Abschiedsspiel von Lothar Matthäus:A weng brudal

1. FC Herzogenaurach - SpVgg Hüttenbach-Simmelsdorf

Rückkehr zum 1. FC Herzogenaurach: Seine Eltern lernten sich hier auf der Weihnachtsfeier kennen, so steht es in Lothar Matthäus' Biografie.

(Foto: Matthias Merz/dpa)

Ein Zeigefinger, ein Freistoß und viele Geschichten: Lothar Matthäus bestreitet ein Pflichtspiel für seinen Heimatklub in Herzogenaurach - und beendet seine Karriere zum letzten Mal.

Reportage von Sebastian Fischer, Herzogenaurach

Es ist kurz nach vier am Sonntagnachmittag, da weht die Blasmusik vom Feuerwehrfest auf den Platz herüber, denn die Menschen sind kurz ruhig. Sie tuscheln, sie raunen, dann ist es soweit. "Jetzt geht er!", ruft einer. Der Mann, wegen dem sie gekommen sind, streift sich die Kapitänsbinde vom Arm und trabt zur Seitenlinie. Er badet im Applaus, das funktioniert im San Siro und im Olympiastadion ja genauso wie auf einem etwas zu lang gewachsenen Rasen in Herzogenaurach: Pirouette drehen, mit den Händen über dem Kopf klatschen.

Dann setzt sich Lothar Matthäus, Deutschlands Rekordnationalspieler, auf eine Holzbank. 50 Minuten hat er für den 1. FC Herzogenaurach in der Bezirksliga gespielt, Flugbälle geschlagen, die 50 Meter weiter sehr präzise ankamen, und Fußballern, die alle seine Söhne sein könnten, die Laufwege gewiesen. Ein paar Minuten nach seiner Auswechslung sagt er: "Das ist ein schönes Schlusswort für meine Karriere."

Die Karriere von Lothar Matthäus, 57, ist natürlich längst zu Ende, die New York MetroStars waren 2000 sein letzter Klub. Doch wenn fortan von seinem letzten Spiel gesprochen wird, dann geht es nicht mehr um den Klub, für den er damals eine peinliche Pressekonferenz gab, sondern um ein 3:0 gegen die SpVgg Hüttenbach-Simmelsdorf. Er ist nicht der erste Fußballer, der am Ende dorthin zurückkehrt, wo alles begann. Aber wenn ein Lothar Matthäus nach Hause kommt, dann ist das natürlich eine besondere Geschichte.

Er, Weltfußballer und Weltmeister und weltweit berühmtester Franke, ist seit einigen Jahren in der Mission unterwegs, das Bild von ihm, das sich die Menschen in Deutschland längst ausgemalt haben, anders zu färben. Überall auf der Welt ist er der große Matthäus, "Il Grande" nennen sie ihn bei Inter Mailand, wo er den Uefa-Pokal gewann. Um für die Bundesliga zu werben, reist er um den Planeten, Legende zu sein, ist dann seine offizielle Aufgabenbeschreibung.

Aber in Deutschland ist die Legende immer der Loddar geblieben, mit einem eigenen Kapitel "Ehen" bei Wikipedia (fünf Einträge) und einer Doku-Serie im Privatfernsehen, die ihn beim Eierbraten zeigte. Manchmal erinnert er noch heute an alte Loddar-Zeiten, wenn er im Fernsehen über Per Mertesacker lästert, der mutig erklärt hatte, unter dem Druck im Profifußball zu leiden. Andere hätten an Mertesackers Stelle bestimmt gerne gespielt, sagte Matthäus. Danach wurde ihm im Spiegel-Kommentar erklärt, Empathie sei kein französischer Innenverteidiger.

Meistens gelingt es ihm inzwischen aber sehr gut, Lothar Matthäus zu sein. Die Doku-Serie, die hätte er besser gelassen, hat er jetzt im Zeit-Interview zugegeben und auch gesagt, dass er die Trainerkarriere in Deutschland abgehakt habe, die er sich jahrelang gewünscht hatte. Er ist ein seriöser Kritiker geworden, in der Experten-Runde bei Sky saß er am Samstag wieder in der Mitte und stellte dem Wolfsburger Trainer Bruno Labbadia souverän geduzt die Fragen. Seine Analysen sind präzise, seine Aufgabe ist ihm wichtig. Er könne sich nichts Besseres vorstellen, sagt er. Und so ist dieser Sonntag auch eine Demonstration der neuen Zufriedenheit des Lothar Matthäus.

Erinnerungen an 100 Tore

1. FC Herzogenaurach - SpVgg Hüttenbach-Simmelsdorf

Ziemlich strammer Schuss: Der alte Lothar Matthäus, inzwischen 57, zieht ab mit der Eleganz des jungen Lothar Matthäus.

(Foto: Matthias Merz/dpa)

40 Minuten vor dem Anpfiff läuft er zum Aufwärmen auf den Rasen, er verzieht seine Mundwinkel, es könnte ein Grinsen sein, vielleicht ist es auch Anspannung. Herzogenaurach steht bereits als Aufsteiger in die Landesliga fest, doch es ist ein Pflichtspiel, keine Show, das wird er mehrmals betonen. 2005 ist er schon mal für ein Spiel zurückgekehrt, damals war er 44 und spielte 76 Minuten lang für Lok Leipzig im Halbfinale um den Stadtpokal, ein Jux.

Doch beim 1. FC Herzogenaurach lernten sich seine Eltern auf der Weihnachtsfeier kennen, so steht es in der Biografie. Sein Vater arbeitete als Hausmeister bei Puma, die Familie wohnte gleich neben der Firma, der FCH ist der Puma-Klub. "Schon beim Herkommen sind Erinnerungen hochgekommen", sagt Matthäus später. In Herzogenaurach schoss er als Jugendlicher 100 Tore pro Saison, spielte in der Bayernliga während seiner Lehre zum Raumausstatter, bis er mit 18 zu Borussia Mönchengladbach wechselte und zur Weltmarke wurde. Das mit der Weltmarke steht auch in seiner Biografie.

In Herzogenaurach haben sie in all den Jahren immer anders über die Marke Matthäus gesprochen, liebenswerter, dankbarer, gelästert haben die Leute höchstens "a weng", so erzählt es Klaus Bauer. Er ist der zweite Vorsitzende des FCH, er hat als Schüler mit Matthäus zusammengespielt, als Libero. Matthäus wurde Weltmeister, Bauer Kriminalhauptkommissar. "Der Lothar weiß alles von früher", sagt Bauer.

Mit der Zehn auf dem Rücken läuft er dann ein, Kameras filmen ihn, vor dem Anstoß nimmt er sich das Mikrofon und wünscht den Zuschauern viele Tore, natürlich sagt er "Dore". Er spielt im defensiven Mittelfeld, läuft wenig, schreitet eher. Er gewinnt einen Zweikampf und bereitet fast ein Tor vor, da jubeln die Menschen, knapp 2000 sind gekommen. Einen Freistoß schlenzt er dem Torwart in die Arme. Vor allem dirigiert er, den Zeigefinger ausgestreckt, meist muss er gar nichts sagen, die Spieler wissen Bescheid. "Ich habe nie einen gesehen, der ein Spiel so lesen kann wie der Lothar", sagt Bauer. Er sagt aber auch: "Die Hitze ist brutal in unserem Alter." Er sagt natürlich "brudal".

Später gibt Matthäus Autogramme und eine Pressekonferenz, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sitzt neben ihm, warum weiß keiner so genau. Matthäus verkündet, dass seine aktive Karriere jetzt endgültig vorbei sei, lobt den Amateurfußball und sagt: "Die Mannschaft hat sich tapfer geschlagen mit dem Handicap Lothar Matthäus." Und so endet sein letztes Spiel tatsächlich damit, dass Lothar Matthäus sich selbst nicht mehr ganz so ernst nimmt.

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