In Spanien wird die Meistertrophäe üblicherweise nicht am letzten Spieltag übergeben, sondern am ersten Spieltag der neuen Saison. An diesem Wochenende jedoch wird die Liturgie möglicherweise eine Änderung erfahren. Der FC Barcelona steht seit dem vergangenen Wochenende als neuer Meister fest, und die Katalanen haben beim Verband RFEF anfragen lassen, ob man die Ehrung nicht vorziehen könne.
Der Grund: Am Samstag wird sich ein Spieler aus der Liga verabschieden, der getrost als Legende bezeichnet werden darf und als Barcelona-Kapitän ein letztes Mal eine Meistertrophäe hochhalten soll: Xavi Hernández. "Ich finde kein Lob, das erklären würde, was er als Mensch und Spieler repräsentiert hat", sagte Xavis kongenialer Mittelfeldpartner Andrés Iniesta, der Schütze des Tores, das Spanien 2010 in Südafrika zum Weltmeister machte. "Xavi ist einzigartig. Unwiederholbar. Es wird keinen anderen geben wie ihn", fügte Iniesta am Dienstag hinzu.
Pep Guardiolas Schatten schien Xavi lange zu erdrücken
Den offiziellen Abschied will Xavi dem Vernehmen nach erst am Donnerstag in einer eigens einberufenen Pressekonferenz verkünden. Sein Vater, Joaquín Hernández, nahm im Radiosender Cope bereits vorweg, dass nun "der Zeitpunkt gekommen ist, Adiós zu sagen". Schon im vergangenen Jahr stand Xavi vor einem Wechsel nach Katar, nun wird er auf das letzte Vertragsjahr bei Barça verzichten und - angeblich zusammen mit dem von ihm bewunderten Andrea Pirlo von Juventus Turin - tatsächlich bei Al Saad anheuern.
Seit seinem elften Lebensjahr ist Xavi bei Barça aktiv; für die erste Mannschaft hat er mehr als 760 Pflichtspiele bestritten, darunter mehr als 500 Ligapartien. Vor allem aber ist er zum Barça-Spieler mit den meisten Titeln geworden. Er hat 23 Trophäen küssen dürfen, holte unter anderem acht spanische Meisterschaften sowie drei Champions-League-Trophäen, dazu noch einen Welt- sowie zwei Europameistertitel mit der spanischen Nationalelf. Vor allem aber ist er "Symbol einer Idee", wie es die Zeitung El Periódico de Catalunya definierte.
Xavi personifiziert den ultimativen Triumph des Cruyffismus, den Sieg einer konkreten Spielidee über den Einkauf von immer neuen Stars. Bis zum Jahr 1990 hatte Real Madrid 25 Meistertitel geholt, der FC Barcelona zehn. Danach holte Barça 13 Titel, Madrid nur sieben - trotz milliardenschwererer Ausgaben für diverse Galácticos.
Jedoch: Es stand nicht geschrieben, dass Xavi zu einer der prägenden Gestalten einer vielleicht unwiederbringlichen Ära werden würde. In der Jugend wurde er zum defensiven Mittelfeldspieler ausgebildet, seine Position war - der Barça-Nomenklatur folgend - die der "Nummer 4", eine Art Libero vor der Abwehr. "Meine fußballerische Referenz war Pep Guardiola", sagt Xavi Hernández selbst. Sein Profidebüt feierte er auf ebendieser Position, im August 1998 unter dem späteren FC-Bayern-Trainer Louis van Gaal.
Einige Zeit war Xavi umstritten, der Schatten Guardiolas zu lang und erdrückend, die Kritik der Presse in Barcelona verletzend. Die Emanzipation gelang Xavi erst, als der niederländische Trainer Frank Rijkaard (2003 bis 2008) Xavi fünfzehn Meter weiter nach vorne beorderte. "Du kannst den letzten Pass spielen", argumentierte der Niederländer. In der Tat: Allein in der Liga bereitete Xavi knapp einhundert Tore der Kollegen vor.
Eine individuelle Trophäe war ihm nicht vergönnt, zu Xavis besten Zeiten war der Goldene Ball für den Weltfußballer des Jahres stets für Lionel Messi reserviert. Zwei Mal landete er bei den Wahlen auf Platz drei. Ganz vorbei ist die Saison noch nicht, im spanischen Pokal und am 6. Juni in der Champions League in Berlin steht er gegen Athletic Bilbao und Juventus Turin im Finale. Im Erfolgsfalle würde er sein zweites Triple feiern - und damit ein unvergleichliches Ende für eine außergewöhnliche Karriere finden.