Abfahrt in Kitzbühel:Sieger von der Kuhweide

Dominik Paris galt lange als einer, der sich selbst im Weg steht - der zweite Sieg des Italieners in auf der Abfahrt in Kitzbühel beweist, dass er schon bald die Branchenführer beerben könnte.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Arnold Schwarzenegger saß in der Mitte, dunkelbraune Lederjacke, schneeweißes Fell, eine Reihe hinter Christian Kern, dem Bundeskanzler. Man kennt sich, man plauderte, über Sport, Politik, die Schnitzelpartys, es war "ein subbbäär Wochenende", wie Schwarzenegger später ins Stadionmikrofon röhrte. Der ehemalige US-Gouverneur schwebt immer ein wenig über den Dingen, aber am Hahnenkammwochenende sind sie ohnehin alle etwas entrückt. Sie versichern sich ihrer Größe, die meisten Zuschauer, die meisten Promis (und die sich dafür halten), die gefährlichste Abfahrt der Welt. Sie hatten die Streif diesmal vor allem im oberen Teil mit Eis überzogen, "wie auf einem Eishockeyfeld", fand der Amerikaner Travis Ganong. Irgendwo suchen sie in Kitzbühel noch einmal das Extreme im Extremen.

Schwarzenegger hatte dann nur noch einen Wunsch: Ein Österreicher möge gewinnen, "do it", so lautete der Auftrag. Dem kamen aber weder Hannes Reichelt, noch Max Franz und Matthias Mayer nach. Die Österreicher wurden Achter, Neunter - oder sie rutschten durch den Steilhang. Nach internationalen Standards war es ein ordentliches Resultat, nach österreichischen: kein Sieg. Die Besten waren die anderen, die Franzosen Johan Clarey (Dritter), Valentin Giraud Moine (Zweiter). Und Dominik Paris aus Italien, klar.

Ob er nun Favorit sei für die WM? "Schaut ganz so aus", sagt Paris

Paris stand am Samstagabend auf dem Balkon im Zielhaus, wo sie in Kitzbühel die Sieger ausrufen, vor ihm lag ein aufgekratztes Meer an Zuschauern. Der 26-Jährige hatte hier 2015 den Super-G und 2013 schon einmal die Abfahrt gewonnen, er badete damals in der Glückseligkeit, jünger war kein Streif-Sieger gewesen. Diesmal gab er sich angenehm zurückhaltend. Als sie ihn ausfragten, ob er zu dieser Strecke eine Liebesbeziehung pflege, ob ihm das Schwere am leichtesten bekomme, ob er den Sieg in einer der Szene-Bars zelebrieren werde, wie es das Streif-Protokoll vorschreibt, lächelte Paris schüchtern. Dann sagte er meistens: "Schaut so aus." Er ist kein überraschender Sieger, aber ein ungewöhnlicher ist er schon.

Abfahrt in Kitzbühel: Beim Hahnenkamm-Rennen fluten Zehntausende Touristen die Stadt.

Beim Hahnenkamm-Rennen fluten Zehntausende Touristen die Stadt.

(Foto: Robert Jäger/AFP)

Paris stammt aus Ulten in Südtirol, er misst 1,82 Meter und wiegt 97 Kilo, so steht es auf dem offiziellen Personalbogen. Inoffiziell pendelt sein Gewicht aber eher im niedrigen dreistelligen Bereich, er ist einer dieser Schnellfahrer, die in Zeiten von kurvigeren Abfahrten gerade noch zur Minderheit zählen. Er ist jedenfalls schwerer als Bundeskanzler Kern und leichter als Arnold Schwarzenegger in dessen Muskeljahren, und ganz sicher ist Paris leichter als zu seinen schalsten Zeiten, als er sich selbst den Weg versperrte, immer wieder.

Paris war früh mit einer großen Befähigung für den alpinen Skisport ausgestattet, die er lange nicht in Ergebnisse auf der Piste verwandelte. Er hörte lieber Heavy Metal und fuhr mit dem Motorrad durch die Landschaft; manche Ausflüge endeten mit Schadensfällen, fürs Gefährt und die Knochen. Paris flog von der Sportoberschule und aus der Förderung, er arbeitete zwei Sommer lang als Kuhhirte auf einer Alm, verlor rund 30 Kilogramm. Ein "Wendepunkt", sagt er heute über diese Zeit, die ihm einen "klaren Kopf" verschafft habe. Er nutzte seine zweite Chance. Kletterte in die Weltspitze. Gewann 2012 das Heimrennen in Bormio, sechs Weltcupsiege folgten, WM-Silber in der Abfahrt 2013. Ob er nun eine ähnliche Dynastie begründen werde wie Didier Cuche, der fünfmalige Streif-Sieger, wurde Paris noch gefragt. "Ich werde mein Bestes probieren", sagt er.

Paris führt zumindest alle Werkzeuge mit sich, die es braucht, um die beste Fahrt in diesen Parcours zu meißeln: die Unerschrockenheit für die ersten Prüfungselemente, Mausefalle, Karussell, Steilhang. Die Kompetenz fürs Gleiten in der Alten Schneise, das Gefühl für Wellen und langgezogene Kurven im Lärchenschuss. Die Kraft, um die Traverse zu bändigen. Paris erschuf dort am Samstag die prächtigste Linie, er fuhr wie auf Schienen über die Schläge in der Schräge, wo anderen die Skier um die Ohren schlugen. Er ist mit all diesen Qualitäten längst nicht bloß einer für die Spezialaufträge wie Kitzbühel, er ist einer für Abfahrten in allen Farben, Formen und Geschmacksrichtungen. In der Abfahrtswertung, die er im Vorjahr fast gewonnen hatte, führt er jetzt knapp vor Landsmann Peter Fill. Mittelfristig, sagen sie in Italien, könne Paris Norwegens verletzten Edelfahrer Aksel Lund Svindal beerben. Für die WM in zwei Wochen ist er natürlich auch Favorit. "Schaut ganz so aus", sagte Paris.

Viermal Cuche - Die letzten zehn Sieger auf der Streif

2008 Didier Cuche (Schweiz)

2009 Didier Défago (Schweiz)

2010 Didier Cuche (Schweiz)

2011 Didier Cuche (Schweiz)

2012 Didier Cuche (Schweiz)

2013 Dominik Paris (Italien)

2014 Hannes Reichelt (Österreich)

2015 Kjetil Jansrud (Norwegen)

2016 Peter Fill (Italien)

2017 Dominik Paris (Italien)

Andreas Sander, am Samstag als 13. bester Deutscher, hatte diesen Paris übrigens schon mal übertroffen - allerdings 2008, bei der Junioren-WM. Es folgten: eine lässige Beziehung zu seinem Beruf, eine verlängerte Anfahrt auf die Weltspitze: "Man hat sich zu sehr auf das konzentriert, was man erreichen will und zu wenig darauf, wie man dahin kommt", sagte Sander in Kitzbühel. Seit Mathias Berthold und Christian Schwaiger die deutschen Abfahrer anleiten, sind sie auf diesem Weg jedenfalls vorangekommen. Für Olympia 2018, wo sie sich eine Medaille vorgenommen haben, liegen sie voll im Lehrplan, sagt Berthold; einer seiner Fahrer findet sich mittlerweile ja fast jedes Wochenende unter den besten Zehn ein. Die anderen haben noch immer mehr Personal und Ressourcen, die Deutschen haben zumindest wieder ein Team: mit Josef Ferstl, der im Super-G Achter wurde, Dominik Schwaiger, Tobias Stechert, Thomas Dreßen.

"Man wird ernster genommen", stellte Ferstl am Wochenende zufrieden fest, "die anderen Nationen schauen, was wir für Zeiten fahren." Und vielleicht schauen sie ja bald sogar auf der Ehrentribüne in Kitzbühel genauer hin, der Bundeskanzler und der Terminator.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: