Süddeutsche Zeitung

96 siegt im Niedersachsen-Derby:Erinnerungen an Asamoah

Zum ersten Mal seit 19 Jahren gewinnt Hannover das Derby gegen Eintracht Braunschweig - weil der 96-Trainer André Breitenreiter auf die Stärken des Gegners zurückgreift.

Von Jörg Marwedel, Hannover

An den letzten Derby-Erfolg gegen Eintracht Braunschweig erinnerte sich Martin Kind noch sehr genau, obwohl es schon 19 Jahre her ist. Gerald Asamoah erzielte das 1:0-Siegtor in Braunschweig, wusste der Präsident von Hannover 96 noch. Gespielt wurde damals in der Regionalliga Nord, und nach dem Sieg, der den Aufstieg in Liga zwei vorbereitete, sei man noch zum Italiener gegangen.

Diesmal gab es keine offizielle Feier. Aber den Schützen zum 1:0-Siegtreffer in diesem "Schlüsselspiel" (Kind) hat der Klubchef doch in den Arm genommen. Es war Niclas Füllkrug, der einen Eckball von Edgar Prib in der 32. Minute per Kopf im Tor unterbrachte.

Füllkrug ebnete aus Hannoverscher Sicht einen Triumph. Profis und Fans haben ihn nach dem Abpfiff zusammen gefeiert. Es war auch deshalb ein Triumph, weil die 96er nun nicht nur am bisherigen Tabellenzweiten aus Braunschweig vorbeigezogen sind, sondern zumindest bis Montagabend auch am Ersten VfB Stuttgart, der erst dann bei Arminia Bielefeld antritt. "Die Erwartung", sagte Kind, "hat sich zum Optimismus weiterentwickelt." Auf jeden Fall spielten die 96er, deren Aufstieg der Patron als "alternativlos" bezeichnet, diesmal wirklich wie ein Erstligist mit dem überragenden Abwehrchef Salif Sané und den abgebrühten Mittelfeldstrategen Manuel Schmiedebach, Marvin Bakalorz und eben Prib gegen ein Team, das auf diesem Niveau doch noch etwas lernen muss.

Breitenreiter übt Standards - und produziert so das Siegtor

In gewisser Weise hat der neue Trainer André Breitenreiter, ein früherer Stürmer, die Braunschweiger mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Mit einer sehr defensiven Aufstellung (Abwehrspieler Waldemar Anton bekam gegenüber Außenstürmer Felix Klaus den Vorzug) hat er die Braunschweiger zu einer offensiveren Spielweise ermutigt, aus der sie allerdings überhaupt keinen Nutzen ziehen konnten. Seit nun sechs Spielen sind die Hannoveraner jetzt ohne Gegentor, genauer seit 560 Minuten. Und das, obwohl Keeper Philipp Tschauner nicht mal den sichersten Eindruck machte.

Der entscheidende Treffer fiel dann auch noch aus einer Standardsituation. Genau die hatte Breitenreiter in den Tagen vor dem Derby besonders geübt. Standard-Schütze Prib zirkelte eine Reihe von Ecken und Freistößen auf die Köpfe seiner Kollegen. Das sei gar nicht so schwer, denn "wir haben ja eine Menge Leute, die 1,85 Meter und größer sind", sagte der Mittelfeldspieler. Niclas Füllkrug sprang als Einziger dem Ball entgegen, die Braunschweiger blieben dagegen wie angewurzelt stehen, weil sie die Raumdeckung gewohnt sind, wie Stürmer Jan Hochscheidt anmerkte. Füllkrug jedenfalls, der geborene Hannoveraner fand es "geil", ausgerechnet vor der 96-Fankurve den Treffer erzielt zu haben. Zudem lobte sich der Mann, der bisher so schwer in die Saison kam, selber: "Man weiß ja, dass ich ein ganz gutes Kopfballspiel habe."

Hannover verlängert mit Sturmtalent Sarenren Bazee

Nur einmal hatten die Gastgeber Glück, nämlich in der 36. Minute. Da riss Angreifer Martin Harnik in der Manier eines Verteidigers Julius Biada im Strafraum um, doch überraschenderweise blieb die Pfeife von Schiedsrichter Sascha Stegemann stumm, er verwehrte der Eintracht einen Strafstoß. Ansonsten hielten die Hannoveraner "dem Druck stand, den wir ja gewöhnt sind", wie Prib sagte. Und wenn jemand so glücklich ist wie über diesen Derby-Sieg, kann er auch dem unterlegenen Gegner etwas wünschen. "Ich wünsche Torsten alles Gute", sagte Breitenreiter Richtung Eintracht-Coach Torsten Lieberknecht, "ihr habt ja auch die Möglichkeit, mit uns hochzugehen."

Dass 96 einen wichtigen Schritt bei dem von Kind beim neuen Manager Horst Heldt und bei Breitenreiter in Auftrag gegebenen Neuaufbau gegangen ist, wurde zudem an der Vertragsverlängerung des umworbenen Stürmertalentes Noah Sarenren Bazee bis 2021 deutlich. Während Präsident Kind die Pyro-Verfehlungen der eigenen Anhänger noch gerade für "vertretbar" hielt, müssen sich die Braunschweiger noch ein wenig mehr mit ihren Fans auseinandersetzen. 183 von ihnen wurden nach dem Versuch, das Stadion zu stürmen, in Gewahrsam genommen.

Torsten Lieberknecht freut sich auf das Training in der kommende Wochen Woche vor dem Heimspiel gegen Bochum: "Da können wir uns endlich wieder auf Fußball konzentrieren." Das war in den vergangenen Tagen bei dem hochgejazzten Niedersachsen-Derby fast gar nicht möglich.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2017
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