800-Meter-Läuferin Caster Semenya:Sie ist, wer sie ist

Beijing 2015 IAAF World Championships

800-Meter-Läuferin Caster Semenya in Peking

(Foto: dpa)
  • Caster Semenya gewann bei der WM in Berlin 2009 Gold über 800 Meter. Später kam heraus, dass der Welt-Leichtathletikverband IAAF ihr Geschlecht untersucht hatte.
  • Die IAAF und die medizinische Kommission des Internationalen Olympischen Komitees mussten schwierige Entscheidungen treffen.
  • Jetzt tritt Semenya in Peking wieder an - sie will die Debatten hinter sich lassen.

Von Johannes Knuth, Peking

Caster Semenya redete über ihr Rennen. Über ihren Vorlauf über 800 Meter bei der Leichtathletik-WM in Peking. "Ich hatte Glück, jetzt muss ich mich ausruhen", sagte sie. Semenya war nicht besonders gut gelaufen, nach der ersten Kurve war sie ans Ende des Feldes gerutscht, auf den letzten Metern schob sie sich gerade noch auf den dritten Rang, der ihr die Startberechtigung für das Halbfinale sicherte.

Anschließend erzählte Semenya von ihrem Rennen, aber das interessierte die meisten nicht richtig. Als sie gefragt wurde, was sie von der Debatte über Geschlechterdenken im Sport halte, die zuletzt wieder aufgekommen war, neigte Semenya ihren Kopf und sagte: "Ich bin hier, um zu laufen. Nicht, um über diese Dinge zu reden."

Manchmal zerfällt ein Leben in zwei Teile. Der Tag, der Semenyas Laufbahn in zwei Hälften trennte, war der 19. August 2009 bei der WM in Berlin. Semenya war damals als geheimnisumwehte Weltjahresbeste angereist, eine 18-Jährige aus Polokwane in Limpopo/Südafrika, drahtig, burschikos, tiefe Stimme. Sie gewann in 1:55,45 Minuten. Später kam heraus, dass der Welt-Leichtathletikverband IAAF ihr Geschlecht untersucht hatte, wenige Stunden vor dem Start. Semenya erschien nicht zur Pressekonferenz, da rätselte die Welt längst, ob sie eigentlich eine Frau sei oder ein Mann.

Jedes Jahr ein wenig langsamer

Was dann geschah, erzählte einiges darüber, wie überfordert der Sport mit ernsten Debatten sein kann. Die IAAF sperrte Semenya. Zehn Monate durfte sie nicht laufen. Dann erhielt sie die Freigabe, bei den Frauen zu starten. Warum der Verband so entschied, hat er bis heute nicht begründet. Die australische Zeitung Daily Telegraph zitierte im Herbst 2009 eine angeblich gut informierte Quelle, man habe herausgefunden, dass Semenya intersexuell sei.

Die Caster Semenya, die man in diesen Tagen in Peking trifft, hat nicht mehr viel mit der Semenya von 2009 zu tun. Sie ist nicht mehr ganz so drahtig. Ihre Zeiten entfernen sich immer mehr von der Best- marke aus Berlin. "Für mich ist es schon eine Leistung, in Peking dabei zu sein", sagt sie. Semenya wurde bei der WM 2011 und den Olympischen Spielen 2012 noch zwei Mal Zweite, sie lief jedes Jahr ein wenig langsamer. Parallel wuchs die Anerkennung im eigenen Land.

Als Semenya nach ihrem WM-Sieg 2009 in Südafrika landete, sangen und tanzten Tausende am Flughafen, viele Südafrikaner interpretierten die Zweifel der Medien als Angriff auf ihr Land. Semenya war jetzt wer, ihre Fotos wurden in Klatschblättern gedruckt, sie stand öffentlich dazu, eine Frau zu lieben; Südafrika hat seit 2006 zwar eine liberale Verfassung, viele Menschen sehen in gleichgeschlechtlicher Liebe aber noch immer eine Art Krankheit. Auf Sportplätzen sah man Semenya nicht mehr allzu oft. Südafrikanische Medien schrieben von Knieverletzungen und Übergewicht. Oder war es doch die Hormonbehandlung, um bei Frauenrennen starten zu dürfen?

"Diese idiotische Regel"

Die IAAF hatte 2009 eine Expertengruppe geformt, sie sollte Fälle von "exzessiven androgenen Hormonen" untersuchen. Androgene Hormone tragen dazu bei, dass sich männliche Geschlechtsteile herausbilden. Das bekannteste dieser Hormone ist Testosteron. Frauen produzieren weniger Testosteron als Männer, bei manchen kommt es allerdings vor, dass ihr Testosteronspiegel in männliche Bereiche klettert.

Die IAAF und die medizinische Kommission des Internationalen Olympischen Komitees entschieden nach Semenyas Fall, für ihre Wettbewerbe eine Grenze zwischen Frauen und Männern zu setzen, bei 10 Nanomol pro Liter Blut. Athleten, bei denen man vermutete, dass sie die Grenze über- oder unterschritten hatten, mussten sich fortan untersuchen lassen. Wer durch den Test fiel, dem wurde geraten, er solle sich mit Hormonen behandeln lassen. "Die Regeln basieren auf starkem Konsens der Wissenschaft", teilte die IAAF zuletzt mit.

"Sie haben es total falsch gemacht mit dieser idiotischen Regel", sagt dagegen Peter Sönksen. Sönksen ist Professor für Endokrinologie, am St. Thomas Hospital in London. Er hatte in einer Studie herausgefunden, dass Testosteronwerte bei Hochleistungssportlern viel öfter über jene Grenze der IAAF hin- und herschwappen als bei der Normalbevölkerung. Und überhaupt, sagte Sönksen der BBC, würden sich auch in der Natur die Geschlechter immer wieder überlappen. Die Regeln der Natur passen also nicht so recht zur Welt des Sports, der alles vermisst und normt.

Geschlechterregel für zwei Jahre stillgelegt

"Egal, welche Grenze man zwischen Mann und Frau zieht - sie wird immer willkürlich sein", sagt der amerikanische Journalist David Epstein, er hat über ein verwandtes Thema ein Buch geschrieben. Ende Juli legte der internationale Sport- gerichtshof Cas die Geschlechterregel der IAAF für zwei Jahre still. Der Verband müsse neues Beweismaterial für seine Gesetzgebung liefern.

Veranlasst hat das eine junge Frau aus Indien, Dutee Chand, 19, aus der Provinz Odisha. Auch ihr Leben war in zwei Teile zerfallen. Vor zwei Jahren gewann sie bei den asiatischen Juniorenmeisterschaften Gold über 100 und 200 Meter. Der indische Verband bat zum Test, er fand heraus, dass Chands Testosteronwerte eigentlich nur bei Männern gefunden werden.

Sie wollte sich keiner Therapie unterziehen, also durfte sie nicht mehr starten. Sie klagte, rund ein Jahr lang. Chand sah nicht ein, für etwas bestraft zu werden, dass die Natur bei ihr nun mal so eingerichtet hatte. "Ich bin, wer ich bin", sagte Chand. Sie gewann vor dem Cas. Im kommenden Sommer wird sie wohl bei den Olympischen Spielen starten. Als diejenige, die sie ist.

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