat das Magazin 11 Freunde auf seiner Internetseite gegeben: eine Fotostrecke zu "Fußballern und ihren Riechorganen". Fußballer mit blutigen und mit Clownsnasen, dazu jede Menge Nasen, aus denen gerade Rotz resp. Schnodder resp. Nasensekret geschnauft wird. Schön. Aber auch ein bisschen am Thema vorbei, denn eines ist leider auf keinem der 29 Nasenfotos zu sehen: die kalibrierte Linie!

"Wenn du eine große Nase hast, bist du heutzutage im Abseits", hatte Ceferin, 52, im Daily Mirror geklagt. Es war ein Satz, wie er in Fankurven zuletzt häufig fiel, wenn mal wieder ein Tor aberkannt wurde wegen einer minimalen, per Video detektierten Abseitsstellung. Etwa beim VfB Stuttgart, wo dem tendenziell normalnasigen Stürmer Mario Gomez kürzlich gleich drei Treffer storniert wurden, weil sich wechselnde Körperteile jeweils drei Zentimeter im Abseits befunden haben sollen.

Die von Ceferin geforderte Toleranzgrenze würde das Problem wohl nur verschieben

Weil Ceferin als Chef des europäischen Fußballs aber nicht nur rumjammern kann, hat er auch einen Lösungsvorschlag präsentiert: Er will die Abseitsregel so ändern, dass es "eine Toleranzgrenze von zehn bis 20 Zentimetern" gibt. Eine Maßnahme, durch die das Problem aber wohl nur verschoben würde. Die mit Videomaterial unterlegte Debatte, ob ein Schütze nun 21 (Tor gilt nicht) oder bloß 19 Zentimeter (Tor gilt!?!) im Abseits stand, kann ja erst recht niemand führen wollen.

Zum Kern des Problems führt Ceferins Nasenbeispiel aber durchaus: nämlich zu der Schein-Objektivität, die den Zuschauern am TV/Smartphone beim Abseits ebenso vorgegaukelt wird wie dem Referee, der sich eine Szene am Spielfeldrand auf dem Bildschirm ansieht. Ja, da ist dann eine "kalibrierte", also auf einem technisch vertrauenswürdigen Messprozess basierende Linie gezogen.

Aber der entscheidende Bruchteil jener Sekunde, in dem der Ball abgespielt wird - der ist in diesem Hochgeschwindigkeitsspiel kaum so zu bestimmen, dass wenige Zentimeter Abseits immer zweifelsfrei zu beweisen sind. Man müsste deshalb nicht die Abseitsregel ändern. Aber die Möglichkeit schaffen, dass sich der Videoassistent wegen der Schwankungsbreiten seiner Technik schlicht für nicht zuständig erklärt.

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Aleksander Ceferin

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:Uefa-Präsident will Abseitsregel diskutieren

"Wenn man eine lange Nase hat, ist man heutzutage im Abseits", sagt Ceferin einer britischen Zeitung. Und fordert einen Spielraum bei Entscheidungen.

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