Süddeutsche Zeitung

Abschied von Gerald Asamoah:Dat is' Schalke

  • Gerald Asamoah nimmt Abschied vom Fußball.
  • 60 000 Zuschauer kommen - und viele emeritierte Helden.
  • Gerald Asamoah blickt zurück auf eine lange Karriere. Er hat immer gelacht - aber einmal bitterlich geweint.

Von Philipp Selldorf

Das Stadion wird voll sein, 60 000 Zuschauer, es gibt nur noch Restkarten. Nichts Neues auf Schalke, aber diesmal wird nach dem Spiel niemand über die immerwährende Krise klagen und keiner muss kulturpessimistisch ausrufen: "Dat is' nich' mehr mein Schalke." Wehmut wird stattdessen herrschen und das immerhin versöhnliche Gefühl, dass Schalke auch im 21. Jahrhundert noch Schalke ist. Denkbar, dass bei dieser nostalgischen Gelegenheit sogar der abtrünnige Sohn Manuel Neuer wieder in die Familie aufgenommen wird - bevor er sich dann eine Woche später wieder Pfiffe anhören muss, wenn er mit dem FC Bayern zum Punktspiel in seiner Heimatstadt vorbeischaut.

Erst mal aber wird Abschied gefeiert in Schalke, Gerald Asamoah, "Asa", wie er überall genannt wird, zelebriert mit vielen Weggefährten den Schlusspunkt seiner Karriere, die zuletzt in Schalkes Regionalligavertretung unauffällig auslief. Unter anderen reisen die emeritierten Helden Marcelo Bordon, Lincoln, Emile Mpenza, Ebbe Sand, Jens Lehmann und Jiri Nemec an; Neuer ließ sich vom Bundestrainer freistellen, der Hoffenheimer Kevin Kuranyi kommt mit seinem Trainer Huub Stevens. Sogar einen Dortmunder Erz-Borussen hat Asamoah eingeladen, aber Sebastian Kehl wird die Fans nicht zwingen, einem Erbfeind applaudieren zu müssen. "Zum Glück ist er auf Weltreise", sagt Asamoah, dann lacht er dieses ansteckende Lachen, das sein unveränderliches Merkmal ist.

"Wenn er zur Tür reinkommt, dann scheint bereits die Sonne" - diesen wegweisenden Satz hat einst Rudi Assauer gesprochen, der Asamoah 1999 aus Hannover holte. Nach einem halben Jahr wollte er eigentlich gleich wieder zurück zu den 96ern, die Konkurrenz schien ihm zu groß zu sein, aber dann kam die Diagnose zu seinem Herzfehler. Assauers Fürsorge und Loyalität ließen nicht zu, dass Asamoah fortlief. Das war Asamoahs Glück. "Ich habe mich in Schalke verliebt, das ist das Beste, was mir im Leben passiert ist", sagt er. Und noch besser war, dass sich die Schalker auch in ihn verliebt haben, in den Fußballer Asamoah, aber ein bisschen mehr womöglich noch in den Menschen Asamoah. So hat er längst seinen Platz im Schalker Pantheon, neben Heiligen wie Szepan, Kuzorra, Libuda und Fischer.

Zwar ist Asamoah erst 37 und bleibt im Verein als Botschafter der guten Sache sowie als Nachwuchstrainer präsent, aber wenn er nun aus der Blüte seiner Fußballerzeit berichtet, dann klingt das oft, als ob er Legenden aus einem vergangenen Jahrhundert erzählt. Man sieht dann den Zigarrenraucher Assauer vor sich, eine mythische Figur zwischen Patron, Tyrann und Übervater. Sonntags nach der Bundesliga kam Assauer regelmäßig in Jogginghose und mit Hund in die Kabine, "das war meistens okay, aber wenn es mal schlecht lief und er dann plötzlich bei uns erschien - oh Gott!" Assauers Autorität war das eine, seine Courage das andere. Ein Jahr nach seiner Ankunft begrüßte Asamoah dann einen neuen Kollegen: den Dortmunder Andreas Möller, für Schalke-Fans eine der meistgehassten Personen auf dem Erdball. "Aber da war ein Manager am Werk, der wirklich drauf geschissen hat", entsinnt sich Asamoah bewundernd.

Das Jahr mit Möller war das vermutlich aufregendste in Asamoahs Karriere. Im Mai 2001 endete es im Tränendrama, und das lag nicht an der "Heulsuse" Möller (der Schmähruf, mit dem dieser große Fußballer provoziert wurde), sondern am Freistoßtor des Bayern-Spielers Andersson in Hamburg. 4:38 Minuten hatten sich Schalke und Asamoah als Champions gefühlt.

"Krass, mit 21 bin ich schon Meister", dachte Asamoah, aber dann kam er mit einem Bier in die Kabine und erfuhr: Es gibt Freistoß für die Bayern. Asamoah sah nicht auf den Fernsehschirm - aber im nächsten Moment auf schreiende Kollegen, die Trikots, Schuhe, Flaschen und Stühle durch die Gegend warfen.

Der große Titelgewinn ist Asamoah versagt geblieben, zwei Pokalsiege mit Schalke mussten ihn über vier zweite Ligaplätze hinwegtrösten, mit der Nationalelf verlor er das WM-Finale 2002 gegen Brasilien. Aber er kann sich auf ganz andere Erfolge und Verdienste berufen. 2001 hatte ihn Rudi Völler erstmals zur DFB-Auswahl eingeladen, zwei Tage nach dem Andersson-Desaster. Asamoah, geboren in Mampong, hätte auch für Ghana spielen können, er war "geschockt", dass ihn Völlers Anruf nun vor die Wahl stellte. Er sagte dann spontan zu und wurde der erste deutsche Nationalspieler mit schwarzer Hautfarbe. Er wusste, dass ihn einige wegen seiner Herkunft und Hautfarbe ablehnten, aber er wollte sich zu dem Land bekennen, das ihn als Zwölfjährigen aufgenommen hatte. Und bald merkte er, dass er das Richtige getan hatte. "Auf einmal", so hat er später erzählt, "bin ich auf der Straße ständig angesprochen worden. Es waren Farbige, Afrikaner, junge Leute, sogar Kinder wollten mich sehen und mit mir sprechen. Sie haben gesagt: ,Danke Bruder, dass Du das gemacht hast. Dank Dir werde ich auf der Arbeit akzeptiert.'" So hat Asamoah gelernt, sein sorgloses Fußballerdasein um eine Aufgabe zu erweitern. Der immer gut gelaunte Asa wurde ein ernster und ernst zu nehmender Kämpfer gegen Rassismus.

Dass er als stolzer Nationalspieler nicht übermütig wurde, dafür sorgte in Schalke ein strenger Huub Stevens. Einmal kam er von einem Länderspiel zurück, da ließ ihn Stevens unter brutalen Kommandos Überstunden machen. Laufen und noch mehr laufen musste er, Asamoah dachte: "Der hasst mich. Aber warum?" Später ging er in die Trainerkabine und stellte den Coach zur Rede. "Ich habe gefragt: ,Trainer, was habe ich gemacht?' Er sagte: ,Nichts. Du brauchst das einfach.' Später lag ich dann mal im Krankenhaus, ich war gerade operiert worden. Er hat kurz gefragt, wie es mir geht - und dann hat er mir sämtliche Fehler der Hinrunde aufgezählt. Aber ich habe geweint, als er gegangen ist, denn ich habe gemerkt: Der meint es gut mit dir."

Nun wird Huub Stevens den Abschiedsspieler Asamoah ein letztes Mal laufen lassen. Und diesmal wird's für alle ein Vergnügen sein.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2015
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