Süddeutsche Zeitung

Abgesagtes Länderspiel:Ein Fußball-Abend mit bitterer Botschaft

Lesezeit: 4 min

Von Philipp Selldorf und Christof Kneer

Ein paar Stunden vor dem Spiel, aus dem am Ende doch kein Spiel wurde, hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) noch ein Video veröffentlicht, in dem der Mittelfeldspieler İlkay Gündoğan zu Wort kam. Gündoğan ist ein intelligenter Profi, er zählt zu jenen Kandidaten, die immer gern genommen werden, wenn Statements gefragt sind, die über die klassischen Sportlersätze hinausreichen. Im Stile eines Klassensprechers berichtete der Dortmunder also von den kontroversen Debatten, die im Kreise der Nationalspieler vor dem geplanten Testspiel gegen die Niederlande geführt wurden.

"Wir Spieler haben uns natürlich darüber unterhalten und gesagt, dass, wenn dieses Spiel stattfindet, es extrem schwierig sein wird", erklärte Gündoğan also und ließ erkennen, dass einige Spieler sich nur mit großer Mühe vorstellen konnten, unter diesen Umständen ihrem Beruf nachzugehen. Was die Austragung dieses Spiels betreffe, hätten sich die Spieler "irgendwo dann auch ein Stück weit dagegen ausgesprochen, um da mal auch ehrlich zu sein, weil wir letztendlich keine Maschinen sind, sondern auch Menschen mit Gefühlen", sagte Gündoğan. "Auch wenn wir Profis sind: In dem, was wir machen, geht das nicht spurlos an einem vorbei."

Die Nacht von Freitag auf Samstag hatten die Spieler in einer Spielerkabine im Stadion von Paris verbringen müssen, mit bangem Warten, hektischen Telefonaten und unklaren Informationen. Vier Tage später ist der Bus mit den Spielern an Bord umgekehrt, bevor er das Stadion in Hannover erreichte. Der Bus kam aus dem nahen Barsinghausen, wo die Nationalmannschaft in der örtlichen Sportschule einquartiert war, und noch im Bus empfingen die Spieler die Information, dass jenes Spiel, in das sie mit einem mulmigen Gefühl gestartet wären, kurzfristig abgesagt wurde.

Das Team wollte Zusammenhalt und Stärke beweisen

"Sind auf dem Weg ins Stadion v. d. Polizei umgeleitet worden u. an sicherem Ort. Mehr können wir derzeit nicht sagen, Bitte u. Verständnis" - diese Twitter-Botschaft wurde um kurz nach acht vom Pressesprecher der Nationalmannschaft versendet, nähere Informationen gab es aus gutem Grund nicht; die Mannschaft befinde sich "in Sicherheit", sagte später auch Rainer Koch, einer der beiden interimistischen Präsidenten des DFB. Zusammen mit seinem Co-Präsidenten Reinhard Rauball und einigen Ministerinnen der niederländischen Regierung hatte Koch das Stadion bereits betreten, als die Polizei die Partie etwa anderthalb Stunden vor dem geplanten Anpfiff wegen einer konkreten Gefährdungslage stornierte.

Spieler waren in letzter Instanz doch einverstanden mit der Partie

"In solchen Situationen ist immer Besonnenheit angebracht. Wir haben sehr ruhig das Stadion verlassen und sind dann direkt ins Innenministerium gefahren", sagte Koch. Schon in der Nacht von Paris hatten die DFB-Verantwortlichen den konkreten Aufenthaltsort der Spieler verschwiegen; sie hatten sich in der Not sogar aufs Tarnen und Täuschen verlegt und von Kleinbussen berichtet, in denen die Spieler das Stadion verlassen hätten - jenes Stadion, in dessen Katakomben die Spieler zu dieser Zeit ausharrten.

In dem DFB-Video hatte İlkay Gündoğan vor dem Spiel auch noch berichtet, warum sich die Nationalspieler am Ende doch entschieden hätten, gegen die Niederlande ein Fußballspiel zu bestreiten: Die Spieler seien "als letzte Instanz damit einverstanden" gewesen, sagte Gündoğan, "um einfach eine Symbolik reinzubringen und ein Statement abzugeben". Es gehe um eine Botschaft an die Menschen, "Zusammenhalt und Stärke zu beweisen".

Der Fußball ist sehr überhöht worden in den vergangenen Tagen, in ihn sind alle Werte der westlichen Welt hineininterpretiert worden, und so war die Botschaft, die von diesem Abend in Hannover ausging, am Ende umso bitterer. Ausgerechnet jener Abend, der signalisieren sollte, dass Europa sich sein ganz normales Leben nicht wegnehmen lässt, verlief dramatisch unnormal: mit Polizisten, die schwer bewaffnet und schussbereit das Stadtbild prägten; mit extremen Personenkontrollen rund ums Stadion; mit Beamten, die zum Stadion strömende Anhänger 90 Minuten vor dem Spiel per Megafon aufforderten, umgehend umzukehren und größere Massenansammlungen zu vermeiden; mit Ordnern, die Besucher und Reporter, die sich schon im Innenraum aufhielten, sehr ruhig, aber auch sehr unmissverständlich anwiesen, das Stadion auf direktem Wege wieder zu verlassen.

Und Fotografen, die noch schnell ihre bereits am Rasenrand verstauten Stative holen wollten, wurde mit freundlichem Nachdruck klargemacht, dass das keine so gute Idee sei. Die Stative seien jetzt nicht so wichtig.

Von einem "traurigen Tag für Deutschland und den deutschen Fußball" sprach Interimspräsident Reinhard Rauball später, "dass unsere Mannschaft zweimal in vier Tagen ein solch tragisches Erlebnis erfährt, war nicht vorstellbar". Sein Eindruck sei, so Rauball, "dass der Fußball in Deutschland mit dem heutigen Tage in vielen Facetten eine andere Wende bekommen hat". Noch ist ja nicht absehbar, ob jene Spieler, die erst eine Nacht in einer Pariser Kabine bangten und dann mit dem Bus nicht ins Stadion von Hannover durften, am kommenden Wochenende einfach wieder ihren Beruf ausüben können, als wäre nichts geschehen.

DFB-Chef Rauball wirkt sehr betroffen

Ob die Nationalspieler am Wochenende wohl einsatzfähig seien? "Ich kann Ihnen die Frage nicht übelnehmen", meinte Rauball, der selbst sehr betroffen wirkte, und mutmaßte, bei manchen Spielern müsse vielleicht auch der Teampsychologe zum Einsatz kommen.

Man ahnt jedenfalls, welche Gedanken Spieler und Verantwortliche des DFB gerade beschleichen, wenn sie an den 12. Dezember denken - an jenen Abend, an dem in Paris in feierlichem Zeremoniell die Gruppen für die Fußball-Europameisterschaft ausgelost werden, die vom 10. Juni bis 10. Juli 2016 in Frankreich stattfindet. Später am Abend war dann noch zu erfahren, dass die Spieler den unheimlichen Ort so schnell wie möglich verlassen hatten. Nach einer kurzen Rückkehr nach Barsinghausen haben die Bayern-Profis in Hannover sogar noch das Flugzeug Richtung München erwischt, und die anderen Nationalspieler wurden von Freunden abgeholt oder von der DFB-Fahrbereitschaft in ihre Heimatstädte gebracht.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2015
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